Die Fackel schwelt


Sehr geehrter Herr Doktor.
In der Angelegenheit Karl Kraus
ca: Lucien Verneau fand heute die Vergleichs
tagsatzung statt, bei welcher ich Herrn Ing. Butschowitz
zum erstenmale zu Gesicht bekam. Butschowitz ist ein
vielleicht etwa 28-jähriger Mann, schaut sehr unscheinbar
aus und war sichtlich über die Bedeutung der Vergleichs
tagsatzung im Prozessverfahren in Pressesachen nicht
orientiert. Auf die Frage des Richters, ob er den Pro
zess durchführen wolle oder bereit sei, eine vom Kläger
gewünschte Ehrenerklärung zu veröffentlichen und die
Prozesskosten zu bezahlen, erklärte er, den Prozess
durchführen zu wollen und schien nicht recht zu wissen,
dass er in diesem Falle irgendwelche Anträge, insbesondere
auf Durchführung des Wahrheitsbeweises, zu stellen habe.
Er wird vor den Untersuchungsrichter geladen werden und
nach seiner und Dr. Bills Einvernahme werde ich zur
Ueberreichung der Anklageschrift aufgefordert werden.
In der Begleiteingabe zu dieser Anklageschrift werde
ich die in Ihrem Briefe vom 16.X. d.J. angeführten
Richtigstellungen vornehmen, insbesondere den peinlichen,
aber für das Prozessverfahren durchaus unwesentlichen
Irrtum, der mir durch die falsche Auslegung der Stelle
„der, der ‚nur um den Graben‘ geht …“ unterlaufen ist,
berichtigen.


Als ich die Klage verfasst habe, hatte
ich die letzte FACKEL erst einmal gelesen. Es war mir
daher jene Stelle, auf welche der betreffende Satz des
inkriminierten Artikels anspielt, nicht gegenwärtig und
ich habe, da der inkriminierte Aufsatz eine ganze Reihe
gramatikalisch falscher und logisch unhaltbarer Stellen
enthält, auch diese Stelle für eine sprachlich missglückte
gehalten. Allerdings hätte ich wohl aus den Anführungs
zeichen schliessen müssen, dass es sich um ein Zitat
aus der FACKEL handelt und hätte dieses nachlesen sollen,
dann wäre ich selbst auf den richtigen Sinn der besagten
Stelle gekommen. Es ist aber immerhin nichts geschehen und
ich werde in der Berichtigung ausdrücklich darauf hinweisen,
dass die irrige Auslegung dieser Stelle dem Anwalte desPrivatklägers unterlaufen ist. Auch bei richtiger Interpreta
tion bleibt jedoch die Stelle inkriminierbar, da der Autor
zum Ausdrucke bringen will, dass er sich im Gegensatz zu
Herrn Kraus keine Sprünge leisten könne und daher nicht in
der Lage sei, durch langes Nichterscheinen und Akkumulierung
der Spannung Aufmerksamkeit zu multiplizieren.


Da es der Autor als verwerflich bezeichnet, nicht gegen
Hitler zu schreiben, so erhebt er durch die in dieser Stelle
für die Unterlassung der Polemik seitens des Herrn Kraus
angeführte Motivierung den Vorwurf einer Handlung oder
Gesinnung, der den Kläger in den Augen des Lesers herab
setzen muss.


Ich bitte, mich Herrn Kraus bestens zu em
pfehlen und ihn zu ersuchen, die Entwürfe der zu fordern
den Satisfaktionserklärungen vorzubereiten, damit sie
bei den Hauptverhandlungen, welche, wie ich hoffe, bald
stattfinden werden, zur Verfügung sind.


Mit vorzüglicher Hochachtung ergebener:
Dr. Turnovsky


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