Sehr geehrter Herr Kollege.
Nach neuerlicher genauer
Durchsicht Ihres Entwurfes
für unsere Aeusserung möchte ich meinen Standpunkt wie folgt
bekanntgeben:
1./ Ich würde vorschlagen
einleitend schon zu bemerken,
dass wir nicht wünschen, dass die Angeklagten schon an technischen
Schwierigkeiten scheitern
und dass wir daher ihnen alle Exemplare
der Fackel gern zur Verfügung stellen wollen, die sie
zu ihrer
Entlastung zu
benötigen glauben, wobei es uns sogar – hier nehme
ich das Ende Ihres
Schriftsatzes vorweg – möglich sein wird, die
speziellen österr.
Fackelnummern zu beschaffen, die sich allerdings
von den im Gebiete der
Č.S.R. zum Verkauf gelangenden Fackeln nur
durch den Preisaufdruck auf
dem Umschlag – hier in Kč, in Oester
reich in ÖS – unterscheiden.
2./ Ich möchte vorschlagen,
bevor wir in das Meritum
eingehen, auch schon zu der Rechtsfrage Stellung zu nehmen,
ob die Angeklagten den
Strafausschliessungsgrund des § 6, 2b
für sich in Anspruch nehmen
können.
Wie Sie, sehr geehrter Herr Kollege, ganz richtig
hervorgehoben haben, kann
dieser Strafausschliessungsgrund nur
jenenfalls von dem
Angeklagten für sich in Anspruch genom
men werden, wenn das von ihm
vorgegebene öffentliche Interesse
schon zur Zeit der
inkriminierten Aeusserung vorhanden war.
Der
Strafausschliessungsgrund soll ja jenen schützen, der
einen sonst strafbaren
Tatbestand setzt, eine private Interes
sensphäre / des Beleidigten
/ stört, um eine wichtigere Interes
sensphäre zu schützen. Nun
ist, wie wir ja in Wien festgestellt
haben, die einzige Stelle
der Fackel, die unter Umständen
als
Angriff auf die čsl.
Demokratie ausgelegt werden könnte, die
Stelle in der Fackel
909–911, die weit später erschienen
ist, als der Artikel bezw. das Gedicht in der Arbeiterzeitung.
Für ihre Behauptung, dass
unser Klient schon durch Jahre hin
durch unbegründet die
čsl.Staatsmänner beschimpfe / Punkt
7./ des gegnerischen Schriftsatzes /, werden die Gegner natür
lich den Beweis schuldig
bleiben müssen. Wir hingegen werden,
wie besprochen, in unserm
Schriftsatz alle oder zumindest
einige jener Stellen aus den
letzten Jahrgängen der Fackel
verwenden, in denen der Klient der Č.S.R. unbeschränktes Lob
geschenkt hat.
In den gerade behandelten
Zusammenhang würde eigentlich
auch jener Teil unseres Schriftsatzes gehören, in welchem
wir von der Beziehung des
Herrn Kraus zu dem Präsidenten
Masaryk handeln wollen. Ich weiss allerdings nicht, ob es
nicht besser wäre, die
Beziehung zu Präsident Masaryk erst am
Schluss des Schriftsatzes zu
schildern, da dadurch doch wohl
erzielt würde, dass nach
Lektüre des Schriftsatzes dem Richter
dieser Punkt am
nachhaltigsten im Gedächtnis bleibt. Wie ich
Ihnen ja auseinandergesetzt
habe, verspreche ich mir von der
psychologischen Wirkung in
dieser Hinsicht ziemlich viel. Ich
habe eine Probe schon
gemacht: Bei meinem letzten Besuch bei
Dr. Winter habe ich ihm davon erzählt, dass Herr Kraus vom
Präsidenten Masaryk auf die Burg
eingeladen wurde und habe ihn
gefragt, ob er es denn für möglich halte, dass der Präsident
einen Gesinnungslumpen,
extremen Militaristen usw. von sich aus
einladen würde. Dr. Winter war über meine Mitteilung sehr er
staunt und ich
konnte ganz deutlich beobachten, wie sie auf ihn
wirkte. Eine noch viel
stärkere Wirkung verspreche ich mir bei
čechischen Richtern.
