Abschrift.
2 U 588/33
Im
Namen der Republik!
Das Strafbezirksgericht Wien I als Pressegericht
hat heute in Gegenwart des
Privatanklagevertreters Dr.
Oskar
Samek und des Verteidigers Dr. Herbert
Schreuer über
die
Anklage, die
der Privatankläger Karl Kraus gegen AlfredKinast, 34 Jahre
alt, verh., verantwortlicher Schrift
leiter, erhoben
hatte, nach durchgeführter Haupt
verhandlung zu
Recht erkannt:
Alfred Kinast ist schuldig,
er habe im Juli 1933
in Wien als verantwortlicher Schriftleiter der
Zeitung
„Oesterreichisches Abendblatt“ hinsichtlich
der
Stellen:
a) „Damit
verschwindet eines der übelsten
Presseprodukte
aus dem öffentlichen Leben.“
b) „Jahre
hindurch, seit dem Zusammenbruch,
konnte die ‚Fackel‘ ungehindert erscheinen
und hoch
verräterische Tendenzen, insbesondere in die Jugend
tragen.“
c) „… die man in
vaterländischen Kreisen längst
das ‚Rote Mal‘ genannt hatte.“
d) „… ein commis voyageur der eigenen Unbegabung …
…“
e) „So hat es
dieser, allerdings rötlich angehauchte
Vorfahre Theo Habichts …“
f) „… nachdem er
wegen seiner persönlichen
Angriffe – er liebte es, Privatangelegenheiten, die reine
Privatangelegenheiten
waren, zu besabbern – öfters gezüch
tigt worden
war.“
g) „Worauf der
Goldfüllfederkönig – ein wür
diger
Partner
Kraus’ –
ein Plakat drucken liess
mit der Aufforderung an Schober, nicht
abzutreten. Der
Polizeipräsident blieb und Kraus war seither eine
lächer
liche
Figur geworden“.
h) „Das Organ des
destruktiven, sich ‚literarisch‘
gebärenden, in
Wirklichkeit aber unfruchtbaren, schwächlichen
und zersetzenden, in
seinen Prätentionen aber
ungeheuer aufgeblasenen ‚Jüngltums‘ existiert
nicht
mehr.“
in dem Aufsatz „Die Fackel eingestellt“ in Folge
84 der genannten Zeitung vom 17. Juli 1933, deren
Inhalt die Uebertretung
gegen die Sicherheit der
Ehre
und zwar in den mit a, c, d, g und h bezeichneten
Stellen gemäss § 491 StG, in den mit b, e, f, bezeich
neten Stellen
gemäss § 488 StG. begründet, jene Sorgfalt
vernachlässigt, bei deren
pflichtmässiger Anwendung die Auf
nahme des
strafbaren Inhaltes unterblieben wäre.
Er hat hiedurch die
Uebertretung nach § 30Pr.G. begangen
und wird nach dieser Gesetzesstelle
zu einer Geldstrafe von
S 200.– (zweihundert
Schilling),
im
Nichteinbringlichkeitsfalle zu 4 Tagen Arrest,
und gemäss § 389 StPO. zum Ersatz der Kosten des
Strafverfahrens verurteilt.
Er wird ferner gemäss § 43/2 Pr.G. verpflichtet,
dieses Urteil (ohne Gründe)
binnen 1 Woche nach
Rechtskraft in der Zeitung „Neues Wiener Journal“ zu
veröffentlichen.
Gemäss § 41/1 Pr.G. wird die Folge 84 der
Zeitung „Oesterreichisches Abendblatt“ vom 17.Juli 1933 für
verfallen erklärt.
Gemäss § 5/2 Pr.G. haftet der VaterländischePressverein als Eigentümer und Herausgeber der
genannten Zeitung für die Geldstrafe und die
Kosten
des
Strafverfahrens zur ungeteilten Hand mit dem
Verurteilten.
Entscheidungsgründe:
Durch das Impressum und die
Angaben des Verteidigers ist erwiesen, dass der Angeklagte der
verantwortliche
Schriftleiter der Folge 84 der Zeitung„Oesterreichisches
Abendblatt“ war, in der unter
der Ueberschrift „Die Fackel eingestellt“ ein Aufsatz
erschienen ist, der die im
Urteilsspruche zitierten
Stellen enthält.
