Der Gegen-Angriff, 7.7.1934Karl Kraus im AusverkaufDie letzten Tage der MenschheitDer Gegen-Angriff


Sehr geehrter Herr Doktor.


Bei der heutigen Streitverhandlung
hat Dr. Stein folgende Ausführungen protokollieren lassen:


Die Beklagte ist Herausgeberin und
verantwortliche Redakteurin der Zeitschrift „Der Gegen-Angriff“.
An der Verbreitung dieser Zeitschrift ist sie in keiner Weise be
teiligt, bei der Herausgabe der Nummer dieser Zeitschrift vom7.7.1934 war sie nicht anwesend und zwar weder bei Redaktions
schluss noch bei der Redaktion sn der N ummer selbst.


Beweis: Zeuge Dr. Franz Weisskopf, Redakteur in Prag.


Infolge des Hitlerumsturzes in
Deutschland ist das Interesse an den Werken jüdisch-deutscher
Autoren, auch literarisch bedeutenderer, als der Kläger ist,
wesentlich gesunken und deswegen müssen auch ihre Werke zu he
rabgesetzten Preisen verkauft werden. Daher musste auch die Beklagte
nicht wissen, dass die im Gegenangriff enthaltene, den Kläger be
treffende Nachricht nicht auf Wahrheit beruht. Beweis: Zeugen
Franz Weisskopf, Anton Kuh, Dr. Karl Rosner, Wieland Herzfelde,
Jan Fronek / Buchhändler /, Parteienvernehmung.


Die erste Einwendung wurde offensichtlich in der Ab
sicht erhoben, um darzulegen, dass die Beklagte, obzwar sie Heraus
geberin und verantwortliche Redakteurin der Wochenschrift „Der Gegen-Angriff“ ist, mit der Verbreitung dieses Blattes nichts zu tun hat,
sondern dass sie nur die Verantwortung für das Blatt vom Standpunkte
des Pressgesetzes trägt.


Deswegen habe ich gegen die Zulassung der angebotenen
Beweise remonstriert und zu der tatsächlichen Behauptung über den
Absatz der Werke deutscher Autoren und den Einfluss des Hitlerum
sturzes auf diesen Absatz angeführt: Das Interesse an den Werken
deutscher Autoren, insbesondere an denen des Klägers, ist infolge
des Hitlerumsturzes in der tschechoslovakischen Republik nicht ge
ringer geworden. Dies geht aus dem Umstande hervor, dass das Werk
des KlägersDie letzten Tage der Menschheit“, in tschechischer
Uebersetzung herausgegeben vom Verlage „Družstevní práce“, in
kurzer Zeit in 4000 Exemplaren sozusagen ausverkauft war.


Beweis: Zeugenaussage des Verlagsdirektors der družstevní práce,
evtl. des Uebersetzers Jan Münzer.


Ich habe dann dargelegt, dass das Vorbringen der
Beklagten ganz irelevant ist und ausgeführt, warum die Verteidigung
der Beklagten, sie habe an der Verbreitung des Blattes keinen An
teil genommen, nicht standhalten kann. Diese Rechtsausführungen
wurden allerdings nicht protokolliert, doch scheinen sie den Richter
dazu veranlasst zu haben, keinen anderen Beweis, als die Zeugenaus
sage des Dr. Fučík, Direktors des Verlages MELANTRICH zuzulassen.


Die mündliche Streitverhandlung wurde zum 27. d.M.
vertagt.


Ich glaube, dass der Richter, der mir als
guter Jurist bekannt ist, die gegnerische Auslegung des § 1330 A.B.G.B.
kaum akzeptieren wird. Denn die Verantwortlichkeit für öffentlich
behauptete Tatsachen könnte in den Fällen, in welchen die Verbrei
tung durch die Presse erfolgt ist, eigentlich nur die Kolporteure
treffen, denn diese allein tragen die Zeitung aus und sind also
bei ihrer „Verbreitung“ als einzige tätig.


Bei dieser Gelegenheit bestätige ich dankend
den Empfang Ihrer gesch. Zuschrift vom 1. d.M., sowie des korrigiertenEntwurfes des Schriftsatzes in der Strafangelegenheit „Gegen-Angriff
und bitte zur Kenntnis zu nehmen, dass ich den Schriftsatz in der
von Herrn Kraus gewünschten Fassung fristgemäss überreichen, werde.


Wollen Sie bitte Herrn Kraus meine besten
Empfehlungen bestellen.


Mit besten Grüssen an Sie bin ich
Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky


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