Sehr geehrter Herr Doktor.
Heute fand die
Berufungsverhandlung in
der
Angelegenheit FACKEL – MELANTRICH
statt. Referent in die
ser Angelegenheit war Gerichtsrat Dr. Dohnálek,
mit dem ich
noch vor einigen
Tagen gesprochen und den ich gestern noch
bei Gericht gesehen habe. Heute ist er im Amte nicht erschie
nen und hat sich krank
gemeldet, das Referat hat ein Ersatz
richter übernommen,
welcher erklärte, in der kurzen Zeit
nicht in der Lage gewesen zu
sein, den Fall eingehend zu stu
dieren. Der Vorsitzende, der den Fall nur oberflächlich kannte,
bemerkte, der Referent habe empfohlen, von amtswegen die Durch
führung des
Sachverständigenbeweises über die im Kommissions
buchhandel geltenden Gewohnheiten
/ Usancen / anzuordnen.
Der Berufungssenat hat dann auch
nach kurzer Beratung von amts
wegen die Durchführung dieses
Beweises angeordnet und als Sach
verständigen Eduard Weinfurter, den Inhaber einer grossen
tschechischen Verlagsbuchhandlung, bestellt. Die Berufungsver
handlung wurde auf den 17.VI. d.J. vertagt.
Ich habe mich zwar bemüht, das
Gericht
davon abzubringen, diesen Beweis
zuzulassen, indem ich darauf
hingewiesen habe, dass hier ein Vertrag existiert, dessen In
halt ganz klar ist und dass die
Streitangelegenheit eben nach
diesem Vertrage und keineswegs
nach irgendwelchen Usancen be
urteilt zu werden hat. Das Gericht hat jedoch trotzdem auf
diesen Beweis erkannt, offenbar
vorwiegend deswegen, weil es
ohne
den Referenten das Verfahren nicht durchführen wollte.
Was nun die Person des bestellten
Sachverständi
gen
anbelangt, wäre folgendes zu bemerken: Kommerzialrat Weinfurter ist ein betagter Mensch und seit Jahrzehnten Inhaber
einer grossen Buchhandlung und Vorsitzender des Gremiums der
Buchhändler und Verlagsanstalten.
Politisch steht er der nationalsozialistischen Partei,
welcher der Melantrich-Verlag angehört,
keineswegs nahe, er ist im
Gegenteil Mitglied der national-demo
kratischen Partei, d.i.
einer extrem bürgerlichen Partei, die
mit den Nationalsozialisten in
altem Streite lebt. Er wird als
sehr rechtschaffener Mann geschildert, der sich des grössten An
sehens erfreut, aber nicht im
Rufe besonderer Gescheitheit steht.
Ich habe die Möglichkeit, mich
bei ihm durch einen ihm befreun
deten Parteigenossen einführen zu lassen und ihm den Fall klar
zulegen. Es ist mir immerhin
lieber, dass dieser Mann zum Sachverständigen bestellt
worden ist, als wenn ein anderer Fachmann
aus dem Buchhandlungsfach zu
diesem Amte bestellt worden wäre,
zumal ich bei Weinfurter überzeugt bin, dass er
zum Melantrich-
Verlag
keinerlei freundschaftliche politische Beziehungen unter
hält. Ich hoffe also, dass es
möglich sein wird, von diesem Sach
verständigen ein gerechtes,
schlimmstenfalls ein indifferentes Gut
achten zu erwirken.
Indem ich bitte, Herrn K. meine besten
Grüsse zu be
stellen,
bin ich mit besten Grüssen an Sie und in vorzüglichster
Hochachtung ergebener:
Dr. Turnovsky