Der Gegen-Angriff, 10.8.1934Karl Kraus im AusverkaufDer Gegen-Angriff, 3.8.1934Mut, Verrat oder Feigheit?Der Gegen-Angriff, 22.7.1934Der Gegen-Angriff, 26.7.1934


Sehr geehrter Herr Doktor.


In Erledigung Ihres Briefes vom6. d.M. gestatte ich mir mitzuteilen:


1./ Klage auf Widerruf: Der Begriff „Bücher werden
im Ramsch verkauft“ war mir seiner Bedeutung nach klar und ich
wollte in meinem Briefe vom 13.VII. d.J. gegen die Ueberreichung
einer solchen Klage keine Bedenken äussern. Es lag mir nur daran,
darauf aufmerksam zu machen, dass unbedingt vermieden werden
muss, einen Prozess zu führen, wenn man nicht mit grösster Wahr
scheinlichkeit einen Erfolg erwarten kann. Die Tatbestandsmomente
des zweiten Absatzes des § 1330 A.B.G.B. müssen daher unbedingt
gegeben sein. Daher wird man nachweisen müssen, dass durch die
verbreitete Meldung, die Bücher des Herrn Kraus würden im Ramsch
verkauft, sein Erwerb gefährdet wird und ausserdem, dass der
Schreiber, resp. der verantwortliche Redakteur und Herausgeber
die Unwahrheit dieser Meldung kannte oder kennen musste.


Ich weiss nicht, ob es genügt, dass durch die betreffende Mel
dung eine Gefährdung des Erwerbes eintreten kann, resp. zu be
fürchten ist, ob man nicht vielmehr beweisen muss, dass diese Gefährdung
durch die veröffentlichte Notiz tatsächlich eingetreten ist.


In ersterem Falle würde der Stritt auf Grund eines Sachverstän
digengutachtens, in letzterem nach dem Ergebnisse des Beweis
verfahrens entschieden werden, wobei es wichtig wäre nachzu
weisen, dass die Veröffentlichung der betreffenden Notiz eine
Verschlechterung des Verkaufes der Werke des Herrn Kraus beim
Melantrichverlag zur Folge hatte. Wenn dies bewiesen werden
könnte, dann hätte ich gegen die Ueberreichung der Klage keine
Bedenken. Prozesse, deren Ergebnis nur von einem Sachverstän
digengutachten abhängt, sind jedoch – wie Sie wissen – immer
einigermaßen gewagt.


2./ Artikel: „Mut, Verrat oder Feigheit?“ Ich muss
gestehen, dass ich diesen Artikel deswegen übersehen habe, weil
ich die Nummer 29 des Gegenangriff nur insoferne durchgesehen
habe, ob sie die fehlerfreie Satisfaktionserklärung fehlerfrei enthält.


Der ganze Inhalt dieses Artikels stellt zweifellos Beleidigungen
im Sinne des § 1 und 2 des Gesetzes über den Schutz der Ehre dar.
Der Satz „Wofür doch so ein Karl Kraus alles Kraft, Nerven und
Zeit hat“ ist eine Lächerlichmachung / § 1 / die weiteren Sätze
„denn Polemik erfordert entweder Mut, oder ist Feigheit, oder
Verrat …“ bis „… womit nichts gegen Klosettfrauen gesagt
sein soll“ beinhalten den Tatbestand der Nachrede / § 2 /, weil
Tatsachen mitgeteilt werden, die geeignet sind, Herrn Kraus in
der allgemeinen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen.
Die Ueberreichung der Ehrenbeleidigungsklage wäre also durchaus
angebracht und ich werde trachten, den Schreiber des Artikels
zu eruieren, damit er gemeinsam mit der verantwortlichen Redakteurin geklagt werden könne.


Die Annahme, es sei vereinbart worden, der Gegen-Angriff
dürfe in der Nummer, in welcher die Erklärung abgedruckt wird, zu
der Materie des Beleidigungsprozesses nicht Stellung nehmen, ist
irrig. Anlässlich der im Pressverfahren vorgeschriebenen Ver-
gleichstagsatzung hat Herr Kraus den Wunsch geäussert, dass dem
Gegenangriff die Veröffentlichung einer Erklärung mit der Ver
pflichtung auferlegt werde, in der gleichen Nummer, sowie in
späteren Nummern der Zeitschrift zu der Materie des damals noch
anhängigen Berichtigungsprozesses keinerlei Bemerkungen zu publi
zieren. Damals kam es jedoch zu keinem Vergleich und die Bedin
gungen des bei der Hauptverhandlung abgeschlossenen Uebereinkom
mens lauteten dahin, dass die von uns aufgesetzte Erklärung
kostenlos und ohne jede Anmerkung unter den Rechtsfolgen des § 9der Pressgesetznovelle veröffentlicht werden müsse. Dieser Bedin
gung hat der Gegen-Angriff entsprochen.


3./ Die in Nummer 30 und 31 enthaltene Bemerkung „Reserviert
für Karl Kraus-Berichtigungen“ ist in der gestern erschienenenNummer nicht mehr enthalten, wie denn auch diese Nummer keinerlei
Bemerkungen über die Person des Herrn Kraus enthält.


Wollen Sie mir bitte mitteilen, wie sich Herr Kraus
wegen der Überreichung der Widerrufs-und-Ehrenbeleidigungsklage
entschlossen hat.


In vorzüglicher Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky


3