Die Fackel


1


Mein Testament


welches ich Dr Oskar Samek zu vollstrecken bitte.


Mit der ev. Herausgabe meiner Schriften, Ordnung der
Briefschaften, Dokumente etc. betraue ich Professor Dr Jaray
(Karl), Heinrich Fischer (Prag), als Hilfskraft Dr PhilippBerger. Niemand aber der Genannten hat das Recht, eine Zeile von
mir – sei es aus Gedruckten, etwa auffindlichen Handschriften oder Briefschaften
(von mir oder aus an mich geschriebenen) – zu veröffentlichen. Der Ertrag
eines etwa herauszugebenden Werkes (oder Werke), das Briefe an mich
an mich enthält, wird Dr Philipp Berger allein zufallen. Der Ertrag meiner
sämtlichen (inkl. aller vorhandenen Hefte der Fackel) gehört zu 30%
den Herausgebern, zu 20% den Familien Jahoda und Siegel (die die Auslieferung)
auszuliefern hat, zu 25% Sidonie Nadherny und zu 25% Frau
Helene Kann, der auch Manuscripte und sonstige Dokumente für das
Archiv zu überlassen sind. Dieses selbst nach dem Ableben der
Verwahrerin einem von der von ihr zu bestimmenden Zweck oder Faktor (der
Stadt Wien) zu.


2


Nach dem Ableben meiner
Schwester Marie Turnowsky wird
das folgende festgesetzt:


Das etwa vorhandene Bargeld gehört meinen andern
Schwestern. Von den Geldern, die Dr Samek verwaltet
(Sparkasse etc.) auch die noch zu bezahlenden Summen, von denen Dr Samek Kenntnis hat, gehört ein Drittel SidonieNadherny, ein Drittel Frau Helene Kann, je 3000 (dreitausend) Schilling Frau Malvine Weingarten und Frau Luise Drey, 300 Schilling (dreihundert) dem Druckereidiener Jakob.
2000 Schilling (zweitausend) Frau AntonieWallek zum Dank für ihren treuen Dienst,
3000 Schilling Fräulein Frieda Wacha, je
500 Schilling Emilie und Adele Humburger (deren
Adresse meinem Bruder bekannt ist); der Rest Heinrich Fischer.
¿ Wenn einer der Beteiligten
nicht mehr am Leben, erfolge die entsprechende
Aufteilung.


Der gesamte Inhalt der Wohnung gehört den
zu je einem Drittel den unten genannten Schwestern,
zu einem Drittel Frau Emma Fridezko.
Andenken sind bestimmt für Frau Wallek,
für jeden meiner Brüder. Das Album von Janovice,
die Landschaften von Janovice und die Bilder von Sidonie Nadherny,
das silberne Cigarettenetui, die Papierschere mit Goldgriff,
der Spazierstock für Sidonie Nadherny. Fast
alle andern Photographien (mit Ausnahme der Andenken
für Frau Helene Kann. Die der Frau Maria Mayr
(Paniglgasse 16) mögen nach vorheriger Anfrage ihr übergeben werden
(Frau Kann dürfte diese Bilder erkennen), dazu ein Bild
von mir.


3


Die Bücher sollen zur Hälfte
Dr Oskar Samek gehören,
die andere Hälfte ist zwischen
[¿] Sidonie Nadherny, Hel. Kann, Dr Philipp Berger,
Prof Jaray, Martin Jahoda, Gräfin Mary Dobrzensky, Gräfin Mechtilde Lichnowsky (Cap d’Ail), Frau Nellie Lechner-Kraus (Prag), Miss Mary Cooney (p.a. Nadherny), Dr Fritz Siegel, Fritz Schick, Berlin, Charlotte Joël, Berlin (Adresse Verlag), Rolf Nürnberg,
Ludwig v. Ficker, Sigismund von Radecki, Prof Dr Jaray, Charlotte der lieber Joël (Berlin),
¿¿¿
¿¿¿
¿¿¿
Frau Johanna König-Jahoda, Richard Lanyi,
Heinrich Fischer, Max Bunzl, Dr Johann Turnovsky, Herrn u. Frau v. Chlumecki aufzuteilen.
Das Album Annie Kalmar, die Bilder u Büste
Annie Kalmar sollen Frau Helene Kann
gehören, der auch das Archiv sowie das Portrait
verbleibt. Für das Grab Annie Kalmars in
Ohlsdorf bei Hamburg (Anna Kaldwasser)
hat Frau Helene Kann zu sorgen, Frau MalvineWeingarten möge die Obhut über das Grab
meiner Schwester Marie Turnowsky und deren
Mannes übernehmen. Dr Samek möge für das ihm bekannte Grab der armen Frau Christoduloff sorgen, falls es ihr Mann nicht tun sollte. (Beide mögen in
ihren Testamenten weitere Verfügungen treffen.)


Schreibtisch links unten, mittlere
Lade: alles auf Annie Kalmar (Briefe, Polster, der seit 1901 in dieser Lade sich befindet)
und Familiendinge bezügliches
übernehme Frau Helene Kann.


Schrank im Schlafzimmer, der Teil beim Fenster
(zu dem der Schlüssel im Schreibtisch links oben
vorfindlich): Briefe von Sidonie Nadherny,
Mechtilde Lichnowsky, Mary Dobrzensky
ungelesen an diese. Ebenso Briefe, die
sich sonst unter den Papieren finden
und die gleiche Schrift aufweisen.


4


Was auf den ersten Blick
(und ohne weiteren in den
Inhalt) als die Schrift
dieser Absenderinnen, etwa auch
durch Poststempel feststellbar ist
in wohlverschlossenen Paketen an sie
zurückzustellen (nach freundlicher vorhergehender
Anfrage).


Was rechts im Schreibtisch (mit Ausnahme
an sonstigen Briefen, also hauptsächlich Briefe von
Frauen) möge gef. Dr Samek an sich
nehmen und nach Gutdünken behandeln.
Als Andenken an die oben genannten Personen
kommen statt Bücher auch Bilder und insbesondere
Manuscripte in Betracht. (Auch an Frau Wallek irgendein Gegenstand)
Über den Inhalt des Testamentes darf von keinem der
Beteiligten gesprochen werden; etwa vorfindliche andere (1917, 1919, ev. 1933) sind damit umgestossen und sollen vernichtet werden.


Nur weil mein Leben
so wenig eine Familienangelegenheit
sein sollte, wie es mein Leben – der Arbeit wegen –
sein mußte, bitte ich meine Verwandten, meiner
Bestattung (Beerdigung) fernzubleiben. Daß es
eine Privatangelegenheit sei, die auch andere fernhält,
kann ich nur wünschen, nicht sichern.


Ich danke allen lieben Freunden, den bekannten und
den unbekannten
Karl Kraus


27./28. August 1935


rev. 19./20. Februar 1936


NB. Andenken an Frau und Herrn Dr M. v. Chlumecky, Herrn u Frau Krieneck, Frau Antonie Wallek,
Herrn Franz Mittler, Herrn Dr Otto Janowitz, Frl. Modern,
Herrn u Frau Dr Schornstein (M. Ostrau)
u die beiden andern M. Ostrauer Bekannten.


Mein letzter Wille