Sehr geehrter Herr Kollege!
Ich bestätige mit bestem Dank
den Empfang
Ihres freundlichen
Schreibens vom 18. Juni 1935 mit dem beigeleg
ten Artikel „Ueber Karl Kraus“. Herr K. ist dafür,
dass die
Ehrenbeleidigungsklage
eingebracht wird, und ich ersuche Sie
daher, mir wie Sie vorgeschlagen
haben den Entwurf einzusenden.
Ich glaube, dass man diese Klage nicht in der sonst üblichen
kurzen Form machen soll, sondern
einleitend darauf hinweisen
musste, der Gegenangriff habe sich wiederholt
mit Beleidigungen
hervorgewagt
und hiefür zum Teil Ehrenerklärungen abgegeben, zum
Teil sei er bestraft worden;
jedesmal habe er wegen der Kosten
gejammert, und es kann doch wohl nicht geduldet werden, dass die
Leute unter solchen Umständen
neuerlich frech werden. Ich halte
es für sehr gut, dass Sie aus dem Artikel, der ja vom Anfang
bis zum Ende eine Beleidigung
ist, nur den einen Absatz
„Oberst Adam“ bis „abgegeben wird“
herausgreifen, möchte Ihnen
aber
zu bedenken geben, ob nicht doch auch aus dem ersten Absatz
unter Anklage gestellt werden
sollte, dass Einschüchterungsmethoden
angewendet wurden, die mit der
„Gestapo“ erfolgreich konkurrieren.
Da auf die „Erfahrungen mit
Staats- und Kraus-Anwälten“ hingewie
sen wird, könnte man im Zweifel
sein, ob Herr K.
selbst berechtigt
wäre deshalb die Anklage zu
erbeben, weil von der Gegenseite
die Auffassung vertreten werden
könnte, dass die Beleidigungen
sich gegen seine Vertreter und deren Methoden richten. Daher
möchte ich Sie fragen, ob nicht
Sie und vielleicht auch ich die
Privatanklage wegen dieser Sätze einbringen könnten, was mir
allerdings, soweit es meine
Person betrifft, auch zweifelhaft
erscheint, da ich in den Prozessen in Prag offiziell
nie hervor
getreten
bin.
Was halten Sie, sehr
geehrter Herr
Kollege, von der Möglichkeit, gegen den verantwortlichen Redakteur,
der Rechtsanwaltsanwärter
sein soll, eine Disziplinaranzeige zu
erstatten? Es müsste doch
einmal von der Standesbehörde unter
sucht werden, ob es für
einen Rechtsanwalt oder Rechtsanwalts
anwärter vom disziplinären
Standpunkt aus erlaubt ist, die
Funktion eines
verantwortlichen Redakteurs zu bekleiden, der
von Berufswegen entweder
wegen Mitschuld oder wegen Vernach
lässigung der
pflichtgemässen Obsorge verurteilt werden muss.
Ferner erlaube ich mir Ihre
Aufmerksamkeit
auf den
vorletzten Absatz des Artikels zu
lenken und zu fragen,
ob Sie
in diesem nicht eine gefährliche Drohung erblicken.
Ich würde es auch für sehr
gut halten,
auf die
Stupidität der Beleidigung schon im ersten Strafantrag
hinzuweisen. Der Gegenangriff will einen
Kausalzusammenhang
zwischen der Erscheinungsmöglichkeit der Fackel und dem Lob des
Obersten Adam konstruieren. Um eine Fackel im Sinne der Regierung
erscheinen zu lassen, bedarf
es wohl nicht eines Lobes einer der
Regierung nahestehenden
Persönlichkeit; um ein Heft gegen die
Regierung erscheinen zu
lassen, etwa ein solches, wie es dem
Gegenangriff angenehm wäre, dazu könnte auch das Lob
dieser
Persönlichkeit
nichts helfen, selbst wenn diese einen grösse
ren Einfluss auf die Zensur
hätte, als dies tatsächlich der
Fall ist, da ja Oberst Adam amtlich mit der Presspolizei
gar nichts zu tun hat.
Daraus geht hervor, dass dieser stupide
Sachverhalt lediglich, um
überhaupt eine Beleidigung anbringen
zu können, konstruiert
wurde.
Indem ich Ihnen die Grüsse
und den besten
Dank des Herrn K.
übermittle und Sie auch selbst herzlichst
grüsse, bin ich, ihrer
Antwort entgegensehend,
mit vorzüglicher kollegialer
Hochachtung
Ihr ergebener