Sehr geehrter Herr Kollege!
Für die Mitteilung Ihrer Ansicht
über die
Einvernahme des Herrn
Dr. Werner danke ich Ihnen bestens,
nur ist sie mir leider nicht ganz
verständlich. Sie wissen,
dass
ich von der Nützlichkeit des Institutes der Leumunds
zeugen nicht durchdrungen bin.
Der angeklagte Verleumder hat
kurz zu beweisen, dass die
schmutzige Handlung des „Profit
machens“, „der Laune feisten
Goldes dienen“ etc. als das
Motiv eines angeblichen und von
Flachköpfen vielleicht wirk
lich wahrgenommenen
Gesinnungswechsels vorliegt. Ueber die
sen Gesinnungswechsel sollte es
keine Debatte geben und
ausschliesslich der Nachweis des unsauberen Motives geführt
werden müssen, was wie man meinen
sollte, in einer halben
Stunde zu
bewerkstelligen wäre. Die besten Leumundszeugen,
die aussagen würden, dass sie dem
Privatkläger dergleichen
nicht zutrauen (was für ihn
eigentlich nicht wenig beschä
mend ist), könnten nie aussagen,
dass irgendeine schmutzige
Handlung, die sich ihrer Kenntnis entzieht, nicht vorgefallen
ist, und würden von dem Beweis
des Angeklagten, dass sie vor
gefallen ist, überrascht werden.
Wenn es nun üblich ist, in
einem Falle, wo es sich um den
Beweis konkreter Tatsachen handelt,
auch Leumundszeugen zu führen,
was bei uns unmöglich wäre, – denn
hundert Zeugen, die dem Privatkläger etwas nicht
„zutrauen“, könn
ten
hundert Lumpen gegenüberstehen, die es ihm zutrauen, und die
hundert Zeugen könnten
prinzipiell von einer tatsächlichen Ent
hüllung überrascht werden –, wenn
dergleichen nun einmal üblich
und
wirksam ist, so wären doch Leumundszeugen aus einem gegneri
schen Meinungslager geradezu die
ueberzeugendsten. Herr Dr. Werner
sollte doch nicht als altes
organisiertes Mitglied gegen die Partei
aussagen, sondern, wie Sie in
dem folgenden Satz gleich selbst freund
lich zur Kenntnis nehmen, trotz seiner Mitgliedschaft über die Ab
surdität des Anwurfs. Wenn diese
Pflicht menschlicher Anständigkeit
in Widerspruch zur Mitgliedschaft stehen sollte, dann freilich müss
te auf die Aussage verzichtet
werden. Dann wäre es aber auch nicht
verständlich, dass Herr Dr. Werner den Wunsch geäussert hat, sich
an der Unterhaltung mit Herrn K. zu beteiligen, einen Wunsch, dem
Herr K. (trotz Rücksicht auf die Position des Herrn Dr. Werner)
ohne weiters entsprochen hat, weil er Herrn Dr.
Werner trotz seiner
Mitgliedschaft für einen durchaus ehrenhaften Mann hält. Sollte
eine solche Zusammenkunft nur in
aller Heimlichkeit vor dem Par
teivorstand stattfinden können,
dann wäre sie unmöglich, dürfte
sie nicht gewünscht, noch bewilligt werden, und dann würde eben
die Mitgliedschaft – was freilich
mit der langjährigen Auffassung
des Herrn K. von der „Parteidisziplin“ entspricht
– mit den Pflich
ten
der Menschlichkeit und Wahrhaftigkeit nicht kompatibel sein.
Die Entscheidung in diesem Punkte
ist nunmehr selbstverständlich
ganz Ihnen überlassen.
Wegen des Herrn Dr. Liska möchte ich Ihnen mitteilen,
dass man ihm nicht gut eine
Reise nach Brünn zumuten kann, und ob
er mit der Einvernahme in
Prag einverstanden ist, darüber werde ich
noch von Herrn Dr. Turnovsky Auskunft erhalten, von der ich Sie
so-
fort verständigen
werde.
Die Einvernahme des Herrn
Heinrich
Fischer wurde
wegen
Erkrankung verschoben.
Ferner wäre ich Ihnen sehr
dankbar, wenn Sie mir
mitteilten, wie der zweite Prozess steht.
Indem ich Sie herzlichst
grüsse, zeichne ich mit
vorzüglicher
kollegialer Hochachtung