Sehr geehrte Herren!
Die Eindrücke von den Proben
zusammenfassend, möchte HerrKraus Ihnen sagen, daß
ihm Ihr Versprechen einer „sorgfältigsten Ein
studierung und zwar tunlichst
im Sinne der von Herrn Kraus inaugu
rierten Offenbach-Renaissance“ insoweit erfüllt scheint, als er
zwar
im Sinn jener Offenbach-Renaissance vorfand. Freilich dazu den
guten
Willen, zu manchem schon
erreichten Guten auch die empfohlenen Ver
besserungen und Veränderungen
dort vorzunehmen, wo eben ein Wider
spruch zwischen der Inszenierung
und dem Gedanken der Offenbach-Re
naissance auffiele, der auch den
befürchteten Widerspruch zu der Zi
tierung im Programmheft ergeben würde. Das Gesehene und Gehörte –
vor allem jedoch das Gesehene –
ließ Ihren Wunsch vom 11. Januar, daß
Herr Kraus dem Theater „durch
künstlerische Einflußnahme an die Hand
gehe“, begreiflich
scheinen. Was ihm aber an Ort und Stelle weniger
begreiflich schien, war das
Ansinnen, die Leistung auch dort gutzu
heißen, ja durch Erscheinen bei
der Erstaufführung zu verantworten, wo
sich der künstlerischen
Einflußnahme deutlich und zugestandenermaßen
eine außerkünstlerische Erwägung
entgegenstellte. Rechtlich liegt die
Sache nun allerdings so, daß der
Autor nach dem vorhandenen Vertrag
mit dem Verlage keinen andern geistigen Anspruch hat als den auf
die
Unversehrtheit der
Quantität des von ihm für die Aufführung eingerich
teten Textes. Wenn ihm aber ein
künstlerischer Einfluß durch prakti
sche Mitarbeit eingeräumt wird,
so könnte, wenn schon hieraus kein
rechtlicher Anspruch abzuleiten wäre, füglich doch eine Anerkennung
dessen, was ihm als Verletzung
des künstlerischen Gutes erscheint,
von ihm nicht zu verlangen und
nicht zu erwarten sein. Eine solche Ver
letzung scheint ihm hauptsächlich
durch die „bühnenbildnerische“ Ge
staltung bewirkt wie durch jene
bloß im Bereich des neuen Operetten
unfugs möglichen Tanzbewegungen,
die die musikalischen und sprachli
chen Werte gleichermaßen
alterieren. Tanzen hat in „Madame
l’Archiduc“
nur Raum, wo
es sinngemäß und organisch der Handlung entspricht: buch-
stäblich also im Finale des 2.
Aktes, wenn der närrische Hof sich auf
eine Tanzreise, fast auf eine
Springprozession begibt. Der Abschluß der
Szene mit einem regelrechten
Cancan, wie es eigentlich gedacht ist, oder
doch mit Springen und Hüpfen,
käme dem Wesentlichen der Sphäre ungleich nä
her als die dekorative
Herablassung der Krone (in dem sonst ganz entsprechendem Ahnensaal). Außerdem
tritt der Tanz
noch während des
Gesanges der Marietta, („… man tanzt in der
Rund“)
tatsächlich in
seine Rechte. Keineswegs jedoch mit dem Beineschlenkern
des Fortunato und der kleinen
Soldaten, sei es beim Entree sei es beim
Chor des III. Akts. Für
Girl-Übungen ist weder diese Musik noch diese
Versübersetzung geschaffen
worden, und jegliche Verbindung des Begriffes
der „kleinen Soldaten“ mit
solchem Unwesen heutigen Amüsiertheaters wird
abgelehnt. Die zum Glück
aufgegebene Idee, zu Beginn die kleinen Solda
ten vor dem Publikum defilieren
zu lassen, wäre wirksamer zu einem Auf
tritt durchs Parkett zu steigern
gewesen, wie es dem Usus bei Reinhardt
entspricht. Noch bessere
Restaurateure, wie etwa der vorbildliche
Steinmeier, würden auf der Suche nach dem Zeitgemäßen und zugleich Zug
kräftigen auch den
Gedanken nicht verschmähen, jene dem Publikum beider
Geschlechter auf den Schoß setzen
zu lassen. Es ist möglich, daß ein
Theater nach den vorhandenen Verträgen auch mit Offenbach und seinem
deutschen Textautor solche Schlager zu verbinden berechtigt wäre. Aber
niemals könnte auch die
Anerkennung erzielt werden, daß damit die von
Herrn Kraus inaugurierte Offenbach-Renaissance ins Werk gesetzt sei.
