Verehrter Herr Kraus!
Ich hatte die Absicht, Sie
während der Dauer
Ihres
Erholungsurlaubes nicht zu stören und in der Angelegenheit
der besprochenen Klagen
gegen den „Sozialdemokrat“ und „Gegenangriff“ mit Ihnen
nicht zu korrespondieren. Da Herr Dr. Samek
als Ihr langjähriger
Vertreter eine grössere Erfahrung in
Prozessen, in denen Sie als
Kläger auftreten, besitzt als ich,
habe ich ihn die Entwürfe
der zu überreichenden Klagen zur Be
gutachtung eingesendet. Er
sandte mir jedoch diese Entwürfe mit
den Bemerken zurück, ich
möge sie Ihnen doch vor der Ueberrei
chung der Klagen zur
Genehmigung vorlegen. Er hat ausserdem
noch den Vorschlag gemacht,
den ersten Absatz der Widerrufs
klage abzuändern. Den
Entwurf dieser Abänderung habe ich dem
Konzepte der Widerrufsklage
beigeheftet.
Zu den von Ihnen gewünschten
Berichtigungen ein
zelner Behauptungen der im „Sozialdemokrat“ erschienenen Notiz
gestatte ich
mir zu bemerken:
Ich habe mir jene Stellen
der Fackel, auf welche
die Sätze Bezug nehmen wollen, deren Berichtigung Sie gewünscht
haben, genau durchgesehen
und konstatiert, dass ihre Berichti-
gung sehr schwer wäre. Wie
Sie wissen, interpretiert unser Berichtigungsrichter
den Berichtigungsparagraphen in der Weise, dass
sich die verlangte
Berichtigung auf die Negierung der berichtig
ten Tatsache, sowie auf
deren Antithese in’s positive beschränken
müsse. Wenn daher vermieden
werden soll, dass der Wortlaut des
Berichtigungschreibens vom
Gegner oder vom Gerichte beanständet
werde, dann dürfte man – um
nur ein Beispiel anzuführen – den
Satz „obendrein kann er es den
Arbeitern nicht verzeihen, dass sie
ihm den elektrischen
Strom abgeschnitten haben“ nur in folgender
Weise berichtigen: „Es ist
unrichtig, dass ich es den Arbeitern
nicht verzeihen kann, dass
sie mir den elektrischen Strom abge
schnitten haben. Richtig
ist, dass in dem in der Notiz besprochenen
Artikel der ‚Fackel‘ bemerkt war, dass am 12. Februar, 11 Uhr
vormittags, in der Minute,
da wir den letzten Korrekturstrich an
brachten, der selbe Typus,
der gefragt hatte, warum die Fackel
nicht
erscheint, uns das
Licht abgedreht hat.“
Diese Form der Berichtigung
wäre – wie ich glaube –
unwirksam, weil für einen Leser, der weder die Fackel, noch den
berichtigten Artikel, oder nur
diesen gelesen hat, unverständlich.
Da ich es nicht riskieren
möchte, eine andere Form
des
Berichtigungsschreibens zu wählen, möchte ich vorschlagen,
von der geplanten
Berichtigung abzusehen. Herr Dr. Samek ist in
der Frage der Berichtigungen
derselben Ansicht.
Ich bitte, mir bekanntgeben
zu wollen, ob Sie trotz
dem die Berichtigung der
anlässlich unserer Unterredung bezeich
neten Sätze wünschen und ob
Sie mit der Fassung der Klagen ein-
verstanden sind.
Verzeihen Sie, dass ich
Ihren Urlaub, der Ihnen
hoffentlich volle Erholung bringen wird, durch diese Anfrage
störe. Sie werden sicherlich
verstehen, dass ich mit Rück
sicht auf die grosse
Publizität Ihrer Prozesse Bedenken tra
ge, eine Klage ohne Ihre
Genehmigung des Textes zu überreichen.
Ich wünsche Ihnen auch
weiterhin die beste Erho
lung und bin mit besten
Grüssen
Ihr ergebener
Dr. Turnovsky
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Beilagen. Rückstellung erbeten.