ReichspostNeue Freie PresseEin KreislaufTheodor Herzl’s Tagebücher. 1895–1904Die FackelPreisschrift über die Grundlage der Moral, nicht gekrönt von der königlich dänischen Sozietät der Wissenschaften


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An das
Strafbezirksgericht IWien


Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in
Wien, III. Hintere Zollamtsstraße 3


Beschuldigter: Karl Schiffleitner, verant
wortlicher Redakteur der „Reichspost“ in
Wien VIII. Strozzigasse 8


Privatanklage


wegen Verweigerung einer Berichtigung


einfach, 3 Beilagen.


Der Unterfertigte erstattet hiemit im Sinne des
§ 23 P. G. die Anzeige gegenden verantwortlichen Redakteur
2der „Reichspost“, die Aufnahme der sub a) angeschlossenen
3Berichtigung des sub b) beigelegten Artikels „Ein Kreislauf“ grundlos verweigert zu haben. Zur Begründung der
Berechtigung des Verlangens nach Aufnahme führt er schon
in der Klage das folgende aus:


Die Tatsachen, um die es sich in dem berichtigten
Artikel handelt, und jene, die ihnen in der Berichtigung
entgegengestellt sind, entstammen – mit Ausnahme der letz
ten – einer rein stilistischen Materie, an deren durch
keinerlei Entstellung beschädigten Bestand jedoch zweifel
los und vor allem für den Schriftsteller ein ebenso wohl
begründetes sachliches Interesse vorhanden ist wie gegen
über der Materie irgendeiner anderen Tatächlichkeit. Der
zu erwartende Einwand des Beklagten, daß in den Zitaten
der „Reichspost“, die samt und sonders eine Vergröberung
4der Gedanken und Sätze des sub c) beigeschlossenen Aufsatzes der Fackel vorstellen, das „Wesentliche“, nämlich
die „Meinung“, die für den Durchschnittsleser den Inhalt
bildet, wiedergegeben sei und dass eine Tageszeitung,
die zitieren will, genug getan habe, wenn sie diese Meinung
referierend wiedergibt, so daß es auf einzelne hinzugetane
oder weggenommene Worte und überhaupt auf stilistische
Feinheiten nicht ankommen könne, selbst dann nicht, wenn
der verstümmelte Wortlaut unter Anführungszeichen wieder
gegeben ist – dieser Einwand einer „Irrelevanz“ der in
Frage kommenden Tatsachen wäre durchaus unstichhaltig. Läßt
sich schon vorweg sagen, daß keine Tageszeitung genötigt
ist, im Rahmen ihrer lokalen Neuigkeiten über einen lite
rarischen Aufsatz zu berichten und daß sie, wenn sie sich
dazu entschließt, eben bemüht sein muß, die zitierten Ge
danken, was immer sie gegen sie einzuwenden habe, wenigstens
im vollen textlich übereinstimmenden, genau kontrollierten
Wortlaut wiederzugeben, zumal dort, wo sie unter Anfüh
rungszeichen zitiert – wobei ja noch immer durch beliebige
Herausziehung von Sätzen Spielraum für eine Entstellung
des Grundgedankens bleibt –, so muß es ganz gewiß dem
Schriftsteller überlassen werden, sein geistiges Recht
hier besser wahrzunehmen und also darauf zu bestehen, daß,
wenn ihn eine Tageszeitung schon für die eigene Tendenz
zurichtet, sie doch nicht seine einzelnen Sätze auf das
eigene stilistische Niveau herabsetze. Die Frage der
Relevanz, die in Dingen eines rein geistigen Sachverhalts
nicht bereitwilliger gestellt werden darf als in irgend
einer anderen Sphäre eines verletzten tatsächlichen
Interesses, wäre hier nach Ansicht des Berichtigungswerbers schon durch den Umstand abgetan, daß er eben mindes
tens so großen Wert darauf legt und legen darf, diesen
oder jenen Satz geschrieben oder nicht geschrieben zu
haben wie diese oder jene Handlung, die von ihm behauptet
würde, getan oder nicht getan zu haben. Es bedarf wohl
keines Hinweises darauf, daß durch die Entstellung eines
einzigen Wortes, ja Buchstabens oder Interpunktionszei
chens ein Gedanke, ein Satz eine vollständig andere
Position und Kraft, ja einen wesentlich anderen Sinn er
halten mag, dass je nach Wert und Wirkung des so oder so
gedruckten Satzes selbst die Tatsächlichkeit einer Lebens
sphäre von der stilistischen Veränderung alteriert werden
kann und daß sich durch die Methode absichtlich oder un
absichtlich fehlerhaften Zitierens Sätzen, die man in
einer dem oberflächlichen Leser genehmen Tendenz darbieten
will, geradezu eine Gesinnung imputieren läßt, die sogar
ein solcher Leser, wenn er nachher das zitierte Original
kennen lernte, in diesem nicht wiederfinden würde. Dies
ist in dem berichtigten Artikel Satz für Satz geschehen,
und daß es der Fall ist, soll im folgenden bewiesen wer
den:


