Sehr geehrter Herr Doktor.
In dieser Angelegenheit, die
bekanntlich
noch beim Obersten Gerichte liegt, habe ich durch
Vermittlung
der Kollegen Dr. Herrmann & Gallia wiederholt Erkundigungen ein
gezogen. Wie Ihnen, sehr geehrter
Herr Doktor, bekannt ist, liegt
ein Parallelfall vor, der von der
Kanzlei des ehemaligen Justiz
ministers Dr. Meissner behandelt wird. Auch ein dritter Fall soll
in der Slowakei vorgekommen sein.
Im Falle des Dr. Meissner wurde
die Einwendung des unterlassenen
Vorbehaltes vom Angeklagten erst
in einer nach Ueberreichung der
Nichtigkeitsbeschwerde an das
Oberste Gericht gerichteten Eingabe erhoben. Dr. Meissner hat, wie
mir sein Sozius heute mitteilt, die Verständigung erhalten, dass
die Nichtigkeitsbeschwerde
abgewiesen wird, dass jedoch mit Rück
sicht auf die Grundsätzlichkeit
der nachträglich erhobenen Ein
wendung über diese Einwendung
eine öffentliche Verhandlung ange
ordnet wird. Diese Verhandlung
soll im Laufe dieser Woche statt
finden. Dr. Sommer, d.i. der Sozius des ehemaligen Justizministers,
fährt persönlich zu dieser
Verhandlung und hat auch das Terrain
bereits sondiert. Es muss im
Senate eine Kampfabstimmung statt
gefunden haben, bevor es zur
Anordnung dieser Verhandlung gekom-
men ist. Die Generalprokuratur soll unserem Standpunkte
voll
kommen Recht
geben, während einige Senatsmitglieder den ent
gegengesetzten Standpunkt
einnehmen und sich dabei auf die
mir bekannte Publikation des Brünner Strafrechtlers Kallab
stützen. Durch diese Publikation scheint diese ganze Verwir
rung entstanden zu sein.
Interessant ist, dass Dr. Steiner, ein
bekannter juristischer
Schriftsteller, dermalen Richter des
Obersten Gerichtes, in seiner zweiten
Publikation über das
Ehrenschutzgesetz schon auf den Fall des § 18 in
unserem Sinne
hinweist. Auch
Entscheidungen des alten österreichischen Obersten
Gerichtshofes zum § 57 St.P.O. deuten auf die Unrichtigkeit
der Auslegung des § 18 seitens des Prozessgerichtes hin.
Ich habe mit Dr. Sommer den Fall noch einmal
eingehend bespro
chen
und er wird seine und meine Argumente bei der Verhand
lung geltend machen. Es scheint
also Aussicht zu bestehen,
dass
die Angelegenheit günstig erledigt werden wird, woran
mir, wie Sie begreifen werden,
sehr viel gelegen ist.
Ich bin
froh, dass Dr. Sommer als Erster die
Angelegenheit
beim Obersten Gerichte vortragen und dass nicht der
slowaki
sche Fall
zuerst vorgetragen wird, weil ich den slowakischen
Anwalt nicht kenne,
dagegen von der Tüchtigkeit des Dr. Sommer
überzeugt bin. Er beschäftigt
sich schon lange mit dem Ehrenschutz
gesetz und ist auch ein namhafter
juristischer Schriftsteller,
dabei Gesellschafter des ehemaligen Justizministers Dr.
Meissner,
welcher
gleichfalls ein hervorragender Jurist ist.
Ich werde nicht ermangeln,
Ihnen nach Rückkehr des Dr.Sommer zu berichten
wie die Sache ausgefallen ist.
Mit vorzüglichster
Hochachtung und besten Grüssen
Ihr sehr ergebener:
Dr. Turnovsky