Sehr geehrter Herr Kollege.
Ich erhielt Ihr gesch. Schreiben vom 29. v.M.
und glaube vorläufig weitere
Informationen nicht zu benötigen.
Jetzt schon ein Urteil über
die Aussichten des Prozesses ab
zugeben, scheint mir
verfrüht.
Zur Verantwortung Sonnenscheins bemerke ich fol
gendes: Die Absicht, Herrn Kraus zu beleidigen und seine per
sönliche Ehre anzutasten, geht
aus dem Gedicht selbst meiner
Meinung nach derart klar hervor,
dass die Verteidigung Sonnenscheins, die die Absicht
der persönlichen Beleidigung bestreitet
und nur eine sachliche Kritik
behauptet, zweifellos keinen
Glauben finden kann.
Der objektive Tatbestand von
Ehrenbeleidigungen,
wie
sie das neue čsl. Gesetz zum Schutz der Ehre kennt, ist
gewiss
gegeben. Offen
bleibt bloss die Frage des Wahrheitsbeweises,
den Sonnenschein offenbar anzutreten beabsichtigt. Und da
glaube
ich fest daran,
dass er den Beweis der Wahrheit oder auch nur
des entschuldbaren Irrtums
niemals wird erbringen können.
Eine eingehende
Stellungnahme wird mir natürlich
erst möglich sein, bis ich
genau weiss, womit eigentlich Sonnenschein den
Wahrheitsbeweis führen will. Das wird sich wahr
scheinlich erst bei der
Hauptverhandlung zeigen.
Da ich weiss, dass Herrn Kraus an einer raschen
Erledigung der Prozesse viel
gelegen ist, werde ich mich na
türlich bemühen,
durchzusetzen, dass die Hauptverhandlung mög
lichst bald nach Einbringung
der Anklage angesetzt wird. Die
Herren vom Pressenat sind mit Arbeit stark belastet und es
wird also vermutlich trotz
allen Entgegenkommens, das ich beim
Vorsitzenden des Senates erwarten darf, doch eine gewisse Zeit
bis zum Termin der
Hauptverhandlung vergehen müssen.
Ich zeichne mit vorzüglicher
Hochachtung
ergebener
Dr. Gallia.