Der Gegen-Angriff, 26.7.1934Mut, Verrat oder Feigheit?Der Gegen-Angriff, 22.7.1934Erklärung


Sehr geehrter Herr Kollege!


Da ich nicht weiss, ob Sie schon wieder
in Prag oder noch an Ihrem Urlaubsort sind, sende ich diesen
Brief an beide Adressen. Zu besprechen hätte ich mit Ihnen
drei unerledigte Fragen.


1.) Das Vorgehen, wegen der Behauptung, die Werke von KarlKraus würden „im Ramsch verkauft“. Aus Ihrem Brief vom13. Juli 1934 glaube ich herauslesen zu können, dass Sie
gegen die Klage auf Widerruf und dessen Veröffentlichung
sind. Jedenfalls scheinen Sie Bedenken dagegen zu haben.
Offenbar ist Ihnen der Begriff, Bücher werden im Ramsch
verkauft, nicht ganz geläufig. Damit soll ausgedrückt wer
den, dass der Ladenpreis der Bücher, um sie überhaupt an
bringen zu können, auf einen geringen Teil des ursprünglichen
Preises herabgesetzt werden müsste und dass sie regulär nicht
mehr verkauft werden können.


Ich bitte Sie, mir unter Berücksichtigung dieser Begriffs
stellung mitzuteilen, ob Sie jetzt die Klage für aussichts
voller halten.


2.) Mit Schreiben vom 25. Juli 1934 sandten Sie die Nummer 29des 2. Jahrganges des Gegen-Angriffs ein, wo nunmehr die
Erklärung richtig abgedruckt war. Auf der nächsten Seite war
ein Feuilleton-Artikel unter dem Titel „Mut, Verrat oderFeigheit?“. Ich glaube, dass dieser Artikel wieder eine Be
leidigung darstellt, weshalb ich Sie bitte, sich die Nummer
zu verschaffen und mir Ihre Meinung mitzuteilen. Besonders
beleidigend ist die Fragestellung, aus der hervorgeht, dass
der Schreiber der Ansicht ist, das Schreiben des Herrn Kraus
sei auf Verrat oder Feigheit zurückzuführen, und der vor
letzte Absatz des Artikels mit dem folgenden Wortlaut:


„‚Karl Kraus hat grosse Verdienste von früher her,‘ ver
suchen ihn seine immer mehr und mehr schwindenden Freunde
zu entschuldigen. Ihnen sei geantwortet: es gibt Leute,
die trotz aller Verdienste heute Hitlerbarden sind – laute
und schweigende. Was beweist das für die Gegenwart, was
einer früher war? Ein Herr mit besserer Vergangen
heit. Ich kenne eine Klosettfrau, die früher einmal eine
grande Cocotte war. (Womit aber nichts gegen Klosettfrauen
gesagt sein soll.)“


Ueberdies ist mir in Erinnerung (Ihre Briefe
sind leider bei Herrn Kraus und ich muss mich daher auf mein
Gedächtnis verlassen), dass vereinbart wurde, der ‚Gegen-Angriff‘ dürfe in der Nummer, in welcher die Erklärung abge
druckt wird, zu der Materie des Beleidigungsprozesses nicht
Stellung nehmen. Ich erbitte mir Ihre Rechtsansicht, ob durch
den Artikel die Vereinbarung verletzt worden ist und welche
juristischen Möglichkeiten aus dieser Verletzung Herrn Kraus
zustehen.


3.) Die in der Nummer 30 des 2. Jahrganges vom 29. Juli 1934
enthaltene Bemerkung „Reserviert für Karl Kraus Berichtigungen!“
halte ich zwar für eine Verspottung, doch glaube ich, dass
die Sache so geringfügig ist, dass man ihretwegen einen Be
leidigungsprozess nicht einleiten soll.


Indem ich Ihnen im Namen des Herrn Kraus
und auch im eigenen Namen für Ihre Besorgnis aus Anlass der
Vorfälle in Wien herzlichst danke und die Mitteilung machen
kann, dass wir von Ihnen nicht unmittelbar betroffen waren,
zeichne ich, Ihnen beste Erholung wünschend,


mit vorzüglicher kollegialer Hochachtung
als Ihr ergebener