Der SozialdemokratDer Sozialdemokrat, 30.11.1935


Sehr geehrter Herr Doktor.


Ihr freundliches Schreiben vom 25.d.M. wurde mir gestern in meine Wohnung zugestellt; ich konnte mußte ,
da ich zu gleicher Zeit eine fortgesetzte Streitverhandlung
in einem grossen Zivilprozesse abhalten musste, für die ich
keinen Substituten gewinnen konnte, (da dieser in der kurzen
Zeit die Prozessakten nicht hätte studieren können), musste ich
den Kollegen Dr. Norbert Gross ersuchen, für mich bei der Ver
gleichstagfahrt einzutreten. Ich habe ihn selbstverständlich
genau informiert. Wie mir Dr. Gross mitteilt, war Dr. Strauss
wiederum durch Dr. Schwelb vertreten, welcher noch vor ihm im
Verhandlungsaal anwesend war und an Dr. Gross gleich, als dieser
eintrat, die Frage stellte, welche Art von Satisfaktionserklä
rung er in Vertretung des Herrn K. akzeptieren würde. Da auch
der Richter / Dr. Bernášek / die Annahme einer Satisfaktionerklä
rung empfohlen hat, verlangte mein Substitut die von Ihnen auf
gegebene Erklärung.


Es wurde deshalb ein Vergleich folgen
den Inhaltes abgeschlossen: Der Beschuldigte, Dr. Emil Strauss,
als verantwortlicher Redakteur der periodischen Druckschrift
Sozialdemokrat“ verpflichtet sich, kostenlos und ohne Be
merkungen unter den Folgen des § 9 der ergänzten Pressgesetznovelle in der Zeitschrift „Sozialdemokrat“ auf Seite 4 in
der oberen Hälfte in der im § 8 der ergänzten Pressgesetznovelle
angeführten Weise die unten angegebene Erklärung innerhalb 14
Tagen zu veröffentlichen und dem Privatkläger an Kosten der
Rechtsvertretung den Betrag von Kč 330.–– zu Händen des Vertre
ters, Dr. Johann Turnovsky, Advokaten in Prag, und zwar binnen
14 Tagen bei sonstiger Exekution unter den im § 10 und 11 derergänzten Pressgesetznovelle angeführten Folgen zu bezahlen.
Gleichzeitig verpflichtet er sich, binnen 14 Tagen zu Händen
des Primators der Hauptstadt Prag, Dr. Baxa, den Betrag von 200 Kč
zu Gunsten der Arbeitslosen der Prager-Gemeinde zu erlegen
und binnen einer weiteren Woche vom Tage des Erlages eine Be
stätigung hierüber Dr. Turnovsky bei sonstiger Exekution und
unter den Folgen des § 10 und 11 der ergänzten Pressgesetznovelle
vorzulegen.


„Erklärung:


Wir haben in der Nummer 279 unserer Zeitungvom 30.XI.1935 beleidigende Behauptungen über Herrn Karl Kraus
aufgestellt. Wir ziehen sie zurück.


Die Redaktion.


Ueber den Wortlaut dieser Erklärung in
deutscher Sprache haben sich die Parteien geeinigt.“


Herr Kollege Dr. Gross hat sich weisungs
gemäss den deutschen Wortlaut der Erklärung von Dr. Schwelb be-
stätigen lassen.


Ich habe meinen Substituten ersucht, alles
festzuhalten, was bei der Vergleichstagsatzung gesprochen wurde
und er gab mir auch einen Situationsbericht, dem allerdings
nichts anderes zu entnehmen war, als das Dr. Schwelb bei der
Nennung des Sühnebetrages von 200 Kč nur so nebenbei bemerkt
hat, ob dieser Betrag nicht herabgesetzt werden könnte. Er hat
jedoch die Herabsetzung des Betrages dann nicht weiter betrie
ben, als mein Substitut erklärte, darauf bestehen zu müssen,
dass dieser Betrag bezahlt werde.


Indem ich Sie, sehr geehrter Herr Doktor,
bitte, diese Mitteilung an Herrn K. weiterzuleiten, ihm meine
besten Grüsse zu bestellen und Sie selbst herzlichst grüsse,


zeichne ich in vorzüglichster Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky


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