Die Behauptung, in der Fackel sei der Satz gestanden,
Karl Kraus sei „einst“ durch den leidigen Zufall der Geburt
in die jüdische Glaubensgenossenschaft geraten, läßt die
ses Bekenntnis als einen schlecht stilisierten Unsinn er
scheinen. (Siehe Fackel, S. 3.‚ Z. 20 ff.)


In der Behauptung, er habe eine zeitlang „der
der bequemen Konfessionslosigkeit“ gehuldigt,
ist, wiewohl das letzte Wort nicht unter Anführungszeichen
zitiert erscheint‚ doch – ganz abgesehen von dem Unsinn
der äußeren Verstümmlung – der Sinn des Originalsatzes
(S. 3, Z. 23 ff) nicht wiederzuerkennen. Durch die Ver
kürzung des Zitats wird ein zynisches Behagen in das Be
kenntnis eingeschmuggelt, das man in ihm nicht finden
wird, da die weggelassenen Worte „und nie genug gewürdig
ten“ ihm erst seinen vollen Ernst verschaffen.


Noch anschaulicher wird die Absicht, den herausge
rissenen Sätzen und Satzteilen den üblen Geschmack zu
geben, den der berichtigte Artikel mit den Einleitungs
worten, Kraus mache „etliche, ihn ziemlich ausreichend
charakterisierende Angaben“ ihm nachsagt, in dem Zitat:
und zwar „ohne zwingenden Grund“ des Glaubens oder des
Geschäftes. Wiewohl die letzten Worte nicht innerhalb der
Anführungszeichen untergebracht sind, so ist es doch ein
leuchtend, daß das den Autor ziemlich ausreichend
charakterisierende Geständnis wiedergegeben werden soll,
daß er ernsthaft Glauben „oder Geschäft“ für zwingende
Gründe halte, die Religion zu wechseln. Das gerade Gegen
teil erweist sich, wenn man den Originalsatz (S. 3, Z. 26 ff)
betrachtet, in dem ganz eindringlich die Ansicht des
Verfassers zum Ausdruck kommt, daß das Motiv des


„politischen oder socialen Strebens“, das er die „ Konversi
on eines Geschäftes“ nennt, die er als das „häufigere
Motiv“ und als das schimpfliche ablehnt, nicht nur das
seine nicht gewesen sei, sondern das seine nicht sein
könne. Er selbst zitiert solches Motiv als gemein
hin zwingenden Grund im abfälligen Sinne, und der zitieren
de Artikel der „Reichspost“ zitiert ihn dabei so, als ob
er es als ein mögliches, ja auch ihn selber sonst zwingen
des Motiv betrachten würde, aber eben die Frivolität be
sessen hätte, nicht einmal ein solches Motiv für seinen
Übertritt gehabt zu haben, das er selbst doch gleichsam
grundsätzlich als zwingend anerkennt.


Ganz ebenso relevant ist die nun folgende Entstellung
durch das eingefügte Wort „also“‚ das den Eindruck erwecken
muß‚ als ob der Verfasser im Plauderton erzählen wollte,
er sei „also Katholik“ geworden, während die weggelassenen
Worte „wie dem immer sei“ (S. 4, Z. 1 ff.) ganz deutlich be
sagen, daß hier der Schluß einer ernsthaften Selbstbe
schuldigung gezogen wird.


