Madame l’archiduc


Hochgeehrter Herr!


In Vertretung des Herrn Karl Kraus, der noch verreist ist,
teilen wir Ihnen mit dessen bestem Dank für Ihre freundliche Zuschrift
das Folgende als Antwort mit: Herrn Karl Kraus ist es nicht ganz klar,
wie Sie sich seine künstlerische Einflußnahme, mit der er Ihnen für die
Aufführung der Madame l’Archiduc an die Hand gehen soll, vorstellen.
Sie fragen, ob es möglich ist, daß er „schon bei den letzten Proben an
wesend sei“. Ein künstlerischer Einfluß wäre aber in diesem letzten
Stadium kaum mehr geltend zu machen, vielmehr wäre zu solchem Zwecke
die Anwesenheit schon bei den ersten Proben, das heißt beim Arrangement
notwendig, da von diesem die sprachliche Gestaltung wesentlich abhängen
könnte. Sie gehen aber von dem Wunsch aus, Herrn Karl Kraus bei der Premiere
anwesend zu sehen, und meinen offenbar, daß kurz vorher sich die Ge
staltung noch beeinflussen ließe. Herr Karl Kraus bedauert, diese Mei
nung nicht teilen zu können, und er ist nicht in der Lage, einer Auf
führung offiziell beizuwohnen, auf die er keinen Einfluß zu nehmen ver
mocht hat. Sie haben das Werk von der Universal-Edition erworben und in
dem Vertrag des deutschen Textautors für dieses Werk ist wohl der An
spruch auf die äußere Unversehrtheit des Textes, leider jedoch noch
nicht die Bedingung, daß der Autor die Wortregie führe, enthalten. Er
zweifelt durchaus nicht an dem redlichsten Willen des Theaters, an das
Werk alle Kraft zu wenden, über die es verfügt, er muß aber nach allen
Erfahrungen, die er mit Offenbach-Aufführungen gemacht hat, daran zwei
feln, daß heute welche Bühne immer imstande ist, dem Stil, dessen Wie
dergewinnung seine Absicht und das Motiv seiner Arbeit ist, ohne seine
praktische Mitwirkung nahezukommen. Darum vermeidet er es, offiziell
jeder Wiedergabe seiner Bearbeitungen beizuwohnen, die ohne seine Wort
regie erfolgt. Daß er zu deren Ausübung eingeladen wird, scheitert zu
meist an den materiellen Möglichkeiten des Theaters. Für Prag und gera
de um seines Lieblingswerkes willen würde er nun auf jede materielle
Entschädigung verzichten und sich mit dem Ersatz der Reise- und Aufent
haltsspesen begnügen. Der Aufenthalt ließe sich verkürzen, wenn der Regisseur dem am 30. in Wien (Offenbach-Saal) stattfindenden Vortrag der
Madame l’Archiduc beiwohnte, von dem er immerhin manches profitieren
könnte. Die Zumutung des Regisseurs, daß Herr Karl Kraus ihm schrift
lich seine Wünsche bekanntgebe – nebst der Ansicht, daß es „vielleicht
nett wäre“, wenn er für Prag „noch einige Strophen“ dichtete – muß Herr
Karl Kraus ablehnen. Er macht kein Hehl daraus, daß gerade diese Zuschrift des Regisseurs, so gut gemeint sie sein mag und so wenig er an
seinem redlichen Bestreben zweifelt, ihn mit gewissen Besorgnissen für
die Aufführung der Madame l’Archiduc erfüllt. Was die Strophen anlangt,
so steht deren Zusetzung, die dem Gedanken der Operette ja entspricht,
nichts im Wege. Sie mögen von einem anderen verfaßt werden, müßten aber
dem Autor des Buches vorgelegt und im Fall der Gutheißung – ganz so wie
jede Improvisation – schliesslich als nicht vom Autor stammend auf dem Theaterzet
tel angezeigt sein. Daß er einem aktuellen oder lokalen Bedürfnis zu
liebe auf fremden Antrieb irgendetwas schreiben sollte, ist natürlich
undenkbar. Abschließend möchten wir Ihnen sagen, daß Herr Karl Kraus
der Aufführung offiziell nur beiwohnen könnte, wenn er sie gutheißt.
Solches vermöchte er aber nur, wenn ihm rechtzeitig der Einfluß auf die
sprachliche Gestaltung eingeräumt würde. Jede Entstellung Offenbachs
sei es durch die falsche Erneuerung mit Hilfe eines fremden, sei es
durch Benützung seines eigenen Textes – bestimmt ihn, das Werk durch
Protest wie durch Vortrag in der Stadt, in der sie sich vollzogen hat,
zu rehabilitieren, um dem Gedanken der Offenbach-Renaissance Genüge zu
tun.


Mit vorzüglicher Hochachtung