Berufung


Es wird z.Bsp. zum Zwecke der Charakterisierung eines Mannes,
der öffentlich Stellung genommen hat gegen das Einreissen der Sittenlosig
keit in der Familie, ein Artikel geschrieben, in welchem es heisst: „N. N. be
hauptet, dass die Sittenlosigkeit in der Familie nicht streng genug verur
teilt werden könne und ist sehr entrüstet über die sittliche Verderbnis der
Neuzeit. Im vorigen Jahre aber war er durch 4 Wochen in Marienbad täglich
ausschliesslich in Gesellschaft einer sehr schönen, sehr eleganten jungen
Dame“. Der letzte Satz ist die Behauptung der Existenz einer Tatsache. Man
kann gewiss sinnlich wahrnehmen, dass jemand durch 4 Wochen täglich
und ausschliesslich in Gesellschaft einer jungen Dame in Marienbad sich
befindet. Im Zusammenhange mit den vorausgegangenen Mitteilungen wird durch
die Mitteilung dieser Tatsache beim Kenntnisnehmer die Vorstellung er
weckt, der gesellschaftliche Verkehr des N. N. ergebe einen hinreichenden
Grund für die Annahme, dass N. N. durch diesen gesellschaftlichen Verkehr
im Gegensatz zu den von ihm vertretenen Sittlichkeitsgrundsätzen stehe,
N. N. habe somit selbst eine moralisch nicht einwandfreie Handlung begangen,
und es wird die weitere Vorstellung hervorgerufen, dass diese „Dame“ die
Frau eines anderen war oder dass N. N. selbst verheiratet ist und durch die
sen gesellschaftlichen Verkehr die eheliche Treuegegenüber seiner Frau
verletzte oder dass die „junge Dame“ gleichviel, ob ledig oder verheiratet,
mit Rücksicht auf ihre sonstigen Qualitäten den täglichen Verkehr des N. N.
als moralisch nicht einwandfrei erscheinen lasse. Bei dem Kenntnisnehmer des
Artikels finden bilden sich also auf Grund der Mitteilung der Existenz einer
Tatsache eine Reihe von Vorstellungen über die Existenz oder Nichtexistenz
von Tatsachen, die er auf Grund logischer Folgerungen und auf Grund der Er
fahrung in einer Weise verbindet, die bei ihm die Ansicht einer gewissen
Unmoralität des N. N. ergeben.


Diese Ansicht will nun N. N. durch seine Berichtigung zerstören, er
kann dies, indem er zunächst einmal der Behauptung der Existenz der Tatsache,
in der Berichtigung die Behauptung der Nichtexistenz gegenüberstellt: er
kann behaupten, er war niemals in Marienbad, habe sich auch niemals durch
4 Wochen in täglichen ausschliesslichen gesellschaftlichem Verkehr mit einer
jungen Dame befunden. (Auf die materielle Richtigkeit der Tasachenbe-


hauptung kommt es im Berichtigungsverfahren nicht an).


Der Berichtiger kann aber auch gegen eine Tatsachenbehauptung
Stellung nehmen, die nicht expressis verbis in dem zu berichtigenden Artikel
enthalten ist, das kann im vorliegenden Falle geschehen, wenn er die zu
berichtigende Behauptung als eine Entstellung erklärt, indem er sagt: „Richtig
ist, dass ich durch 4 Wochen in Marienbad mit einer jungen Dame täglich
und ausschliesslich in gesellschaftlichem Verkehre stand. Ich ergänze und
berichtige aber diese Mitteilung dahin, dass diese junge Dame meine eigene
Tochter ist“. Dann wird der zu berichtigende Artikel, der eine reine Tatsachen
behauptung enthält, dadurch berichtigt, dass der behaupteten Existenz einer
Tatsache die Behauptung der Existenz einer anderen Tatsache hinzugefügt wird.
Es wäre aber auch eine Berichtigung in folgender Form denkbar: „Richtig ist
die Behauptung, dass ich im vorigen Jahr durch 6 Wochen im täglichen und aus
schliesslichen gesellschaftlichen Verkehr mit einer jungen Dame in Marienbad
stand, insoweit diese tatsächliche Behauptung aber die Vorstellung einer mora
lischen Ungehörigkeit meinerseits hervorruft, erkläre ich, dass es nicht un
moralisch ist, wenn ich durch 6 Wochen mit meiner Tochter in Marienbad täg
lich und ausschliesslich in gesellschaftlichem Verkehr stehe“. Eine solche
Berichtigung enthält gewiss die Mitteilung einer Ansicht, kann aber doch
gleichzeitig vernünftigerweise keine andere Vorstellung hervorrufen, als:
der Berichtiger behauptet, die Dame, welche in dem zu berichtigenden Artikel
erwähnt wird, sei seine Tochter gewesen. Eine solche Berichtigung entspricht
nicht der Form, welche sich in der Berichtigungspraxis entwickelt hat, ist
vielleicht auch deshalb nicht empfehlenswert, weil sie leicht zu
gesetzlich unrichtigen Berichtigungen verleiten kann, aber an sich muss sie wohl
als gesetzlich zulässig bezeichnet werden. In dem zu berichtigenden Artikel
heisst es gewiss nicht, dass die junge Dame nicht die Tochter des Berichtigers
war und vom rein formalen Standpunkte aus könnte auch die Berichtigung:
die „Dame war meine Tochter“ zurückgewiesen werden, da sie keine gegensätz
liche Behauptung enthalte. Eine solche rechtliche Auffassung wäre rein
formalistisch und gesetzlich nicht begründet, da die in dem zu berichtigenden
Artikel enthaltene Behauptung von dem gesellschaftlichen Verkehr mit der jun
gen Dame nach dem Gesamtinhalte des Artikels beim
Leser niemals die Vorstellung auslösen wird, dass die junge Dame die Tochter des Berichtigers sei, vielmehr


der Leser bewusst oder unbewusst von der Voraussetzung ausgehen muss, die
junge Dame sei eben nicht die Tochter oder Frau des Berichtigers gewesen,
weil ja sonst diese Tatsachenbehauptung in dem ganzen Zusammenhange keinen
Sinn hätte und mit dem Hinweis auf die Entrüstungdes Berichtigers über die
Sittenverderbnis ausser jedem vernünftigen Gedankengange stünde.