Sehr geehrter Herr Doktor.
In Erledigung Ihres Briefes vom6. d.M. gestatte
ich mir mitzuteilen:
1./ Klage auf Widerruf: Der Begriff „Bücher werden
im Ramsch verkauft“ war mir
seiner Bedeutung nach klar und ich
wollte in meinem Briefe vom 13.VII. d.J. gegen die Ueberreichung
einer solchen Klage keine
Bedenken äussern. Es lag mir nur daran,
darauf aufmerksam zu machen,
dass unbedingt vermieden werden
muss, einen Prozess zu
führen, wenn man nicht mit grösster Wahr
scheinlichkeit einen Erfolg
erwarten kann. Die Tatbestandsmomente
des zweiten Absatzes des § 1330 A.B.G.B. müssen daher unbedingt
gegeben sein. Daher wird man
nachweisen müssen, dass durch die
verbreitete Meldung, die
Bücher des Herrn
Kraus würden im Ramsch
verkauft, sein Erwerb
gefährdet wird und ausserdem, dass der
Schreiber, resp. der verantwortliche
Redakteur und Herausgeber
die Unwahrheit dieser
Meldung kannte oder kennen musste.
Ich weiss nicht, ob es genügt,
dass durch die betreffende Mel
dung eine Gefährdung des Erwerbes
eintreten kann, resp. zu be
fürchten ist, ob man nicht vielmehr beweisen muss, dass diese Gefährdung
durch die veröffentlichte Notiz tatsächlich eingetreten ist.
In ersterem Falle würde der
Stritt auf Grund eines Sachverstän
digengutachtens, in
letzterem nach dem Ergebnisse des Beweis
verfahrens entschieden
werden, wobei es wichtig wäre nachzu
weisen, dass die
Veröffentlichung der betreffenden Notiz eine
Verschlechterung des
Verkaufes der Werke des Herrn Kraus beim
Melantrichverlag zur Folge hatte. Wenn dies bewiesen werden
könnte, dann hätte ich gegen
die Ueberreichung der Klage keine
Bedenken. Prozesse, deren
Ergebnis nur von einem Sachverstän
digengutachten abhängt, sind
jedoch – wie Sie wissen – immer
einigermaßen gewagt.
2./ Artikel: „Mut, Verrat oder
Feigheit?“ Ich muss
gestehen, dass ich diesen
Artikel deswegen übersehen habe,
weil
ich die Nummer 29 des Gegenangriff nur
insoferne durchgesehen
habe,
ob sie die fehlerfreie Satisfaktionserklärung fehlerfrei
enthält.
Der ganze Inhalt dieses Artikels stellt zweifellos
Beleidigungen
im Sinne des § 1 und 2 des Gesetzes über den Schutz
der Ehre dar.
Der Satz
„Wofür doch
so ein Karl
Kraus alles Kraft, Nerven und
Zeit hat“ ist eine
Lächerlichmachung / § 1 / die weiteren Sätze
„denn Polemik erfordert entweder
Mut, oder ist Feigheit, oder
Verrat …“ bis „… womit nichts gegen Klosettfrauen
gesagt
sein soll“
beinhalten den Tatbestand der Nachrede / § 2 /, weil
Tatsachen mitgeteilt werden, die
geeignet sind, Herrn
Kraus in
der allgemeinen
Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen.
Die Ueberreichung der
Ehrenbeleidigungsklage wäre also durchaus
angebracht und ich werde
trachten, den Schreiber des Artikels
zu eruieren, damit er gemeinsam
mit der verantwortlichen Redakteurin geklagt werden
könne.
Die Annahme, es sei
vereinbart worden, der Gegen-Angriff
dürfe in der Nummer, in
welcher die Erklärung abgedruckt wird, zu
der Materie des
Beleidigungsprozesses nicht Stellung nehmen, ist
irrig. Anlässlich der im
Pressverfahren vorgeschriebenen Ver-
gleichstagsatzung hat Herr Kraus den
Wunsch geäussert, dass dem
Gegenangriff die Veröffentlichung einer Erklärung mit der Ver
pflichtung
auferlegt werde, in der gleichen Nummer, sowie in
späteren Nummern der
Zeitschrift zu der Materie des damals noch
anhängigen
Berichtigungsprozesses keinerlei Bemerkungen zu publi
zieren. Damals kam es jedoch
zu keinem Vergleich und die Bedin
gungen des bei der
Hauptverhandlung abgeschlossenen Uebereinkom
mens lauteten dahin, dass
die von uns aufgesetzte Erklärung
kostenlos und ohne jede
Anmerkung unter den Rechtsfolgen des § 9der
Pressgesetznovelle veröffentlicht werden müsse. Dieser Bedin
gung hat der Gegen-Angriff entsprochen.
3./ Die in Nummer 30 und 31 enthaltene Bemerkung „Reserviert
für Karl
Kraus-Berichtigungen“ ist in der gestern erschienenenNummer nicht mehr
enthalten, wie denn auch diese Nummer keinerlei
Bemerkungen über die Person des
Herrn Kraus
enthält.
Wollen Sie mir bitte
mitteilen, wie sich Herr Kraus
wegen
der Überreichung der Widerrufs-und-Ehrenbeleidigungsklage
entschlossen hat.
In vorzüglicher
Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky