Sehr geehrter Herr Doktor.
Ihr freundliches Schreiben vom 25.d.M. wurde mir
gestern in meine Wohnung zugestellt; ich
konnte
mußte
,
da ich zu gleicher
Zeit eine fortgesetzte Streitverhandlung
in einem grossen
Zivilprozesse abhalten musste, für die ich
keinen Substituten gewinnen
konnte, (da dieser in der kurzen
Zeit die Prozessakten nicht
hätte studieren können), musste ich
den Kollegen Dr. Norbert Gross ersuchen, für mich bei der Ver
gleichstagfahrt
einzutreten. Ich habe ihn selbstverständlich
genau informiert. Wie mir
Dr. Gross mitteilt, war Dr. Strauss
wiederum durch Dr. Schwelb vertreten, welcher noch vor ihm
im
Verhandlungsaal
anwesend war und an Dr. Gross gleich, als
dieser
eintrat, die Frage
stellte, welche Art von Satisfaktionserklä
rung er in Vertretung des
Herrn K.
akzeptieren würde. Da auch
der Richter / Dr. Bernášek / die Annahme einer
Satisfaktionerklä
rung empfohlen hat,
verlangte mein Substitut die von Ihnen auf
gegebene
Erklärung.
Es wurde deshalb ein
Vergleich folgen
den Inhaltes abgeschlossen: Der Beschuldigte, Dr. Emil Strauss,
als
verantwortlicher Redakteur der periodischen Druckschrift
„Sozialdemokrat“ verpflichtet sich, kostenlos und ohne
Be
merkungen
unter den Folgen des § 9 der ergänzten Pressgesetznovelle
in der Zeitschrift „Sozialdemokrat“
auf Seite 4 in
der oberen
Hälfte in der im § 8 der ergänzten Pressgesetznovelle
angeführten Weise die unten
angegebene Erklärung innerhalb 14
Tagen zu veröffentlichen und
dem Privatkläger an Kosten der
Rechtsvertretung den Betrag von Kč 330.–– zu Händen des Vertre
ters, Dr. Johann
Turnovsky, Advokaten in Prag, und zwar
binnen
14 Tagen bei
sonstiger Exekution unter den im § 10 und 11 derergänzten Pressgesetznovelle angeführten Folgen zu bezahlen.
Gleichzeitig verpflichtet er
sich, binnen 14 Tagen zu Händen
des Primators der Hauptstadt
Prag, Dr.
Baxa, den Betrag von 200 Kč
zu Gunsten der Arbeitslosen
der Prager-Gemeinde zu erlegen
und binnen einer weiteren
Woche vom Tage des Erlages eine Be
stätigung hierüber Dr. Turnovsky
bei sonstiger Exekution und
unter den Folgen des § 10 und 11
der ergänzten Pressgesetznovelle
vorzulegen.
„Erklärung:
Wir haben in der Nummer 279 unserer Zeitungvom 30.XI.1935
beleidigende Behauptungen über Herrn Karl Kraus
aufgestellt. Wir ziehen sie
zurück.
Die Redaktion.
Ueber den Wortlaut dieser
Erklärung in
deutscher
Sprache haben sich die Parteien geeinigt.“
Herr Kollege Dr. Gross hat sich weisungs
gemäss den deutschen
Wortlaut der Erklärung von Dr. Schwelb be-
stätigen lassen.
Ich habe meinen Substituten ersucht, alles
festzuhalten, was bei der
Vergleichstagsatzung gesprochen wurde
und er gab mir auch einen
Situationsbericht, dem allerdings
nichts anderes zu entnehmen
war, als das Dr. Schwelb bei der
Nennung des Sühnebetrages
von 200 Kč nur so nebenbei bemerkt
hat, ob dieser Betrag nicht
herabgesetzt werden könnte. Er hat
jedoch die Herabsetzung des
Betrages dann nicht weiter betrie
ben, als mein Substitut erklärte, darauf bestehen zu müssen,
dass dieser Betrag bezahlt
werde.
Indem ich Sie, sehr geehrter
Herr
Doktor,
bitte, diese
Mitteilung an Herrn
K. weiterzuleiten, ihm meine
besten Grüsse zu bestellen
und Sie selbst herzlichst grüsse,
zeichne ich in
vorzüglichster Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky