An das
Strafbezirksgericht IWien
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in
Wien, III. Hintere Zollamtsstraße 3
Beschuldigter: Karl Schiffleitner,
verant
wortlicher Redakteur der „Reichspost“
in
Wien VIII. Strozzigasse 8
Privatanklage
wegen Verweigerung einer
Berichtigung
einfach, 3 Beilagen.
Der Unterfertigte
erstattet hiemit im Sinne des
§ 23 P. G. die Anzeige gegenden verantwortlichen Redakteur
2der „Reichspost“, die Aufnahme der sub a) angeschlossenen
3Berichtigung des sub b) beigelegten Artikels „Ein Kreislauf“ grundlos
verweigert zu haben. Zur Begründung der
Berechtigung des Verlangens
nach Aufnahme führt er schon
in der Klage das folgende aus:
Die Tatsachen, um die es
sich in dem berichtigten
Artikel handelt, und jene, die ihnen
in der Berichtigung
entgegengestellt sind,
entstammen – mit Ausnahme der letz
ten – einer rein
stilistischen Materie, an deren durch
keinerlei Entstellung
beschädigten Bestand jedoch zweifel
los und vor allem für den
Schriftsteller ein ebenso wohl
begründetes sachliches
Interesse vorhanden ist wie gegen
über der Materie irgendeiner
anderen Tatächlichkeit. Der
zu erwartende Einwand des Beklagten, daß in
den Zitaten
der „Reichspost“, die samt und sonders
eine Vergröberung
4der Gedanken und Sätze des sub c)
beigeschlossenen Aufsatzes der Fackel
vorstellen, das „Wesentliche“, nämlich
die „Meinung“, die für den
Durchschnittsleser den Inhalt
bildet, wiedergegeben sei und dass eine Tageszeitung,
die zitieren will, genug
getan habe, wenn sie diese Meinung
referierend wiedergibt, so
daß es auf einzelne hinzugetane
oder weggenommene Worte und
überhaupt auf stilistische
Feinheiten nicht ankommen könne, selbst dann nicht, wenn
der verstümmelte Wortlaut
unter Anführungszeichen wieder
gegeben ist – dieser Einwand
einer „Irrelevanz“ der in
Frage kommenden Tatsachen wäre durchaus unstichhaltig. Läßt
sich schon vorweg sagen, daß
keine Tageszeitung genötigt
ist, im Rahmen ihrer lokalen Neuigkeiten über einen lite
rarischen Aufsatz zu
berichten und daß sie, wenn sie sich
dazu entschließt, eben
bemüht sein muß, die zitierten Ge
danken, was immer sie gegen
sie einzuwenden habe, wenigstens
im vollen textlich
übereinstimmenden, genau kontrollierten
Wortlaut wiederzugeben,
zumal dort, wo sie unter Anfüh
rungszeichen zitiert – wobei
ja noch immer durch beliebige
Herausziehung von Sätzen Spielraum für eine Entstellung
des Grundgedankens bleibt –,
so muß es ganz gewiß dem
Schriftsteller überlassen werden, sein geistiges Recht
hier besser wahrzunehmen und
also darauf zu bestehen, daß,
wenn ihn eine Tageszeitung schon für die eigene Tendenz
zurichtet, sie doch nicht
seine einzelnen Sätze auf das
eigene stilistische Niveau herabsetze. Die Frage der
Relevanz, die in Dingen
eines rein geistigen Sachverhalts
nicht bereitwilliger
gestellt werden darf als in irgend
einer anderen Sphäre eines
verletzten tatsächlichen
Interesses, wäre hier nach Ansicht des Berichtigungswerbers schon durch
den Umstand abgetan, daß er eben mindes
tens so großen Wert darauf
legt und legen darf, diesen
oder jenen Satz geschrieben oder nicht geschrieben zu
haben wie diese oder jene
Handlung, die von ihm behauptet
würde, getan oder nicht
getan zu haben. Es bedarf wohl
keines Hinweises darauf, daß durch die Entstellung eines
einzigen Wortes, ja
Buchstabens oder Interpunktionszei
chens ein Gedanke, ein Satz
eine vollständig andere
Position und Kraft, ja einen wesentlich anderen Sinn er
halten mag, dass je nach
Wert und Wirkung des so oder so
gedruckten Satzes selbst die
Tatsächlichkeit einer Lebens
sphäre von der stilistischen
Veränderung alteriert werden
kann und daß sich durch die Methode absichtlich oder un
absichtlich fehlerhaften
Zitierens Sätzen, die man in
einer dem oberflächlichen Leser genehmen Tendenz darbieten
will, geradezu eine
Gesinnung imputieren läßt, die sogar
ein solcher Leser, wenn er
nachher das zitierte Original
kennen lernte, in diesem nicht wiederfinden würde. Dies
ist in dem berichtigten Artikel Satz für Satz geschehen,
und daß es der Fall ist,
soll im folgenden bewiesen wer
den:
Die Behauptung, in der Fackel sei der Satz gestanden,
Karl Kraus sei
„einst“ durch den leidigen Zufall der Geburt
in die jüdische
Glaubensgenossenschaft geraten, läßt die
ses Bekenntnis als einen
schlecht stilisierten Unsinn er
scheinen. (Siehe Fackel,
S. 3.‚ Z. 20 ff.)
In der Behauptung, er habe
eine zeitlang „der
der
bequemen Konfessionslosigkeit“ gehuldigt,
ist, wiewohl das letzte Wort
nicht unter Anführungszeichen
zitiert erscheint‚ doch – ganz abgesehen von dem Unsinn
der äußeren Verstümmlung –
der Sinn des Originalsatzes
(S.
3, Z. 23 ff) nicht wiederzuerkennen. Durch die Ver
kürzung des Zitats wird ein
zynisches Behagen in das Be
kenntnis eingeschmuggelt,
das man in ihm nicht finden
wird, da die weggelassenen Worte „und nie genug gewürdig
ten“
ihm erst seinen vollen Ernst verschaffen.
Noch anschaulicher wird die
Absicht, den herausge
rissenen Sätzen und
Satzteilen den üblen Geschmack zu
geben, den der berichtigte
Artikel mit den Einleitungs
worten, Kraus
mache „etliche, ihn ziemlich ausreichend
charakterisierende
Angaben“ ihm nachsagt, in dem Zitat:
und zwar „ohne
zwingenden Grund“ des Glaubens oder des
Geschäftes. Wiewohl die
letzten Worte nicht innerhalb der
Anführungszeichen
untergebracht sind, so ist es doch ein
leuchtend, daß das den Autor ziemlich
ausreichend
charakterisierende Geständnis wiedergegeben werden soll,
daß er ernsthaft Glauben
„oder
Geschäft“ für zwingende
Gründe halte, die Religion
zu wechseln. Das gerade Gegen
teil erweist sich, wenn man
den Originalsatz (S. 3, Z. 26 ff)
betrachtet, in dem ganz
eindringlich die Ansicht des
Verfassers zum Ausdruck kommt, daß das Motiv des
„politischen oder socialen
Strebens“, das er die „ Konversi
on eines
Geschäftes“ nennt, die er als das „häufigere
Motiv“ und als
das schimpfliche ablehnt, nicht nur das
seine nicht gewesen sei,
sondern das seine nicht sein
könne. Er selbst zitiert solches Motiv als gemein
hin zwingenden
Grund im abfälligen Sinne, und der zitieren
de Artikel der „Reichspost“ zitiert ihn dabei so,
als ob
er es als ein
mögliches, ja auch ihn selber sonst zwingen
des Motiv betrachten würde,
aber eben die Frivolität be
sessen hätte, nicht einmal
ein solches Motiv für seinen
Übertritt gehabt zu haben, das er selbst doch gleichsam
grundsätzlich als zwingend
anerkennt.
Ganz ebenso relevant ist die
nun folgende Entstellung
durch das eingefügte Wort „also“‚ das den
Eindruck erwecken
muß‚ als ob
der Verfasser im Plauderton erzählen wollte,
er sei „also Katholik“
geworden, während die weggelassenen
Worte „wie dem immer sei“
(S.
4, Z. 1 ff.) ganz deutlich be
sagen, daß hier der Schluß
einer ernsthaften Selbstbe
schuldigung gezogen wird.
Die nun folgende Verkürzung
macht den polemischen
Witz:
„sondern hauptsächlich aus
Antisemitismus“ zu einer
schnodderigen Pointe und
indem sie die voraufgehenden
vorausgehenden Worte unterschlägt: „nicht nur aus Gründen einer
Mensch
lichkeit, die bei den Hirten in so schlechter Obhut ist“
(S. 5, Z.
5 ff.), nimmt sie dem Bekenntnis des Austrittes
nicht allein einen
gewichtigen Beweggrund, sondern auch
alle Ernsthaftigkeit.
Mit dem Satz von dem „Bannstrahl“, in welchem etwas
weggelassen ist, was ihm
erst das Fundament seines anklä
gerischen Sinnes verleiht,
nämlich sowohl das geringe
Opfer, das dieser Bannstrahl gekostet hätte, wie vor allem
dessen Berechtigung, wird
dem Aufsatz an jener Stelle
(S. 4, Z.
19 ff.) eine Zeitungsphrase unterschoben. Es ist
ganz unmöglich, daß der Satz
dort ohne eine weitere
Charakterisierung „der Dynasten“ ab
schließen konnte.
Der Relativsatz „die Kraus für die
Urheber des
Weltkriegsunglücks hält“ zitiert wohl eine
schon bekannte Auffassung
der Fackel, gibt aber nicht zu
erkennen, daß an jener
Stelle eben die Tätigkeit der
Dynasten beschrieben war, die den Bannstrahl
erfordert hätte, nämlich daß
sie „den Völkern das Ultimatum der
Pest
und der Syphilis
überbracht haben“. Die „Reichspost“ mag
Bedenken tragen, eine solche Charakterisierung der Dynas
ten auch nur zu zitieren,
sie muß es aber wohl oder übel
tun, wenn sie den Autor zitieren will, der auf Grund sol
cher Charakterisierung jenen
Bannstrahl vermißt, den die
„Reichspost“ doch als eine ihr
offenbar übertrieben
scheinende Forderung zitieren will. Sie muß überhaupt voll
ständig zitieren, und eine
etwaige Berufung darauf, daß
sie von den Dynasten eine Kränkung abhalten wollte, für
die ja der zitierte Autor
verantwortlich ist, dürfte ihr
weder vor dem Weltgericht noch vor einem solchen der Re
publik hingehen, ebensowenig
wie etwa die über den Welt
krieg hinaus durchgehaltene
Scheu, das Wort „Syphilis“
zu
drucken. Jenen Dynasten gegenüber als Objekten histori
scher Kritik dürfte wohl das
Moment der Beleidigung im
allgemeinen wie der Ehrfurchtverletzung im besondern so
wenig in Frage kommen wie
etwa gegenüber dem Nero, der ja
auch ein verstorbenes
Mitglied eines Kaiserhauses ist.
Mit Rücksicht auf eine
juridische Materie, deren
Besonderheit und Schwierigkeit eine Klarlegung durch münd
liches Vorbringen kaum
ermöglichen würde, war der Berichtigungswerber
bemüht, schon in der Klage zu jedem einzel
nen Punkt mit aller
Eindringlichkeit Stelllung zu nehmen.
Wenn es noch einer
Bekräftigung der prinzipiellen Wich
tigkeit des Falles bedürfte
und der im Wesen der
schriftstellerischen
Existenz beruhenden Notwendigkeit,
daß die literarische
Leistung nicht nur als geistiges
und materielles Gut durch
das Autorrecht, sondern auch als
ein Teil der Tatsachenwelt
durch das Berichtigungsrecht
geschützt sei, so kann auf ein Wort Schopenhauers
verwiesen werden, durch das wohl in exemplar
ischer Art die
Wesentlichkeit dieses Interesses anerkannt
erscheint. Schopenhauers Motto zu der „Preisschrift überdie Grundlage der Moral,
nicht gekrönt von der königlich dänischenSozietät der
Wissenschaften“ war der Satz:
„Moral predigen ist leicht,
Moral begründen schwer.“ In
dem „Judicium regiae Danicae Scientiarum Societatis“
(das
dem Druck der Preisschrift angehängt ist) er
schien dieses
Motto wie folgt zitiert: „Moral predigen ist
leicht, Moral begründen
ist schwer.“ Die „Reichspost“
hätte wohl, wenn sie derart
zitiert hätte, einer Berich
tigung mit dem Einwand sich
geweigert, daß sie ja doch
die Meinung des Autors richtig wiedergegeben
habe und daß
es auf das
Wörtchen „ist“ als einen unerheblichen Unter
schied schon nicht ankommen
werde. Schopenhauer aber macht
zu jenem Judicium die Anmerkung: „Dieses
zwei
te ‚ist‘ hat die
Akademie aus
eigenen
Mitteln hinzugefügt,
um einen Beleg zu liefern zur
Lehre des Longinus,
daß man
durch
Hinzufügung oder Wegnah
me einer Silbe die ganze Ener
gie einer Sentenz
vernichten
kann .“ Angesichts der Energie dieser Sentenz,
die durchgreifend dartut,
worauf es in der Literatur und
worauf es dem Schriftsteller ankommt, wäre es überflüssig,
auch noch auf Schopenhauers bekanntere Flüche gegen die
Verstümmler seines Wortes
und des Wortes im allgemeinen
hinzuweisen, mit denen er
sowohl jene Journalisten ge
troffen hat, die an der
Herabsetzung des Sprachniveaus
Schuld tragen, wie jene künftigen Herausgeber, die seine
Sprache auf jenes Niveau
herabsetzen.
Ebenso bedenkenlos und
ebenso bedenklich wie die
„Reichspost“ mit dem Aufsatz, den sie zitieren wollte,
verfahren ist, erscheint
demnach in allen Punkten die
Verweigerung der Aufnahme der ihr zugesandten Berichtigung. Bliebe nur
noch der letzte Passus zu erörtern,
dessen Tatsächlichkeit
allerdings nicht der stilistischen
Materie zugehört, sondern
der Materie der Meinung. Vorweg
sei festgestellt, daß hier
eine Verwechslung der „Meinung“
als der Art des Vorbringens, also einer solchen
„Meinung“, die nach § 23 sicherlich nicht berichtigt wer
den kann, mit dem Stoff des Vorbringens platzgreifen
könnte und aller Voraussicht
nach auch der Verteidigung
zugrundeliegen wird. Die „Reichspost“
sagt, daß aus dem
Aufsatz nicht hervorgehe, ob dessen Verfasser zu
einer
andern Konfession,
zur Konfessionslosigkeit oder wieder
zum Judentum übergehen
werde, aber „eifrige Anlehnungen
in einem anderen Aufsatz der
‚Fackel‘ an Theodor Herzls
Tagebuch machen den Fall 3 zur
Wahrscheinlichkeit. Ein
Kreislauf ist beendet.“ Der tatsächlichen Berichtigung
dieses Satzes, der
allerdings keine direkte Behauptung
einer Tatsache enthält, aber
auf Grund einer deutlich
unterschobenen Tatsache eine satirische
Meinung vorbringt‚ wird
entgegengehalten werden, daß man
eine solche nicht
berichtigen kann. Dies würde aber eine
geradezu beispielhafte
Verwechslung sein jener Meinung,
die hier im Wege der
Konklusion vorgebracht wird und die
allerdings vom § 23 nicht erreichbar wäre, mit dem
Meinungsstoff des Vorbringens, der in seiner Tat
sächlichkeit, in seinem
konkreten Vorhandensein einfach
nicht zu übersehen ist.
Gewiß, wer würde leugnen, daß die
Behauptung „eifriger
Anlehnungen“ an und für
sich nichts anderes
als eine Ansicht, eine mehr oder
minder ernsthafte Kritik
ist, die man als solche nicht mit
dem Berichtigungsparagraphen
bestreiten kann. Wer würde
des weiteren verkennen, daß die Setzung des „Falles 3“
als einer
„Wahrscheinlichkeit“ an und für sich
eine nicht berichtigbare
Vermutung ist, zu der sie ja
schon das Wort „Wahrscheinlichkeit“ macht, und eine
satirisch gemeinte noch
dazu. Nichts wäre jedoch verfehl
ter‚ als sich durch die der
Urteilssphäre entnommenen
Worte von der Tatsachensphäre, die ihnen in Wahrheit
zugrundeliegt, ablenken zu
lassen. Es ist sehr wohl zu be
achten, daß die Berichtigung
sich weder darauf bezieht,
daß in der Fackel eifrige
Anlehnungen an Herzls
Tagebuch
enthalten oder daß ihre
Anlehnungen eifrige sind, noch
darauf, daß der Fall 3 nicht wahrscheinlich ist. Sondern
was berichtigt wird, ist ausschließlich
der tatsächliche Zusammenhang, in
den diese beiden
Meinungselemente unverkennbar gestellt
sind. In dem Artikel wird für jeden Leser, der
den zitier
ten Aufsatz nicht kennt, die Tatsache unter
schoben, daß der
Verfasser‚
der in demselben Heft
sich von der katholischen Religion abwendet, ein jüdisch
nationales Buch aus konfessionellen
Motiven – für seine soeben
ausgesprochene Ansicht – heran
zieht. Es wird mit keinem
Wort dem Leser gesagt, aus wie
ganz anders gearteten Motiven diese Heranziehung erfolgt,
nämlich daß sie (S.
77–81) zum Beweise der Korruption jener
Neuen Freien Presse erfolgt, die erst durch ein Inserat
Theodor Herzls zu einer Beachtung der zionistischen Sache
zu bewegen war und sich
hinterdrein auf dessen Hochschät
zung berufen möchte. Jeder
Leser der Reichspost muß glauben,
daß die Tatsache gesetzt ist, in der
Fackel sei Herzls
Tagebuch aus einer Sympathie für
die
jüdische Sache
zitiert, aus der sich eben die Wahrschein
lichkeit einer Rückkehr zum
Judentum ergebe. Hinter der
satirischen Version steckt ganz gewiß für jeden, der den
Artikel der „Reichspost“ gelesen hat, die Tatsache,
daß es sich um Anlehnungen
mit jüdischer
Tendenz handle. Es ist klar, in welchem
Falle
die Behauptung „eifriger Anlehnungen“
die
Ansicht, die sie an und für sich schein
bar ist, auch
wirklich wäre und keine Tatsachenbehauptung
einschlösse: nämlich dann,
wenn tatsächlich Zitate
zionistischer Tendenz in der Fackel erschienen
wären. Das wird aber
indirekt ganz deutlich behauptet,
wenn von eifrigen
Anlehnungen in diesem Zusammen
hang die Rede ist. Dies ist
als Tatsache
unterstellt, also indirekt behauptet, und das
Gesetz gestattet zweifellos
auch die Berichtigung solcher
Tatsachen. Ob es sich um eifrige Anlehnungen handelt, die
die Rückkehr zum Judentum
wahrscheinlich machen, wäre –
trotz der Meinungsfarbe der Worte – nur dann eine
Ansichtssache, wenn solche Zitate
tatsächlich vorlägen, wie sie eben nicht
vorliegen, von denen aber
jeder Leser des berichtigten
Artikels annehmen muß, daß sie vorliegen. Die Tatsache,
die unterstellt, der
Zusammenhang, der hergestellt wird,
wären um nichts
handgreiflicher, wenn die „Reichspost“
statt von „eifrigen
Anlehnungen“ von „Zitaten“ oder gar
von „zionistischen Zitaten“
und statt von „Wahrscheinlich
keit“ von
„Gewißheit“ gesprochen hätte, weil es eben gar
nicht auf diese Behauptungen als solche, die ja auch
nicht berichtigt werden,
ankommt, sondern lediglich auf
die als Grundlage der Meinung und Vermutung
gesetzte, unterstellte Tatsache. In
dem einem Aufsatz war von dem Verlassen der katholischen
Religion die Rede; in dem
andern wird die von der
Neuen Freien Presse behauptete Intransigenz in
Gesinnungsfragen
durch
den Umstand ad absurdum geführt, daß es Herzl
ge
lungen ist,
sie auf dem Geldweg für eine ihr verhaßte
Sache zu interessieren: der
Kronzeuge ihrer Unentwegtheit
wird als Kronzeuge ihrer Zugänglichkeit ausgespielt. Der
Autor beider Aufsätze hat ein Recht darauf, daß die abso
lute
Nichtzusammengehörigkeit beider festgestellt werde
gegen die Behauptung eines
Zusammenhanges durch die Unter
stellung, daß der zweite
zugunsten der zionistischen Sache
geschrieben sei, gleichsam
als eine Fortsetzung des ersten
Bekenntnisses. Eine
„Ansicht“ wäre die Bemerkung der
„Reichspost“ erst für den, der wüßte, daß der Zusammen
hang zum Zwecke
der sogenannten Satire erfunden ist, jeder
andere muß ihn als vorhanden
annehmen und meinen, daß es
sich um Anlehnungen an die Tendenz
des Tagebuchs handle, deren Bezeichnung als „eifrig“ schon
auf Religionseifer und Renegatentum hinweist. Eine „Satire“
ist wohl der Zusammenhang
einer solchen Anlehnung mit der
Vermutung der Rückkehr zum
alten Testament, aber die
Tatsache, daß es sich um eine zionistische Anleh
nung handelt, ist
die klare Grundlage dieser
Satire. Kein Leser wird die
Möglichkeit auch nur ahnen
können, daß von einem Inseratengeschäft der Neuen FreienPresse die Rede ist und daß ausschließlich dieser
Tatsache zuliebe alle
Exzerpte aus Herzls
Tagebüchern
erfolgt sind. Wie sollte er
sich auch vorstellen, daß
damit „ein Kreislauf
beendet“ sei? Der erscheint
aber beendet, wenn dem Leser
direkt oder indirekt mitge
teilt wird, daß jener dem
Katholizismus Abtrünnige nun
mehr die zionistische
Tendenz propagiere; wenn die
Vorstellung solchen
Sachverhalts überdies durch den Titel
„Ein Kreislauf“, der ja die
Wiederkehr ins
Judentum
förmlich ankündigt, dem Leser geradezu aufgedrängt
wird. Die „Reichspost“ hätte bloß schreiben müssen: „An
lehnungen dieser
Art“, um die falsche Tatsache, die sie
suggerieren will, direkt zu behaupten. Nicht die
„eifrigen Anlehnungen“
als solche, wohl aber die der
vorgestellten Art enthalten die Tatsache,
der als einer unwahren die
wahre Tatsache entgegengestellt
werden kann: daß es sich um
einen antikorruptionistischen
Aufsatz handelt, der ja ganz ebenso einem anderen Gebiet
entnommen sein könnte als
einem, wo zufällig der Juden
punkt eine Rolle spielt.
Wäre es nicht möglich, eine solche
Tatsache im Wege des
Gesetzes zu reklamieren, so bliebe,
um aus der Sphäre einer
konkreteren Stofflichkeit ein Bei
spiel zu holen, etwa der
Fall der Berichtigung unzugänglich,
daß einer schreibt, X., der
erzählt hat, er habe sich von
seiner Frau scheiden lassen‚ wolle sich nun wohl mit einer
anderen verheiraten: ein
eifriges Gespräch – das sich in
Wahrheit um ein Theaterstück
gedreht hat – mache diesen
Fall zur Wahrscheinlichkeit; ein Kreislauf ist beendet.
Dagegen wäre es zweifellos
eine nicht berichtigbare Satire,
wenn einer vorbringen
wollte, ein Journalist, der zufällig
der katholischen Religion
angehört, werde sich wahrschein
lich nie einer andern
zuwenden, denn er mache unter jede
bezahlte Notiz ein Kreuz –
wiewohl er sich dadurch
doch
gewiß nicht von Journalisten anderer Konfessionen unter
scheidet.
Jene Notiz aber, die die „Reichspost“ aus redaktio
nellem Ermessen gebracht
hat, trägt Satz für Satz das
Merkmal einer Verleugnung der geistigen und stilistischen
Tatsächlichkeit, die die
Aufsätze der Fackel enthalten.
Durch die Vorlage dieser
wird keineswegs der Versuch
gemacht, in einen
Wahrheits-, respektive Unwahrheitsbeweis
einzugehen, den ja das
Berichtigungsverfahren ausschließt.
Sie ist aber unerläßlich zu
dem Zweck, einerseits den
falschen Zitierungen gegenüber die Relevanz der in Frage
kommenden Sachverhalte zu
erweisen, anderseits, um das
Wesen einer unterschobenen, indirekt behaupteten Tatsache
zu verdeutlichen. Der Verfasser der in ihrem Wortlaut und
Sinn falsch wiedergegebenen
Aufsätze glaubt ein Recht zu
haben, im Wege des Preßgesetzes eine Richtigstellung der
entstellten Sätze und
Gedanken zu erreichen, hält die
Weigerung des verantwortlichen Redakteurs der „Reichspost“
für grundlos und beantragt,
ihn gemäß § 24 zu verurteilen.