Die nun folgende Verkürzung macht den polemischen
Witz: „sondern hauptsächlich aus Antisemitismus“ zu einer
schnodderigen Pointe und indem sie die voraufgehenden
vorausgehenden Worte unterschlägt: „nicht nur aus Gründen einer Mensch
lichkeit, die bei den Hirten in so schlechter Obhut ist“
(S. 5, Z. 5 ff.), nimmt sie dem Bekenntnis des Austrittes
nicht allein einen gewichtigen Beweggrund, sondern auch
alle Ernsthaftigkeit.


Mit dem Satz von dem „Bannstrahl“, in welchem etwas
weggelassen ist, was ihm erst das Fundament seines anklä
gerischen Sinnes verleiht, nämlich sowohl das geringe
Opfer, das dieser Bannstrahl gekostet hätte, wie vor allem
dessen Berechtigung, wird dem Aufsatz an jener Stelle
(S. 4, Z. 19 ff.) eine Zeitungsphrase unterschoben. Es ist


ganz unmöglich, daß der Satz dort ohne eine weitere
Charakterisierung „der Dynasten“ ab
schließen konnte. Der Relativsatz „die Kraus für die
Urheber des Weltkriegsunglücks hält“ zitiert wohl eine
schon bekannte Auffassung der Fackel, gibt aber nicht zu
erkennen, daß an jener Stelle eben die Tätigkeit der
Dynasten beschrieben war, die den Bannstrahl
erfordert hätte, nämlich daß sie „den Völkern das Ultimatum der Pest
und der Syphilis überbracht haben“. Die „Reichspost“ mag
Bedenken tragen, eine solche Charakterisierung der Dynas
ten auch nur zu zitieren, sie muß es aber wohl oder übel
tun, wenn sie den Autor zitieren will, der auf Grund sol
cher Charakterisierung jenen Bannstrahl vermißt, den die
Reichspost“ doch als eine ihr offenbar übertrieben
scheinende Forderung zitieren will. Sie muß überhaupt voll
ständig zitieren, und eine etwaige Berufung darauf, daß
sie von den Dynasten eine Kränkung abhalten wollte, für
die ja der zitierte Autor verantwortlich ist, dürfte ihr
weder vor dem Weltgericht noch vor einem solchen der Re
publik hingehen, ebensowenig wie etwa die über den Welt
krieg hinaus durchgehaltene Scheu, das Wort „Syphilis“
zu drucken. Jenen Dynasten gegenüber als Objekten histori
scher Kritik dürfte wohl das Moment der Beleidigung im
allgemeinen wie der Ehrfurchtverletzung im besondern so
wenig in Frage kommen wie etwa gegenüber dem Nero, der ja
auch ein verstorbenes Mitglied eines Kaiserhauses ist.


Mit Rücksicht auf eine juridische Materie, deren
Besonderheit und Schwierigkeit eine Klarlegung durch münd
liches Vorbringen kaum ermöglichen würde, war der Berichtigungswerber bemüht, schon in der Klage zu jedem einzel
nen Punkt mit aller Eindringlichkeit Stelllung zu nehmen.
Wenn es noch einer Bekräftigung der prinzipiellen Wich
tigkeit des Falles bedürfte und der im Wesen der
schriftstellerischen Existenz beruhenden Notwendigkeit,
daß die literarische Leistung nicht nur als geistiges
und materielles Gut durch das Autorrecht, sondern auch als
ein Teil der Tatsachenwelt durch das Berichtigungsrecht
geschützt sei, so kann auf ein Wort Schopenhauers verwiesen werden, durch das wohl in exemplar
ischer Art die Wesentlichkeit dieses Interesses anerkannt
erscheint. Schopenhauers Motto zu der „Preisschrift überdie Grundlage der Moral, nicht gekrönt von der königlich dänischenSozietät der Wissenschaften“ war der Satz:
„Moral predigen ist leicht, Moral begründen schwer.“ In
dem „Judicium regiae Danicae Scientiarum Societatis“ (das
dem Druck der Preisschrift angehängt ist) er
schien dieses Motto wie folgt zitiert: „Moral predigen ist
leicht, Moral begründen ist schwer.“ Die „Reichspost
hätte wohl, wenn sie derart zitiert hätte, einer Berich
tigung mit dem Einwand sich geweigert, daß sie ja doch
die Meinung des Autors richtig wiedergegeben habe und daß
es auf das Wörtchen „ist“ als einen unerheblichen Unter
schied schon nicht ankommen werde. Schopenhauer aber macht
zu jenem Judicium die Anmerkung: „Dieses zwei
te ‚ist‘ hat die Akademie aus
eigenen Mitteln hinzugefügt,
um einen Beleg zu liefern zur
Lehre des Longinus, daß man
durch Hinzufügung oder Wegnah
me einer Silbe die ganze Ener
gie einer Sentenz vernichten
kann .“ Angesichts der Energie dieser Sentenz,
die durchgreifend dartut, worauf es in der Literatur und
worauf es dem Schriftsteller ankommt, wäre es überflüssig,
auch noch auf Schopenhauers bekanntere Flüche gegen die
Verstümmler seines Wortes und des Wortes im allgemeinen
hinzuweisen, mit denen er sowohl jene Journalisten ge
troffen hat, die an der Herabsetzung des Sprachniveaus
Schuld tragen, wie jene künftigen Herausgeber, die seine
Sprache auf jenes Niveau herabsetzen.


Ebenso bedenkenlos und ebenso bedenklich wie die
Reichspost“ mit dem Aufsatz, den sie zitieren wollte,
verfahren ist, erscheint demnach in allen Punkten die
Verweigerung der Aufnahme der ihr zugesandten Berichtigung. Bliebe nur noch der letzte Passus zu erörtern,
dessen Tatsächlichkeit allerdings nicht der stilistischen
Materie zugehört, sondern der Materie der Meinung. Vorweg
sei festgestellt, daß hier eine Verwechslung der „Meinung“
als der Art des Vorbringens, also einer solchen
„Meinung“, die nach § 23 sicherlich nicht berichtigt wer
den kann, mit dem Stoff des Vorbringens platzgreifen
könnte und aller Voraussicht nach auch der Verteidigung
zugrundeliegen wird. Die „Reichspost“ sagt, daß aus dem
Aufsatz nicht hervorgehe, ob dessen Verfasser zu einer
andern Konfession, zur Konfessionslosigkeit oder wieder
zum Judentum übergehen werde, aber „eifrige Anlehnungen
in einem anderen Aufsatz der ‚Fackel‘ an Theodor Herzls
Tagebuch machen den Fall 3 zur Wahrscheinlichkeit. Ein
Kreislauf ist beendet.“ Der tatsächlichen Berichtigung
dieses Satzes, der allerdings keine direkte Behauptung
einer Tatsache enthält, aber auf Grund einer deutlich
unterschobenen Tatsache eine satirische
Meinung vorbringt‚ wird entgegengehalten werden, daß man
eine solche nicht berichtigen kann. Dies würde aber eine
geradezu beispielhafte Verwechslung sein jener Meinung,
die hier im Wege der Konklusion vorgebracht wird und die
allerdings vom § 23 nicht erreichbar wäre, mit dem
Meinungsstoff des Vorbringens, der in seiner Tat
sächlichkeit, in seinem konkreten Vorhandensein einfach


nicht zu übersehen ist. Gewiß, wer würde leugnen, daß die
Behauptung „eifriger Anlehnungen“ an und für
sich nichts anderes als eine Ansicht, eine mehr oder
minder ernsthafte Kritik ist, die man als solche nicht mit
dem Berichtigungsparagraphen bestreiten kann. Wer würde
des weiteren verkennen, daß die Setzung des „Falles 3“
als einer „Wahrscheinlichkeit“ an und für sich
eine nicht berichtigbare Vermutung ist, zu der sie ja
schon das Wort „Wahrscheinlichkeit“ macht, und eine
satirisch gemeinte noch dazu. Nichts wäre jedoch verfehl
ter‚ als sich durch die der Urteilssphäre entnommenen
Worte von der Tatsachensphäre, die ihnen in Wahrheit
zugrundeliegt, ablenken zu lassen. Es ist sehr wohl zu be
achten, daß die Berichtigung sich weder darauf bezieht,
daß in der Fackel eifrige Anlehnungen an Herzls Tagebuch
enthalten oder daß ihre Anlehnungen eifrige sind, noch
darauf, daß der Fall 3 nicht wahrscheinlich ist. Sondern
was berichtigt wird, ist ausschließlich
der tatsächliche Zusammenhang, in
den diese beiden Meinungselemente unverkennbar gestellt
sind. In dem Artikel wird für jeden Leser, der den zitier
ten Aufsatz nicht kennt, die Tatsache unter
schoben, daß der Verfasser‚ der in demselben Heft
sich von der katholischen Religion abwendet, ein jüdisch
nationales Buch aus konfessionellen
Motiven – für seine soeben ausgesprochene Ansicht – heran
zieht. Es wird mit keinem Wort dem Leser gesagt, aus wie
ganz anders gearteten Motiven diese Heranziehung erfolgt,
nämlich daß sie (S. 77–81) zum Beweise der Korruption jener
Neuen Freien Presse erfolgt, die erst durch ein Inserat
Theodor Herzls zu einer Beachtung der zionistischen Sache
zu bewegen war und sich hinterdrein auf dessen Hochschät
zung berufen möchte. Jeder Leser der Reichspost muß glauben,


daß die Tatsache gesetzt ist, in der
Fackel sei Herzls Tagebuch aus einer Sympathie für die
jüdische Sache zitiert, aus der sich eben die Wahrschein
lichkeit einer Rückkehr zum Judentum ergebe. Hinter der
satirischen Version steckt ganz gewiß für jeden, der den
Artikel der „Reichspost“ gelesen hat, die Tatsache,
daß es sich um Anlehnungen mit jüdischer
Tendenz handle. Es ist klar, in welchem
Falle die Behauptung „eifriger Anlehnungen“ die
Ansicht, die sie an und für sich schein
bar ist, auch wirklich wäre und keine Tatsachenbehauptung
einschlösse: nämlich dann, wenn tatsächlich Zitate
zionistischer Tendenz in der Fackel erschienen
wären. Das wird aber indirekt ganz deutlich behauptet,
wenn von eifrigen Anlehnungen in diesem Zusammen
hang die Rede ist. Dies ist als Tatsache
unterstellt, also indirekt behauptet, und das
Gesetz gestattet zweifellos auch die Berichtigung solcher
Tatsachen. Ob es sich um eifrige Anlehnungen handelt, die
die Rückkehr zum Judentum wahrscheinlich machen, wäre –
trotz der Meinungsfarbe der Worte – nur dann eine
Ansichtssache, wenn solche Zitate
tatsächlich vorlägen, wie sie eben nicht
vorliegen, von denen aber jeder Leser des berichtigten
Artikels annehmen muß, daß sie vorliegen. Die Tatsache,
die unterstellt, der Zusammenhang, der hergestellt wird,
wären um nichts handgreiflicher, wenn die „Reichspost
statt von „eifrigen Anlehnungen“ von „Zitaten“ oder gar
von „zionistischen Zitaten“ und statt von „Wahrscheinlich
keit“ von „Gewißheit“ gesprochen hätte, weil es eben gar
nicht auf diese Behauptungen als solche, die ja auch
nicht berichtigt werden, ankommt, sondern lediglich auf
die als Grundlage der Meinung und Vermutung