In den mit b) und e)
bezeichneten Stellen wird dem
Privatankläger hochverräterische Tätigkeit zum Vor
wurfe gemacht,
ohne dass die Behauptungen so weit
gingen, dass
strafgesetzliche Tatbestände behauptet
würden.
Die mit f) bezeichnete
Stelle stellt die Be
hauptung auf, dass der Privatankläger wiederholt
gezüchtigt worden sei, weil
er Privatangelegenheiten
„besabbert“, also öffentlich breit getreten habe.
Die Privatanklage
bezeichnet diese Darstellung als entstellt,
weil der Privatankläger zwar
einigemale tätlich misshan
delt worden sei, aber jedesmal grundlos in einer Weise,
die zur Verurteilung der
Täter geführt habe. Der
Beschuldigte
hat zu keinem der erwähnten Punkte einen Wahr
heitsbeweis
angeboten. Es müssen daher die Behaup
tungen als
erdichtet, beziehungsweise (zu Punkt f) als
entstellt betrachtet werden.
Diese Stellen begründen
daher den Tatbestand der
Uebertretung des § 488 StG.
In den mit a) und c)
bezeichneten Stellen wird die vom
Privatankläger
herausgegebene Zeitschrift „Die
Fackel“
als übles
Pressprodukt und „Rotes Mal“ bezeichnet.
Beide Bezeichnungen gehen
über das Mass der sachli
chen Kritik hinaus, indem sie den Privatankläger
böswillig Tendenzen zum
Vorwurfe machen.
Die unter h) ausgeführte
Stelle macht dem
Privatankläger
ungeheuer aufgeblasenes Jüngltum zum Vor
wurfe.
Die Stellen a), c) und h)
begründen daher Schmähungen
nach § 491 StG. erster Tatbestand.
Die unter d) und g)
angeführten Stellen begründen
Verspottungen des Privatanklägers. Er wird als
„commis
voyageur der eigenen Unbegabung“, „als
ein würdiger Partner des
Goldfüllfederkönigs“ und
als „lächerliche
Figur“ bezeichnet und damit in einer
Weise lächerlich gemacht,
die geeignet ist, ihn
vor der
Oeffentlichkeit im Ansehen herabzusetzen.
Da der Angeklagte Alfred Kinast
angegeben hat,
dass er den
vorerwähnten Aufsatz weder verfasst,
noch
in Kenntnis des
Inhaltes zum Drucke befördert habe,
konnte der Angeklagte lediglich nach
§ 30 Pr.G. zur
Verantwortung gezogen werden.
Bei der Strafbemessung war
mildernd die damals
bestandene Unbescholtenheit des Beschuldigten,
erschwerend die objektive
Schwere und Mehrheit
der
Beleidigungen.
Die über den Angeklagten
verhängte Strafe ist
daher
seinem Verschulden angemessen.
Weiters wurde er gemäss § 43/2 Pr.G. verpflichtet,
das Urteil in der Zeitung
„Neues
Wiener Journal“
zu
veröffentlichen, weil der Privatanklagevertreter
dem
Gerichte glaubhaft gemacht hat, dass
„begleitende
Umstände“ insoferne vorliegen, als die Zeitung „Oesterreichisches
Abendblatt“ nicht mehr erscheint, weshalb die
Veröffentlichung in einer
anderen Zeitung geboten ist.
Mit Rücksicht darauf, dass
der Leserkreis des
„Neuen Wiener
Journals“ vermutlich teilweise
sich mit jenem des „Oesterreichischen Abendblattes“
deckt, wurde aus
Zweckmässigkeit die Veröffentli
chung im „Neuen Wiener
Journal“ aufgetragen.
Der Verfall des
beschlagnahmten Druckwerkes
war über Antrag des Privatanklagevertreters zwingend
auszusprechen.
Die übrigen Aussprüche des
Urteiles gründen sich
auf die
bezogenen Gesetzesstellen.
Wien, am 16. November 1933.
Der Richter: Der
Schriftführer:
LGR. Dr. Standhartinger m.p. Dr. Garnhaft m.p.
Für die Richtigkeit der
Ausfertigung:
Strafbezirksgericht I in Wien
II., Schiffamtsgasse 1
Abt. 2, am 4.12.1933.
[Unterschrift]