Hochgeehrter Herr Doktor!
Leider gelangt Herr Karl Kraus erst
jetzt dazu, auf Ihre
freundliche
Übermittlung des Schreibens vom 23. III., das der Herr Chefredakteur der Wiener
Mittagszeitung und der Wiener Allgemeinen
Zeitung
an Sie gerichtet hat, zu
antworten. Er hat den Sachverhalt geprüft und
ist nunmehr der Ansicht, daß sich
prozessual weder ein neuer Abdruck der
Erklärung noch auch nur deren
Ergänzung erzwingen lassen dürfte. Ihr
Verlangen erscheint durchaus
begründet durch den Hinweis, daß der Leser
der Erklärung ohne Sperrdruck des
Klägernamens nicht wissen konnte, für
welche der dort genannten
Personen sie eigentlich ausgestellt sei, und
selbstverständlich hätte eine
Zeitung, die sich so lebhaft befliß, von
dem Rotzbuben, dem sie ihre
Spalten geöffnet hatte, wieder abzurücken,
nicht zögern dürfen, das
Versehen, wofern der Fehler nur ein solches
war, gutzumachen. Aber Ihr
Verlangen beruht auf der Meinung, daß die
Sperrung des Namens in der
Schreibmaschinschrift als solche eine hinrei
chende graphische Anweisung sei.
Das ist leider nicht der Fall, da sich
ein Sperrdruck gemeinhin nur
durch Unterstreichung sichern läßt. Die Redaktion könnte trotz der
mündlichen Weisung, die der gegnerische Anwalt
übermittelt hatte, sich auf
ihren damaligen guten Glauben berufen, daß
die von ihr dem Druck übergebene
Schrift, die ja wie sich herausstellt,
später als die Mitteilung des Anwalts eintraf, eo ipso die gewünschte
Form aufweise. Die Meinung des
Herrn
Chefredakteurs allerdings, daß Herr
Karl Kraus „ebenso
gut“ einen nochmaligen Druck verlangen könnte, wenn
der Name gesperrt erschienen
wäre, „weil dies im Manuskript nicht so an
geordnet worden war“,
ist hinfällig. Der Leser des Manuskripts
konnte,
wenn er mit Bewußtheit
zu entscheiden hatte, nicht zweifeln, daß eher
der Sperrdruck gewünscht werde,
den zu verpönen ja sicherlich kein Grund
vorlag. Für einen Prozeß wäre die
Sache des Herrn
Chefredakteurs gewiß
aussichtsvoller, wenn er sich nicht auf eine Erwägung, die vor dem Druck
erfolgte, sondern auf guten
Glauben, Betriebseile und Druckerbrauch be
riefe.
Wie immer aber dem sein mag, und
wenn Herr Karl
Kraus sonst
für den Prozeß gewesen wäre, so
möchte er nun doch von diesem abstehen,
und zwar wegen der Eröffnung des
Herrn
Chefredakteurs, daß er, falls
Herr Kraus auf
seinem Recht beharrt, sich vorbehalte, „die
ganze Sache
publizistisch
zur Austragung zu bringen“. So wenig Herr Kraus
wissen
kann, wie weit da die
Mittagszeitung gehen und ob sie den Wunsch, daß
sie seinen Namen in Sperrdruck
bringe, bloß als die Absicht einer Schi
kane oder auch als einen Beweis
der Reklamesucht und Eitelkeit enthüllen
könnte, so ist Ihnen doch
bekannt, daß er jede Art von Polemik scheut.
Er kennt sich in diesen Dingen,
wie Sie wissen, nicht sehr gut aus, und
er wird sich hüten, mit Kräften
der Mittagszeitung und des 6 Uhr Blatts
anzubinden. Er fürchtet die
Presse wie ein Schauspieler, Bankdirektor,
Ehebrecher oder sonstiger
Prominenter, und wiewohl er weiß, daß speziell
den Blättern, denen der Herr Chefredakteur
vorsteht, nur jene geringfü
gige textliche Gelegenheit offen
bleibt, die ihnen die Herrenschneider
und die Schönheitspflegerinnen
übrig lassen, und selbst diese noch von
den Theateraffären in Anspruch
genommen wird, so scheut er doch nichts
mehr als mit der Öffentlichkeit
zu tun zu haben. Wir können Ihnen auch
anvertrauen, daß die Drohung des
Herrn
Chefredakteurs, die ganze Sache
publizistisch auszutragen, sie
also ungeachtet des Zivilrechtsweges
gleich vor die höchste Instanz,
die es im Staatswesen gibt, zu bringen,
Herrn Kraus
dermaßen konsterniert hat, daß er sich nicht sogleich dazu
äußern konnte. Nervöse
Erscheinungen, darunter ein Lachkrampf, der sich
seiner bemächtigte und dessen
Folgen noch immer nicht ganz verschwunden
sind, haben – nebst Verhinderung
durch sonstige Arbeit – die Erledigung
Ihres Wunsches, sich zu dem Schreiben des Herrn Chefredakteurs zu stellen,
verzögert, und er darf wohl
vermuten, daß dieser die Nichtbeantwortung
bereits darauf zurückgeführt
habe, daß seine Drohung gewirkt und HerrKraus
klein beigegeben hat. Das ist ja nun tatsächlich der Fall und
jetzt, da Herr Kraus sich
beruhigt hat und der ganzen Sache objektiver
gegenübersteht, möchte er Sie
bitten, sich gleich ihm mit dem Erfolge
zu begnügen, daß die Mittagszeitung
Abbitte geleistet und eine Ehrenerklärung abgegeben hat
(mögen auch nicht alle Juden verstanden haben, für
wessen Ehre); daß sie die Kosten
bezahlt, den Täter, wie versprochen
wurde, zur Verantwortung gezogen, und vor allem damit, daß sie die Buße
auf sich genommen hat, blinden
Kindern zu einem Radioapparat zu verhel
fen – alles anerkennenswerte
Leistungen, die das Ehrgefühl gebot, wäh
rend sie „zeitungsmäßig bei einer Verurteilung bedeutend besser abge
schnitten hätte“.
Mit dem wiederholten Dank
des Herrn Karl
Kraus für Ihre
Bemühungen um dieses
Resultat und mit dem Ausdruck unserer
vorzüglichsten
Hochachtung
VERLAG „DIE FACKEL“