Sehr geehrter Herr Kollege!
Mit bestem Dank für Ihre Zuschrift vom 7. August 1921 übersen
de ich Ihnen zwei
Strafprozessvollmachten, die Sie freundlichst
zwecks Unterzeichnung und
Rücksendung an Herrn Kraus weitergeben
wollen. In der Berichtigungssache bin ich ganz Ihrer Meinung
und überzeugt davon, dass die
Berichtigung im Wege des Straf
verfahrens zu erzwingen ist.
Angeklagt muss Herr Hildenbrandt
als verantwortlicher Redakteur
werden. Gegen das Berliner-Tageblatt oder seinen Herausgeber ist der
Prozess nicht zu richten.
Ist die
mir abschriftlich übersandte Berichtigung von Herrn Kraus
unterschrieben und datiert gewesen?
Wie eine Beleidigungsklage
ausgeht, lässt sich leider für
den berliner Prozessbetrieb selten ganz genau voraussagen. An sich
bin ich durchaus Ihrer Meinung,
dass die fraglichen Äusserungen
des Herrn Ludwig, besonders aber seine unwahre Bemerkung über
die Notizen auf den Plakaten den
Tatbestand einer strafbaren
Beleidigung erfüllen. Ich erlaube mir hierzu noch die Anfrage, ob
Herr Kraus in Wien häufiger bezw. regelmässig den wohltätigen
Zweck einer Vorlesung auf den
Plakaten gekennzeichnet hat? An
das beigefügte Akjektivum „jedes“ oder „jede“ wird man sich nicht
klammern können. Hierin könnte
das Gericht eine nicht strafbare
oratorische Entgleisung sehen.
Immerhin sind diese Angaben zweifel
los zum Zwecke der Herabsetzung
gemacht. Ebenso halte ich die Be
merkung: „Als Charakter verliert er die
Partie“ für strafbar. Meiner
Meinung nach kann sie durch den
§ 193 des Deutschen-Strafgesetzbuches, der nur tadelnde
Urteile über künstlerische oder wissen
schaftliche Leistungen für
straffrei erklärt, nicht ge
w
d
eckt werden.
Ludwig wird
natürlich versuchen, die beleidigende Absicht seiner
Äusserungen in Abrede zu stellen
und sich als Argument für seiner
Auslegung auf das vorangegangene
Lob d
as
er
literarischen Gesamt
leistung von Herrn Kraus beziehen.
Gelingen dürfte es ihm nicht.
Nach alledem glaube ich, dass eine starke Chance besteht, den
Prozess erfolgreich
durchzuführen. Garantieren kann ich das aber
nicht. Indem ich Sie ergebenst
bitte, diese Ansicht Herrn Kraus
vorzutragen und ihm meine
ergebensten Grüsse auszurichten
bin ich mit
vorzüglicher kollegialer
Hochachtung
Dr. Katz