Abschrift.
2 U
614/33
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Im Namen
der Republik!
Das Strafbezirksgericht I in Wien
als Presse
gericht hat
heute in Gegenwart des Privatanklagever
treters Dr. Oskar Samek und des
Verteidigers
Dr. Herbert Schreuer über die Anklage, die der Privat
ankläger Karl Kraus gegen
Wilhelm Robert Marx, 46 Jahre
alt., verh., verantwortlicher
Schriftleiter, erhoben
hatte,
nach durchgeführter Hauptverhandlung zu Recht
erkannt:
Wilhelm Robert Marx ist schuldig, er habe im
August 1933 in Wien als verantwortlicher Schrift
leiter der Zeitung „Oesterreichisches Abendblatt“
hinsichtlich der Stellen:
a) „… des nicht ganz reinrassigen
Wiener
Bolschewiken Karl
Kraus.“
und b)
„… des
berüchtigten Wiener Kre
tzerich“ in der
Rubrik „Von Abend zu Abend“ in Folge113 der genannten Zeitung vom
21. August 1933, deren
Inhalt die Uebertretung gegen die Sicherheit der
Ehre nach § 491 StG. begründet, jene Sorgfalt vernach
lässigt, bei deren
pflichtmässiger Anwendung die
Aufnahme des strafbaren Inhaltes unterblieben
wäre.
Er hat hiedurch die Uebertretung
nach § 30 Pr.G.
begangen und wird nach dieser
Gesetzesstelle zu einer
Geldstrafe von
100 (hundert)
Schilling
im Nichteinbringlichkeitsfalle
zu 48 Stunden Arrest
und gemäss
§ 389 StPO. zum Ersatze der Kosten
des Strafverfahrens verurteilt.
Er wird ferner gemäss § 43 (2) Pr.G. verpflichtet,
dieses Urteil binnen 8 Tagen nach
Rechtskraft in der
Zeitung „Neues Wiener Journal“ zu veröffent
lichen.
Gemäss § 41/1/ Pr.G. wird die Nummer 113 derZeitung
„Oesterreichisches Abendblatt“ für ver
fallen erklärt.
Gemäss § 5 (2) Pr.G. haftet der vaterländischePressverein als Eigentümer und Herausgeber der ge
nannten Zeitung für die Geldstrafe und die Kosten
des Strafverfahrens zur
ungeteilten Hand mit dem
Verurteilten.
Entscheidungsgründe:
Durch das Impressum und die
Angaben des
Verteidigers ist erwiesen, dass der Angeklagte der
verantwortliche Schriftleiter der Nummer
113 derZeitung
„Oesterreichisches Abendblatt“ war, in
der ein Aufsatz erschienen ist, der die im
Urteilsspruche zitierten Stellen
enthält. In diesen
Stellen wird
der Privatankläger nach zwei Richtungen
beleidigt. Der Privatankläger wird in
a) als nicht ganz reinrassiger
Wiener Bolsche
wik
bezeichnet und dadurch dem öffentlichen Spotte
ausgesetzt.
In der Stelle b) wird vom Privatankläger als berüch
tigten Wiener „Kretzerich“ gesprochen.
Nach der Auslegung des Privatanklägers bedeu
tet „Kretzerich“ soviel wie
„krätzig“, während
der Beleidiger den Standpunkt vertritt, dass das Wort
von Kratzen im Sinne von
Schreiben komme. Es bedeutet
jedoch die eine wie die andere Version eine Verspottung.
Das Attribut „berüchtigt“ ist
eine Schmähung im
Sinne des § 491 StG.
Da der Angeklagte Wilhelm Robert Marx angegeben
hat, dass er den vorerwähnten Aufsatz weder
verfasst, noch in Kenntnis des
Inhaltes zum Drucke
befördert
habe, konnte der Angeklagte lediglich
nach § 30 Pr.G. zur Verantwortung gezogen werden.
Ein Beweis berechtigter Kritik
hinsichtlich des
Wortes
„berüchtigt“ wurde nicht einmal angeboten,
war daher mit einem Schuldspruche
vorzugehen.
Bei der Strafbemessung war
mildernd das
Geständnis, die
damalige relative Unbescholtenheit,
erschwerend kein Umstand.
Die über den Angeklagten verhängte Strafe ist daher
seinem Verschulden angemessen.
Weiters wurde er gemäss § 43/2/ Pr.G. ver
pflichtet, das Urteil in der Zeitung „NeuesWiener
Journal“ zu veröffentlichen, weil der
Privatanklagevertreter dem Gerichte
glaubhaft gemacht
hat, dass die Zeitung „Oesterreichisches Abendblatt“
nicht mehr erscheint, weshalb die
Veröffentlichung in
einer anderen
Zeitung geboten ist. Mit Rücksicht darauf,
dass der Leserkreis des „N. W. J.“ vermutlich teil
weise sich mit jenen des „Oesterreichischen Abendblattes“ deckt, wurde die
Veröffentlichung in
„N. W. J.“ angeordnet.
Der Verfall des beschlagnahmten
Druckwerkes war
über Antrag des Privatanklagevertreters zwingend aus
zusprechen.
Die übrigen Aussprüche des
Urteiles gründen
sich auf die
bezogenen Gesetzesstellen.
Wien, am 16. November 1933.
Der Richter:
LGR. Dr. Standhartinger m.p.
Der Schriftführer:
Dr. Garnhaft m.p.
Für die
Richtigkeit der Ausfertigung:
Strafbezirksgericht I in WienII.,
Schiffamtsgasse 1
Abt. 2, am 24.XI.1933.
Ruzicska