Sehr geehrter Herr Doktor.
Wie Ihnen Herr Kraus wohl mitge
teilt haben wird,
hat er mit mir über die gegen die Autoren
der in einigen Zeitschriften
veröffentlichten Artikel,
resp. gegen die verantwortlichen Redakteure, zu überrei
chenden Klagen
gesprochen und den Text der Widerrufsklage
gegen den Herausgeber und verantwortlichen Redakteur des„Gegen-Angriff“, der
Ehrenbeleidigungsklage gegen diesen
wegen des Artikels „Mut, Verrat, oder Feigheit?“,
schliess
lich
der Ehrenbeleidigungsklage gegen den verantwortlichenRedakteur des „Sozialdemokrat“
wegen des Artikels „DieFackel als
faszistische Hetzschrift“ genehmigt.
Ferner wurde die Klage gegen
den Autor und verantwortlichenRedakteur des „AUFRUF“ wegen des
Artikels „Die Fackelschwelt“ besprochen.
Ich sende Ihnen das Konzept dieserKlage ein und
gestatte mir zu deren Inhalt zu bemerken:
Die einzelnen Sätze, die Herr Kraus
unter Anklage zu stellen
wünschte und die Art, wie er dies wollte, habe ich berück
sichtigt und bei
nochmaliger Lektüre des inkriminiertenArtikels gefunden,
dass auch der ad 3/ angeführte Passus
des Artikels / 7. Seite der
Klage / verfolgt werden kann.
Da es sich um Tatbestände
handelt, die dem Pressesenat zu
erläutern ausserordentlich schwierig sein wird, halte
ich es für notwendig, in der
Klage den Sinn der unter Anklage
gestellten Sätze
gewissermassen zu erläutern und auch aufzu
klären, wodurch
der Autor zur Veröffentlichung dieser Sätze
veranlasst worden ist. Ich
glaube, dass es sonst nicht möglich
wäre, dem Gerichte die Ueberzeugung von der
Strafwürdigkeit
der
einzelnen beleidigenden Aeusserungen beizubringen.
Der Name „Lucien
Verneau“ ist natürlich ein Pseudonym, es
wurde jedoch besprochen, den
Autor
unter diesem Namen zu
klagen,
um zu sehen, wie die Gegenpartei darauf
reagieren wird.
Betrifft den Artikel:
„Harakiri eines Rebellen“
„Neuer Vorwärts“ vom 12.8.1934.
Bezüglich dieses Artikels wurde besprochen, keine
Ehrenbeleidigungsklage zu
überreichen, sondern sich auf die
Berichtigung der in der
dritten Spalte, 20. Zeile von unten,
wahrheitswidrig angeführten
Tatsachen zu beschränken.
Ich schliesse das Konzept des Berichtigungschrei
bens,
sowie den betreffenden Artikel bei
und bitte, die Klage
gegen
den „AUFRUF“ und dieses Konzept
Herrn Kraus vorzulegen
und mir dann mitzuteilen, ob
er den Text beider genehmigt.
Betrifft den Artikel „Karl Kraus
bei Haken- und
Kruckenkreuz“
Auch hier wurde besprochen,
dass von einer Ehren
beleidigungsklage abgesehen werden soll. Herr Kraus hat gewünscht
dass ich eine Widerrufsklage
gemäss § 1330 A.B.G.B. verfassen
und überreichen soll, wobei
die Gefährdung des Erwerbes des
Klägers damit begründet
werden sollte, dass die Behauptung,
Herr Kraus habe sich für Hitler eingesetzt, geeignet sei, die
Gegner des Hitlerregimes,
aus denen zum grössten Teil die
Leser der „Fackel“ bestehen, von der Anschaffung der
Fackel abzuhalten.
Ich bin nicht ganz überzeugt
davon, dass
eine derart
begründete Klage zur Verurteilung des Beklagten
führen muss und befürchte,
dass das Gericht die Ansicht
vertreten könnte, jede
Stellungnahme eines Autors halte seine
politischen oder sonstigen
Gegner von der Anschaffung seiner
Werke ab. Der Leserkreis des
Autors setze sich aus seinen
Anhängern zusammen. Nun ist es ja richtig, dass gerade die
Anhänger des Herrn Kraus
durch die Lektüre des Artikels,
in
welchem zu Unrecht
behauptet wird, Herr Kraus vertrete einen
anderen Standpunkt als sie,
von der Anschaffung seiner Werke
abgehalten werden können.
Trotzdem habe ich Bedenken, die
Klage zu überreichen, weil
ich befürchte, es werde nicht ge
lingen, den Kausalnexus zwischen der
im Artikel behaupteten
Tatsache und der
Gefährdung des Erwerbes des Herrn Kraus
überzeugend darzustellen.
Ich erbitte mir die
Bekanntgabe Ihrer
Ansicht zu
dieser Frage und ersuche, Herrn Kraus von meinen
Bedenken zu verständigen.
Bei dieser Gelegenheit
möchte ich Ihnen
noch einmal
für Ihre Liebenswürdigkeit danken, mit der Sie
für Herrn Dr. Schneider bei Professor
Neumann angefragt und
mich dann informiert haben. Es wird Sie interessieren, folgen-
des zu erfahren: Auf
Grund der Ihnen erteilten und an mich
weitergeleiteten Information
ist Herr Dr. Schneider an dem
vereinbarten Tage nach Wien gefahren und in der Ordination
des Herrn Professor Neumann erschienen. Als er der Empfangs
dame mitteilte, er sei bei Prof.
Neumann avisiert, erwiderte
diese sehr erstaunt, Herr
Prof. Neumann sei doch nicht in
Wien, er sei bekanntlich im August niemals da. Anwesend war
nur ein junger dritter Assistent des Professors,
der nach
Untersuchung des Patienten nichts anderes zu sagen wusste,
als, dass es sich empfehlen
würde, wenn Herr Dr. Schneider
nach Rückkehr des Prof. Neumann in zirka 14 Tagen wiederkommen
wollte und vom Professor untersucht werden würde. In diesem
Falle war dies umso
peinlicher, als es der Frau Dr. Schneider
und mir nur schwer gelungen
ist, Herrn Dr. Schneider über
haupt dazu zu
bringen, nach Wien zu fahren und sich einer
Untersuchung durch Prof. Neumann zu unterziehen. Ich kann
mir diesen Vorfall nur so
erklären, dass Ihnen die Auskunft,
der Professor werde in der künftigen Woche ordinieren und
den avisierten Patienten erwarten, von dem Assistenten oder
von einer anderen Person erteilt worden ist, um durch die
Mitteilung von der
Abwesenheit des Professors den Patienten
nicht abzuschrecken und den
Fall nicht zu verlieren.
Ich habe Ihnen hievon – wie
gesagt – nur deshalb
Mitteilung gemacht, weil ich annahm, es werde Sie interessie
ren, zu hören,
wie unverlässlich die von den Angestellten
des berühmten Laryngologen erteilten Auskünfte sind.
Indem ich Sie, sehr geehrter
Herr Doktor, bitte,
mich zu verständigen, ob die
Klage gegen den Aufruf und das
Berichtigungschreiben „Neuer Vorwärts“ genehmigt wurden und
wie sich Herr Kraus und Sie zu den
von mir in Sachen der Wi
derrufsklage („Der Kämpfer“) geäusserten
Bedenken stellen,
zeichne ich
mit Empfehlungen an Herrn Kraus
in vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky
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Beilagen.