3./ Ich würde empfehlen, die
Angaben unseres Schrift
satzes nicht nur durch die
Zeugenschaft Herrn Kraus’ bestätigen
zu lassen, sondern auch noch
durch andere Aussagen.
Dabei wäre es natürlich
recht angenehm, wenn von uns Zeu
gen geführt werden würden,
die in der Č.S.R. wohnen. Falls
Sie jedoch Wiener Zeugen
führen wollten – käme da nicht vielleicht
an erster Stelle Herr Prof. Jaray in Betracht? – es wäre
zu erwägen, ob nicht die zu
nominierenden Wiener Zeugen mit
Herrn Kraus zu seiner Einvernahme vor dem hiesigen Untersu
chungsrichter
erscheinen könnten. Zeugen würde ich insbesonde
re darüber führen wollen,
wann z.B. „Die letzten Tage derMenschheit“
geschrieben wurden, wieso es kam, dass Herr
Kraus im Krieg seinen Pass behalten durfte, weiters über
die
Tatsache, dass gegen
ihn ein Strafverfahren beim Wiener Straflandesgericht durch Jahre lief, schliesslich über seine Ver
mögensverhältnisse, sein
Verbot, die Fackel in Deutschland
zu verbreiten, die Art der
Verwendung der Erträgnisse seiner
Vorlesungen und die Höhe der
aus diesen Erträgnissen sowohl
in Wien wie auch anderwärts gemachten Spenden,
weiters natür
lich
auch über die Tatsache der unbeirrbaren geistigen Haltung
und Stellung des Herrn Kraus, dies in der ganzen Zeit, in der
er die Fackel herausgibt.
4./ In dem Schriftsatz
werden wir doch wohl etwas
eingehender über die gegnerischen Angaben über die Fackel
Nr.
890–905 sprechen müssen. Meines Erachtens wäre es
vielleicht gut, kurz zu
sagen, gegen wen eigentlich sich
diese Nummer der Fackel
gerichtet hat. Sonka will sich
offenbar einzig und allein
zu dem Zweck, damit nach § 9,Ziffer 2 des
Ehrenschutzgesetzes das Gericht
von seiner Be
strafung absehe, durch die Fackel vom Juli 1934 provoziert
fühlen. Dieses „Muster
moralischer Verantwortlichkeit“
fühlt sich offenbar auch als
Emigrant, der die unsichere
Fremde vor der weit bequemeren Gleichschaltung gewählt ha
ben soll. Nun scheint die
moralische Verantwortung nicht
so weit zu gehen, um auch eine Verpflichtung zu schaffen,
immer die Wahrheit zu sagen,
denn sonst könnte Sonka, in
Gaya geboren und wie ich glaube auch dorthin zuständig,
– ich werde das aus dem
Gerichtsakt noch feststellen –
sich doch nicht gut als Emigrant ausgeben.
Ich glaube auch, dass es
notwendig sein wird, zu
erklären, auf wen das Zitat auf Seite 173 der Fackel
890–905 sich
bezog / Seite 5./ unten des gegnerischen Schriftsatzes /.
5./ Ich möchte jetzt noch zu
den einzelnen Ausfüh
rungen Ihres Entwurfes
folgendes bemerken:
Auf der ersten Seite möchte
ich in der ersten Zeile
anführen, dass Sonka sich „unter anderm dafür
zu verant
worten“
hat …, auf der zweiten Seite unten möchte ich
sagen: „Verdächtigungen und
Beschimpfungen übelster
Art
sind keine Kritik …“, ferner glaube ich, dass man
die Fälschungen / Seite 2
ganz unten / ohne weiters als
bewusste bezeichnen kann.
