Wer hat die Ohrfeigen bekommen?Die demolirte LiteraturHerold Berlin, 30.1.1932Neues Wiener JournalDie FackelNeues Wiener Journal, 7.2.1932


12. Februar 1932.


Dr.S/Fa.


An das
Strafbezirksgericht IWien.


Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in
Wien III., Hintere Zollamtsstrasse 3,
durch:


Beschuldigter: Hans Tabarelli, verantwortlicher
Redakteur des „Neuen Wiener Journal“ in
Wien I., Biberstrasse Nr. 5,


wegen Ehrenbeleidigung
begangen durch die Presse


1 fach
1 Vollmacht
1 Beilage


Privatanklage.


Am Sonntag den 7. Februar 1932 erschien in
der Nr. 13726 auf Seite 12 im ‚Neuen Wiener Journal‘, dessen
verantwortlicher Redakteur der Beschuldigte ist, ein Artikel
unter dem Titel „Wer hat die Ohrfeigen bekommen?“, der aus
dem Berliner Herold vom 30. Januar 1932 abgedruckt war. Durch
die folgenden Stellen dieses Artikels wurde der Privatankläger dem öffentlichen Spott ausgesetzt:


a) „‚Herr Ober, einen Knobel-Penez für Herrn Kraus!‘ (Ein
Knobel-Penez, ein mit Gänsefett und Knoblauch be
strichenes geröstetes Brot, ist eine bei österreichi
schen Ethikern beliebte rituelle Speise.)“


b) „… ich bestellte, ohne mich mit den Jüngern in einem
Disput einzulassen, die für den Meister bestellte Knob
lauchspeise ab.“


c) „Ich bedaure den Vorfall also, weil ich Herrn KarlKraus viel zu gering schätze, als dass ich ihn je per
sönlich beleidigen würde.“


d) „Wenn mich etwas dabei tröstet, so ist es … der Um
stand, dass ich dem meist geohrfeigten Ethiker der
Gegenwart nicht die Gelegenheit gab, ausnahmsweise
seinen Gegner attackiert zu sehen.“


Der Autor des Artikels ist, wie aus dem
Strafakt dieses Gerichtes G.Z. U IV 570/26 hervorgeht, ein
im Solde des steckbrieflich verfolgten Erpressers Bekessy
tätig gewesener Journalist, von dem es bekannt ist (und ja
aus dem Artikel selbst hervorgeht), dass er in einer Art von
Hassliebe jede nur mögliche Gelegenheit erstrebt, in irgend
eine Verbindung mit dem Privatankläger gebracht zu werden.
Er selbst ist von der Unwahrhaftigkeit seiner Darstellungen,
die sich auf den Privatankläger beziehen, überzeugt, wie
er ja durch die Verulkung seiner eigenen Privatperson als
eines Berufsschnorrers den Unernst seiner publizistischen
Betätigung bekennt. Auch die dargestellte Szene hat sich in
Wirklichkeit ganz anders abgespielt: die Gesellschaft, die
in dem abgesonderten Raum sass, vernahm den freilich an und
für sich unziemlichen Ruf „ein Bier für den Herrn Kraus!“,
worauf der etwas angeheiterte Rufer von seiner Umgebung be
ruhigt worden sein soll. Der Witz mit „Knobel-Penez“ ist
offenbar nachträglich erfunden worden, um das Erlebnis für
den Autor interessanter zu machen. Erheblich ist dagegen
allerdings die Uebernahme eines solchen journalistischen
Exzesses durch eine leider viel gelesene Tageszeitung. Der
Beschuldigte hat durch diese Uebernahme, sei es, dass er den
Artikel vor der Drucklegung gelesen und zum Druck befördert
hat, als Täter, sei es, dass er ihn nicht gelesen hat, wegen
Vernachlässigung der pflichtgemäßen Obsorge sich strafbar
gemacht.


Es ist nicht unwichtig, den wahren Sach
verhalt, der der Verspottung mit dem Ausdruck „der meistge
ohrfeigte Ethiker der Gegenwart“ zu Grunde liegt, zur Kennt
nis des Gerichtes zu bringen. Der Privatankläger wurde im
Jahre 1896 von einem Wiener Journalisten attackiert, wie
dieser angab wegen einer Wendung in der Literatursatire
Die demolierte Literatur“, der er eine falsche Deutung gab,
indem er sie fälschlich als einen jener Eingriffe ins Privat
leben interpretierte, wie sie so häufig im „Neuen Wiener in der Presse
Journal“ zu finden sind, in Wahrheit war er wegen der an
seinem unzulänglichen Deutsch geübten Kritik aufgebracht. Er
wurde wegen Beleidigung vom Bezirksgericht Josefstadt ver
urteilt. Im Jahre 1899 wurde der Privatankläger von mehreren
Literaten gemeinsam und zwar wegen eines die Korruption des
Wiener Theater- und Literaturlebens betreffenden Aufsatzes in
der ‚Fackel‘ überfallen und verletzt; sämtliche Angreifer
wurden von der Staatsanwaltschaft angeklagt und teils zu
Arreststrafen im Ausmass von 10 beziehungsweise 8 Tagen, teils
zu hohen Geldstrafen verurteilt. Im Jahre 1905 wurde der
Privatankläger von einem Kabarettunternehmer und seiner Lebensgefährtin attackiert und verletzt. Die Staatsanwaltschaft
erhob die Anklage und die in der ersten Instanz über den Mann
verhängte Arreststrafe von einem Monat wurde wegen des mil
dernden Umstandes seiner Trunkenheit in eine hohe Geldstrafe
umgewandelt, die der Frau herabgesetzt.


Man wird wohl zugeben, dass die hier be
zeichneten in der Zeit 38 bis 27 Jahre zurückliegenden Straf
taten, die an dem Privatankläger verübt wurden und schon da
mals die Empörung ehrenhafter literarischer Kreise erregt
hatten, unmöglich das Substrat einer die Ehre herabsetzenden
Schmähung, sondern lediglich das einer niedrigen Verspottung
bilden können.


Ich stelle durch meinen mit beiliegender
Vollmacht ausgewiesenen Anwalt folgende Anträge auf
1.) Anberaumung einer Hauptverhandlung;
2.) Ladung des Beschuldigten;
3.) Verlesung des inkriminierten Artikels;
4.) Bestrafung des Beschuldigten;
5.) Veröffentlichung des Artikels;
6.) Verfall der Zeitungsnummer mit dem inkriminierten Artikel
7.) Verpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteilten Hand
mit ihm des Herausgebers und Eigentümers des ‚Neuen WienerJournals ‘ der Firma Lippowitz & Co., vertreten durch Karl Reichl
in Wien I., Biberstrasse 5 zum Ersatz der Verfahrenskosten.


Karl Kraus.
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