gesetzte, unterstellte Tatsache. In
dem einem Aufsatz war von dem Verlassen der katholischen
Religion die Rede; in dem andern wird die von der
Neuen Freien Presse behauptete Intransigenz in Gesinnungsfragen
durch den Umstand ad absurdum geführt, daß es Herzl ge
lungen ist, sie auf dem Geldweg für eine ihr verhaßte
Sache zu interessieren: der Kronzeuge ihrer Unentwegtheit
wird als Kronzeuge ihrer Zugänglichkeit ausgespielt. Der
Autor beider Aufsätze hat ein Recht darauf, daß die abso
lute Nichtzusammengehörigkeit beider festgestellt werde
gegen die Behauptung eines Zusammenhanges durch die Unter
stellung, daß der zweite zugunsten der zionistischen Sache
geschrieben sei, gleichsam als eine Fortsetzung des ersten
Bekenntnisses. Eine „Ansicht“ wäre die Bemerkung der
Reichspost“ erst für den, der wüßte, daß der Zusammen
hang zum Zwecke der sogenannten Satire erfunden ist, jeder
andere muß ihn als vorhanden annehmen und meinen, daß es
sich um Anlehnungen an die Tendenz
des Tagebuchs handle, deren Bezeichnung als „eifrig“ schon
auf Religionseifer und Renegatentum hinweist. Eine „Satire“
ist wohl der Zusammenhang einer solchen Anlehnung mit der
Vermutung der Rückkehr zum alten Testament, aber die
Tatsache, daß es sich um eine zionistische Anleh
nung handelt, ist die klare Grundlage dieser
Satire. Kein Leser wird die Möglichkeit auch nur ahnen
können, daß von einem Inseratengeschäft der Neuen FreienPresse die Rede ist und daß ausschließlich dieser
Tatsache zuliebe alle Exzerpte aus Herzls Tagebüchern
erfolgt sind. Wie sollte er sich auch vorstellen, daß
damit „ein Kreislauf beendet“ sei? Der erscheint
aber beendet, wenn dem Leser direkt oder indirekt mitge
teilt wird, daß jener dem Katholizismus Abtrünnige nun
mehr die zionistische Tendenz propagiere; wenn die


Vorstellung solchen Sachverhalts überdies durch den Titel
Ein Kreislauf“, der ja die Wiederkehr ins
Judentum förmlich ankündigt, dem Leser geradezu aufgedrängt
wird. Die „Reichspost“ hätte bloß schreiben müssen: „An
lehnungen dieser Art“, um die falsche Tatsache, die sie
suggerieren will, direkt zu behaupten. Nicht die
„eifrigen Anlehnungen“ als solche, wohl aber die der
vorgestellten Art enthalten die Tatsache,
der als einer unwahren die wahre Tatsache entgegengestellt
werden kann: daß es sich um einen antikorruptionistischen
Aufsatz handelt, der ja ganz ebenso einem anderen Gebiet
entnommen sein könnte als einem, wo zufällig der Juden
punkt eine Rolle spielt. Wäre es nicht möglich, eine solche
Tatsache im Wege des Gesetzes zu reklamieren, so bliebe,
um aus der Sphäre einer konkreteren Stofflichkeit ein Bei
spiel zu holen, etwa der Fall der Berichtigung unzugänglich,
daß einer schreibt, X., der erzählt hat, er habe sich von
seiner Frau scheiden lassen‚ wolle sich nun wohl mit einer
anderen verheiraten: ein eifriges Gespräch – das sich in
Wahrheit um ein Theaterstück gedreht hat – mache diesen
Fall zur Wahrscheinlichkeit; ein Kreislauf ist beendet.
Dagegen wäre es zweifellos eine nicht berichtigbare Satire,
wenn einer vorbringen wollte, ein Journalist, der zufällig
der katholischen Religion angehört, werde sich wahrschein
lich nie einer andern zuwenden, denn er mache unter jede
bezahlte Notiz ein Kreuz – wiewohl er sich dadurch
doch gewiß nicht von Journalisten anderer Konfessionen unter
scheidet.


Jene Notiz aber, die die „Reichspost“ aus redaktio
nellem Ermessen gebracht hat, trägt Satz für Satz das
Merkmal einer Verleugnung der geistigen und stilistischen
Tatsächlichkeit, die die Aufsätze der Fackel enthalten.
Durch die Vorlage dieser wird keineswegs der Versuch


gemacht, in einen Wahrheits-, respektive Unwahrheitsbeweis
einzugehen, den ja das Berichtigungsverfahren ausschließt.
Sie ist aber unerläßlich zu dem Zweck, einerseits den
falschen Zitierungen gegenüber die Relevanz der in Frage
kommenden Sachverhalte zu erweisen, anderseits, um das
Wesen einer unterschobenen, indirekt behaupteten Tatsache
zu verdeutlichen. Der Verfasser der in ihrem Wortlaut und
Sinn falsch wiedergegebenen Aufsätze glaubt ein Recht zu
haben, im Wege des Preßgesetzes eine Richtigstellung der
entstellten Sätze und Gedanken zu erreichen, hält die
Weigerung des verantwortlichen Redakteurs der „Reichspost
für grundlos und beantragt, ihn gemäß § 24 zu verurteilen.