Auf Seite 4 würde ich im dritten
Absatz statt „kriegerische
Männlichkeit“ vorschlagen
„aufrechte Männlichkeit“ und in demselben Satz auch noch
sagen, dass der Privatkläger den Krieg zu tiefst verabscheut
und immer vor, während und
nach dem Krieg in gleicher Weise
verabscheut hat.
Falls die anonymen Briefe,
gegen die in der Fackel Nr.400–403 Stellung genommen wurde, noch vorhanden sind, würde
es sich gewiss empfehlen,
sie vorzulegen. Auf Seite 5 unten
möchte ich nach den Worten:
„dass er den liberalen Stand
punkt in der Politik
ablehne“ einfügen: „in diesem Punkt
ist seine Anschauung mit
jener, die die Angeklagten haben
müssten, identisch“, auf
Seite 7 unten möchte ich noch das
Datum des Artikels
Sonkas im Neuen Wiener Journal zitieren
und eventuell das Exemplar des Journals, in dem der Artikel
abgedruckt
war, vorlegen.
Aus den Kriegsnummern der
Fackeln sollten vielleicht
doch einige Stellen, die die Einstellung Herrn Kraus zum
Krieg
klar umreissen, wörtlich zitiert werden.
Den letzten Absatz auf Seite
14./ würde ich dahin zu
ergänzen empfehlen, dass er auch kurz die damalige Stellung
der Sozialdemokratie im
österr. Staatsleben behandelt.
Ich glaube, dass auf Seite
16./ der mit den Worten:
„Die
Aenderung der politischen Ueberzeugung“ beginnende
und auf Seite 17./
oben mit den Worten „genügen konnten“
endende Satz ausgelassen
werden sollte.
Die Fälschung, die von dem
Angeklagten hinsichtlich der
Fackel Nr. 912–915 versucht wird, möchte ich doch sofort
aufdecken und entsprechend
geisseln.
Vielleicht wäre es gut, in
dem Schriftsatz auch kurz zu
den Aussagen Kornfeld – Urzidil Stellung zu nehmen.
6./ Am Schluss des
Schriftsatzes möchte ich, wie ich schon
einleitend bemerkte, gern
die Beziehung zu Präsident Masaryk
schildern und vorher
vielleicht die Zitate aus der Fest
schrift zum 60. Geburtstag
anführen, ebenso die Zitate aus den
hier in čechischer Sprache
erschienenen Beiträgen über Herrn
Kraus, die ich allerdings bisher noch nicht bekommen habe.
Hoffentlich wird sich die
ganze Korrespondenz mit dem
Präsidenten bezw. seiner Kanzlei auffinden
lassen.
Ich erwarte, sehr verehrter
Herr Kollege, mit dem grössten
Interesse Ihre weitern
Nachrichten und bin mit
vorzüglicher kollegialer
Hochachtung
Ihr ganz
ergebener
Dr. Gallia
Durchschlag anbei
P.S. Ich habe bei Dr. Ečer angefragt, ob er im Punkt V letzter
Absatz seines Schriftsatzes zum Ausdruck bringen wollte,
dass Sonka auch Autor des Artikels „der Racheakt derPolizei gegen
Braunthal“ sei. Dr. Ečer antwortet mir
heute,
die Anführung Sonkas als Autor dieses Artikels sei nur auf
einen Irrtum seines
Konzipienten zurückzuführen, der in letzter
Stunde vor der
Hauptverhandlurg den Schriftsatz diktiert
hat. Offenbar will also Dr. Ečer zumindest nicht zugeben, dass
Sonka auch der Autor dieses Artikels sei.
Ich bestätige noch unser
heutiges Telefongespräch und über
mittle Ihnen wunschgemäss
eine Rubrik mit dem Text der ersten Seite
unseres vorbereitenden
Schriftsatzes.
Montag Abend werde ich mich,
verehrter Herr Kollege, bei Ihnen
sofort melden, sobald ich in
Wien ankomme.
1
Beilage.