Neues 8 Uhr-Blatt, 23.12.1922Die ModerneNeues 8 Uhr Blatt[Erneute Berichtigung (Kraus ca. 8 Uhr-Blatt)]„Die letzte Nacht“ von Karl Kraus


An das
Strafbezirksgericht Iin Wien


Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in
Wien IV. Lothringerstrasse 6


durch:


Beschuldigter: Friedrich Oppenheimer, verant
wortlicher Redakteur der Zeitung „Neues8 Uhr Blatt“ in Wien I. Fleischmarkt 5


wegen §§ 23, 24 Abs. 2, Ziff. 2 P.G. 1 fach
1 Vollmacht
4 Beilagen.


Privatanklage


In der Nr. 2456 des „Neuen 8 Uhr Blattes“ vom 19./ADezember 1922 erschien auf Seite 5 folgender Bericht: /A
Zwei geschlossene Vorstellungen an der Neuen Wiener Bühne.
Direktor Siegfried Geyer veranstaltet an der Neuen WienerBühne zwei ungemein interessante geschlossene Vorstellun
gen vor geladenem Publikum: am 5. Jänner WedekindsSonnenspektrum‘ und ‚Die Himmelfahrt der Galgentoni‘ von
Egon Erwin Kisch, am 21. Jänner ‚Die letzte Nacht‘ von
Karl Kraus. Bekanntlich sind die öffentlichen Aufführungen
dieser drei Bühnenwerke von der Zensur verboten worden.“


2 Mit Schreiben vom 21. Dezember 1922 /B begehrte ich
durch meinen Anwalt folgende Berichtigung des obigen Be
richtes:


„Unter Berufung auf den § 23 P.G. ersuche ich die folgende
Berichtigung des im ‚Neuen 8 Uhr Blatt‘, Nr. 2456 vom 19.Dezember, erschienenen, meinen Mandanten Herrn Karl Kraus
betreffenden Artikels ‚Zwei geschlossene Vorstellungen ander Neuen Wiener Bühne‘ zum Abdruck gelangen zu lassen.
Sie schreiben: ‚Bekanntlich sind die öffentlichen Auf
führungen dieser drei Bühnenwerke von der Zensur verboten
worden.‘ Die hier mitgeteilte Tatsache ist, soweit sie
meinen Mandanten betrifft, unwahr. Wahr ist, dass von einem
Zensurverbot einer öffentlichen Aufführung der ‚LetztenNacht‘ von Karl Kraus dem Verfasser nichts bekannt und dass
ein solches bisher auch nicht erfolgt ist.“


In der Nr. 2459 vom 22. Dezember 1922 brachte das Blatt
eine Notiz, welche jedoch keineswegs eine Berichtigung nach
den Bestimmungen des Pressgesetzes war und folgenden Wort
3laut hatte: /C


„‚Die letzte Nacht‘ von Karl Kraus.
Dr. Oskar Samek ersucht uns um die Richtigstellung, dass
dem Verfasser des obengannten Bühnenwerkes von einem Zen
surverbot einer öffentlichen Aufführung der ‚LetztenNacht‘ nichts bekannt, und dass ein solches bisher auch
nicht erfolgt ist.“


Mein Anwalt begehrte daraufhin telefonisch von der Re
daktion des „Neuen 8 Uhr Blattes“ den genauen Abdruck der
übersendeten Berichtigung vom 21. Dezember 1922, was ihm auch
zugesagt wurde. Nichtsdestoweniger erschien in der Nr. 2460vom 23. Dezember 1922 wieder eine dem Pressgesetz nicht entsprechende Berichtigung mit einem ganz anderen Wortlaute,
als dem begehrten, und mit Unterschlagung des besonders
wichtigen Satzes: „Sie schreiben: ‚Bekanntlich sind die
öffentlichen Aufführungen dieser drei Bühnenwerke von der
Zensur verboten worden.‘“ Diese zweite Berichtigung lautete,
4wie folgt: /D


„Unter Berufung auf § 23 des Pressgesetzes sendet uns
Dr. Oskar Samek folgende Berichtigung einer am 19. d.M. in
unserem Blatte erschienenen Notiz ‚Zwei geschlossene Vorstellungen an der Neuen Wiener Bühne‘: Unwahr ist, dass die
Aufführung des Bühnenwerkes ‚Die letzte Nacht‘ von KarlKraus von der Zensur verboten wurde. Wahr ist, dass ein
Zensurverbot einer öffentlichen Aufführung der ‚LetztenNacht‘ von Karl Kraus dem Verfasser nicht bekannt und dass
ein solches Verbot bisher nicht erfolgt ist.“


Nun ist es ein grosser Unterschied, wenn die unwahre
Behauptung: bekanntlich ist verboten worden, vor der Ent
gegnung zitiert ist, dass nichts verboten und nichts be
kannt ist – oder wenn bloss die Entgegnung, dass nichts davon
bekannt ist etc. gedruckt wird. Dem Leser ist der zu berich
tigende Artikel meistens nicht zur Hand oder in Erinnerung.
Auf diese Weise wollte sich also das Blatt über die Unan
nehmlichkeiten hinüberhelfen, das so karakteristische „be
kanntlich“ in diesem entkräftenden Zusammenhang wiederholen
zu müssen. Da das Pressgesetz zum Abdruck einer Berichti
gung ohne Zusätze oder Weglassungen verpflichtet, erscheint
hiedurch die Übertretung desselben gemäss §§ 23, 24 Abs. 2,Ziff. 2 begangen.


5Ich stelle daher durch meinen mit Vollmacht /E er
mächtigten Anwalt das
Begehren:
1.) eine Hauptverhandlung anzuberaumen und zu dieser den Beschuldigten zu laden,
2.) ihn gemäss § 24 Abs. 2, Ziff. 2 P.G. zu bestrafen und auf
Veröffentlichung der Berichtigung im Wortlaute des Schreibens vom 21. Dezember 1922 zu erkennen, ferner auszuspre
chen, dass das „Neue 8 Uhr Blatt“ von der dritten Nummer
nach Verkündigung oder Zustellung des Urteiles nicht er
scheinen darf, wenn es die Berichtigung nicht gebracht hat,
3.) dem Beschuldigten und zur ungeteilten Hand mit ihm den
Herausgeber „Neues 8 Uhr Blatt“ Ges.m.b.H. in Wien zum
Ersatz des Kosten des Strafverfahrens zu verurteilen.


Karl Kraus


6