Geschenke des LebensDie Fackel


Abschrift.


Berlin, den 21. August 1931


Privatklage
des Schriftstellers Karl Kraus,
Wien III, Hintere Zollamtstrasse Nr. 3,
Privatklägers,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt
Dr. Willy Katz, Berlin SW. 68,Friedrichstrasse 204,
gegen
den Schriftsteller Emil Ludwig,
zu Askona / Schweiz,
Angeklagten.


An das
AmtsgerichtBerlin-Mitte Moabit


Namens und in Vollmacht des Privatklägers erhebe ich gegen den Beschuldigten Privatklage und klage ihn an,
den Privatkläger im Januar 1931 zu
Berlin dadurch beleidigt zu haben,
dass er in den von ihn verfassten,
im Verlage von Ernst Rowohlt er
schienenen Buch: „Geschenke desLebens, ein Rückblick“, folgendes
über den Privatkläger drucken
liess:


Seite 292
des Buches


„Als Charakter verliert er die
Partie. Ganz in sich selbst
vergraben, unfähig, den Blick
von seiner Erscheinung zu
wenden, in jeder Lage


abhängig von dem, was andere von ihm denken, vermag
er sich niemals hinzugeben, und wenn er Geld für
arme Menschen und Tiere hergibt, so muss er es auf
jedes Plakat und in jede Nummer seiner Zeitschrift
schreiben, und so verliert er den Kranz. – – – Kraus,
der den Ruhm an keinem anderen Arme sehen kann,
fühlt sich sogleich gegen jeden getrieben, der
irgendeinen Erfolg errang, denn eben diesen hat ihm
jener weggenommen.“


Vergehen strafbar nach § 185, 186, 194, 41, 41 Reichsstrafgesetzbuch.


Die angezogenen Stellen des von den Angeschuldigten verfassten
Buches enthalten nicht nur eine allgemeine Herabsetzung des Privatklägers, dadurch, dass sie ihm Charakterdefekte nachsagen, aus
denen der Leser den Vorwurf der Selbstsucht, des Eigennutzes, des
Neides und der kleinlichen Abhängigkeit von fremdem Urteil ent
nehmen muss, sondern bringen im besonderen auch Tatsachen vor, die
geeignet sind, den Privatkläger verächtlich zu machen und in der
öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, obwohl diese Tatsachen nicht
erweislich wahr sind. Es handelt sich hier um die Behauptung, dass
der Privatkläger die von ihm wohltätigen Zwecken zugeführten
Summen reklamehaft auf „jedes Plakat“ und „in jede Nummer“ seiner
Zeitschrift schreibe.


Zum Beweise der erhobenen Anschuldigungen beziehe ich
mich auf das genannte Werk des Angeschuldigten und die darin
zitierten Stellen.


Der Privatkläger hat erst kürzlich von den ihn betreffenden
Beleidigungen Kenntnis erhalten.


Ein Sühnetermin ist nach § 380, Abs. 4 St.P.O., V der Ausführungsverfügung vom 20.XII.1924, J.M.Bl. 1925 S. 9 nicht erfor
derlich. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich
aus § 7 Abs. 1 und 2 der Strafprozessordnung.


Ich beantrage:


gegen den Beschuldigten das Hauptverfahren zu
eröffnen und die Hauptverhandlung vor dem
Amtsgericht Berlin-Mitte stattfinden zu lassen.


Vollmacht auf mich, sowie 2 Abschrift der Klage werden beige
fügt.


gez. Dr. Katz
Rechtsanwalt.