Ebensowenig wäre solche
Anerkennung für szenische Einfälle zu erreichen
wie die Flankierung sämtlicher
Bilder durch Schildwachhäuschen, die Ver
quickung sämtlicher szenischen
Gelegenheiten mit dem Motiv der Herzen
und Herzchen, und dergleichen
Überflüssigkeit einer Symbolisierung, wel
che wieder in groteskem
Widerspruch zu der Überflüssigkeit jener Reali
sierung steht, die dem Wirtshaus
die numerierten Hotelzimmertüren auf
gesetzt hat – mit dem hingemalten
Stiefel, der ablenkt und geradezu
ein Hemmschuh der primärsten Theaterwirkung werden könnte. Der Autor
des deutschen Textes, welcher zu
solchem Unfug keinerlei Handhabe bie
tet, weist grundsätzlich darauf
hin, daß solche szenische Willkür im
dritten Akt zur Streichung der
Stelle „unter den
Bäumen“ geführt hat,
weil eben in einem Park, der ein Kasernhof ist, keine Bäume vorgesehen
sind, und er möchte Sie fragen,
was man unternommen hätte, wenn das Mo
tiv der Bäume in gebundener
Sprache vorkäme. Er verwahrt sich dagegen,
daß die Freizügigkeit der
dekorativen Phantasie den Text, an den sie sich
zu halten hätte, behindert. Er
spricht die Erwartung aus, daß Ihre Zusa
ge, solchen Unfug, soweit er als
noch abstellbar erkannt wurde, abzustel
len, schon in der Erstaufführung,
der er nicht persönlich beiwohnen kann,
erfüllt sein wird. Es handelt
sich ihm keinesfalls darum, gegen die Kon
zessionen, die
eingestandenermaßen einem angeblichen „Geschmack“ der Ge
genwart gemacht werden sollen,
einen angeblichen „Geschmack von 1875“ zu
verteidigen. Wären damals die
Inszenierungen nach einem Geschmack von 1875
erfolgt, so wären sie heute
veraltet. Aber sie sind damals bloß in einer
besseren Einsicht erfolgt, als
sie das heutige Theater hat: in das Wesen
des Theaters und in die
Zeitentrücktheit des Wesens der Operette. Alles
Zeitgebundene, ob es nun der
Gegenwart angehört oder einer dem Gedächtnis
erreichbaren Vergangenheit, das
verstandesmäßig Kontrollierbare, hat von
der Szene der Operette entfernt
zu werden, wie jener Bart des Minister
darstellers, der gewiß eher aus
dem Jahr 1875 stammt und ganz so wenig
mit „Madame l’Archiduc“ und dem Begriff der Operette zu schaffen hat
wie
die Herzkaserne mit
Kakteen als Kasernhofblüte, wie der Pavillon der Grä
fin und alles was sich der
Bühnenbildner unter dem vorgeschriebenen her
zoglichen Park vorgestellt hat
(und was der Textautor, dem das Werk ja
auch einigermaßen bekannt ist,
sofort als eine Kreuzung aus Tempelhof und
Tunis agnoszieren konnte). Dies Gesehene mag auf anderem Gebiet oder in
einem anderen Stück
außerordentlich wertvoll sein, mit Offenbach und Madame l’Archiduc hat es
nichts zu schaffen, und es steht auch in sichtba
rem Widerspruch zu den Kostümen,
die der Vorstellung eines uns hinreichend
entrückten Zeitalters durchaus
gerecht werden. Herr Kraus, der den ebenso
sichtbaren Widerspruch zu Offenbach und den in Ihrem Programm zitierten
Leitsätzen noch schmerzlicher
empfindet, zweifelt nicht, daß der Regisseur
allen ihm dargelegten
Intentionen gerecht werden und keine dahingehende
Zusage unerfüllt lassen wird. Es
handelt sich um die Unkenntlichmachung
alles allzu spielerisch
Naturgetreuen wie allzu spielerisch Symbolisie
renden, kurz alles
Kunstgewerblichen, das der Entfaltung echten Bühnen
lebens hier wie seit Jahrzehnten
(nicht 1875, aber 1895) im Wege steht.
Was dessen eigenste
Möglichkeiten bei der Prager Aufführung be
trifft, so war gewiß manches
anzuerkennen, das sich bei Ausführung der
empfohlenen Korrekturen durchaus
bewähren wird. Leider war es ja Herrn K.
nicht möglich, den damals
erkrankten Darsteller des Erzherzogs zu beur
teilen, und bloß möglich, ihm die
Rolle vorzusprechen. Doch wäre noch ein
mal darauf hinzuweisen, daß es
sich hier um keinen Thaddädl-Typus handelt,
wie er etwa einem an Herrn Tautenheyn geschulten Publikumsgeschmack ent
sprechen könnte,
sondern um einen „Charakterkomiker“, dessen burleskes
Tun des tragischen Beisatzes
nicht entbehrt, wie ihn ja der Ausbruch
seiner Liebesraserei und der ihm
folgende Niederbruch deutlich bekun
den.
Mit allem Dank des Herrn Kraus für die Mühe, die schon vor
seinem Eintreffen
aufgewendet wurde, für die der gemeinsamen Arbeit und
für den unbezweifelbaren
guten Willen, auch allen Anforderungen, die
sich unabweislich ergaben,
noch gerecht zu werden, zeichnen wir
in vorzüglicher Hochachtung