Sehr geehrter Herr Kollege!
Da ich nicht weiss, ob Sie
schon wieder
in Prag oder noch an Ihrem Urlaubsort sind, sende ich diesen
Brief an beide Adressen. Zu
besprechen hätte ich mit Ihnen
drei unerledigte Fragen.
1.) Das Vorgehen, wegen der
Behauptung, die Werke von KarlKraus würden „im Ramsch verkauft“.
Aus Ihrem Brief vom13. Juli 1934
glaube ich herauslesen zu können, dass Sie
gegen die Klage auf Widerruf
und dessen Veröffentlichung
sind. Jedenfalls scheinen Sie Bedenken dagegen zu haben.
Offenbar ist Ihnen der
Begriff, Bücher werden im Ramsch
verkauft, nicht ganz
geläufig. Damit soll ausgedrückt wer
den, dass der Ladenpreis der
Bücher, um sie überhaupt an
bringen zu können, auf einen
geringen Teil des ursprünglichen
Preises herabgesetzt werden
müsste und dass sie regulär nicht
mehr verkauft werden können.
Ich bitte Sie, mir unter
Berücksichtigung dieser Begriffs
stellung mitzuteilen, ob Sie
jetzt die Klage für aussichts
voller halten.
2.) Mit Schreiben vom 25. Juli 1934 sandten Sie die Nummer 29des 2. Jahrganges des
Gegen-Angriffs ein, wo nunmehr die
Erklärung richtig abgedruckt war. Auf der nächsten Seite
war
ein
Feuilleton-Artikel unter dem Titel „Mut,
Verrat oderFeigheit?“. Ich glaube, dass dieser Artikel wieder eine Be
leidigung darstellt, weshalb
ich Sie bitte, sich die Nummer
zu verschaffen und mir Ihre
Meinung mitzuteilen. Besonders
beleidigend ist die Fragestellung, aus der hervorgeht, dass
der Schreiber der Ansicht ist, das Schreiben des Herrn Kraus
sei auf Verrat oder Feigheit
zurückzuführen, und der vor
letzte Absatz des Artikels mit dem folgenden Wortlaut:
„‚Karl Kraus hat
grosse Verdienste von früher her,‘ ver
suchen ihn seine immer mehr
und mehr schwindenden Freunde
zu entschuldigen. Ihnen sei geantwortet: es gibt Leute,
die trotz aller Verdienste
heute Hitlerbarden sind – laute
und schweigende. Was beweist das für die Gegenwart, was
einer früher war? Ein Herr mit besserer Vergangen
heit. Ich kenne eine
Klosettfrau, die früher einmal eine
grande Cocotte war. (Womit
aber nichts gegen Klosettfrauen
gesagt sein soll.)“
Ueberdies ist mir in Erinnerung
(Ihre Briefe
sind leider bei Herrn Kraus und ich
muss mich daher auf mein
Gedächtnis verlassen), dass vereinbart wurde, der ‚Gegen-Angriff‘ dürfe in der Nummer, in welcher die Erklärung abge
druckt wird, zu der Materie des
Beleidigungsprozesses nicht
Stellung nehmen. Ich erbitte mir Ihre Rechtsansicht, ob durch
den Artikel die Vereinbarung verletzt worden ist und welche
juristischen Möglichkeiten aus
dieser Verletzung Herrn
Kraus
zustehen.
3.) Die in der Nummer 30 des 2. Jahrganges vom 29. Juli 1934
enthaltene Bemerkung „Reserviert für Karl Kraus
Berichtigungen!“
halte ich zwar für eine
Verspottung, doch glaube ich, dass
die Sache so geringfügig ist, dass man ihretwegen einen Be
leidigungsprozess nicht einleiten
soll.
Indem ich Ihnen im Namen des
Herrn
Kraus
und auch im
eigenen Namen für Ihre Besorgnis aus Anlass der
Vorfälle in Wien herzlichst danke und die Mitteilung machen
kann, dass wir von Ihnen
nicht unmittelbar betroffen waren,
zeichne ich, Ihnen beste
Erholung wünschend,
mit vorzüglicher kollegialer
Hochachtung
als Ihr
ergebener