Karl Kraus (×)Die Stunde, 15.4.1925Die Stunde, 17.4.1925Die StundeDie Stunde, 20.3.1925Wer ist schöner? Karl Kraus berichtigt sein Bild


Abschrift.


Stempel: 9 S. U I 109/25
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Öffentliche Hauptverhandlung.


Strafbezirksgericht I in Wien, Abtg. I am 25. April 1925
Beginn 11 Uhr.
Richter: Hofrat Dr. Höflmayr Schriftführer: Dr. Jung
Privatankläger Karl Kraus nicht erschienen, sein
Vertreter Dr. Oskar Samek O.V.v. 10.IV.1925
Angeklagter Dr. Fritz Kaufmann, pers.


Dr. Fritz Kaufmann, am 16.8.1896 in Wien geboren,
dahin zuständig, kfls., vh.,
verantwortlicher Schriftleiter der „Stunde“
VIII. Piaristengasse No. 56 wh., Eltern Dr. Felix und
Vilma, mehrmals wegen Preßdelikten vorbestraft:


Eine Berichtigung des P.A. habe ich nicht
erhalten. Dr. Marc Siegelberg war der verantwortliche Schriftleiter der Nr. 610 der „Stunde“, in der
das später berichtigte Bild erschienen ist.
Ich war nach längerer Zeit dienstlicher Abwesenheit
von Wien erst wieder anläßlich der Nr. 630 derZeitung „Die Stunde“ ddo. 15.IV.1925 verantwortlicher Schriftleiter und dann der seither erschienenen
Nummern.


Am 11., 12. und 13. April ist die „Stunde
nicht erschienen.


Die Berichtigung ist also anscheinend
erst in der dritten Nummer nach dem Einlangen ver
öffentlicht worden.


P.A. Vertreter legt vor die mit Dr. Marc Siegel-
berg unterfertigte Empfangsbestätigung Bl. Zl. 10.


Verlesen wird der unter dem Bilde „Karl Kraus
befindliche Text aus No. 610 der „Die Stunde“ddo. 20.3.25. Der bei den Bildern mit der Überschrift
Wer ist schöner?“ befindliche Text aus No. 632
der genannten Zeitung ddo. 17.IV.1925 des Impressum
der beiden genannten Zeitungsnummern, die Berichtigung des P.A. vom 11.IV.1925 Bl. Zl. 3 u. 300
und die Empfangsbestätigung Bl. Zl. 10


Beschuldigter gibt an:


Ich bekenne mich nicht schuldig.
1.) In erster Linie bestreite ich meine strafrecht
liche Verantwortlichkeit: ich habe die Berichtigungdes P.A. überhaupt nicht erhalten, diese war viel
mehr an den verantworlichen Schriftleiter Dr. MarcSiegelberg persönlich gerichtet gewesen, so daß ich
von dem Einlangen keine Kenntnis hatte und haben
musste. Ich wußte nur von dem Einlangen einer Berichtigung des P.A. bei Dr. Siegelberg, hatte aber
insbes. keine Kenntnis vom Zeitpunkte des Einlangens
derselben.


Die auf der Empfangsbestätigung Bl.
Zl. 10 befindliche Unterschrift ist jene des
Dr. Marc Siegelberg.


2.) Ich war zur Veröffentlichung der genannten Berichtigung nicht verpflichtet, da ein Bild keine
berichtigungsfähige Tatsache beinhaltet, denn ab
gesehen davon, daß jedes Bild – ob Zeichnung oder
Fotografie – eine subjektive Äußerung des Künstlers
ist, handelt es sich beim veröffentlichtem Bilde
um eine Karrikatur, also um eine nicht berichti
gungsfähige Meinungsäußerung der „Stunde“, wie sie
Karl Kraus sieht und es macht keinen Unterschied,
ob der Karrikatur eine Zeichnung oder Fotografie
zu Grunde gelegen ist.


Ich konnte infolgedessen mit der Berichtigung machen was ich wollte und tat dies in
dem ich sie des Spasses halber in der mir zusagen
den Form retouchiert wiedergegeben habe.
3.) Die eingesendete Berichtigung des P.A. steht
in keinem Gegensatze zum berichtigten Bilde, denn
Karl Kraus behauptet in der Berichtigung selbst
nicht, daß er in dem veröffentlichtem Bilde nicht
dargestellt sei, sondern er behauptet nur, nicht
richtig dargestellt zu sein, was wieder eine sub
jektive Meinung beinhaltet.
4.) Die Technik der Rotationsdruck-Herstellung
macht es unmöglich das Berichtigungsbild genau wieder
zugeben.


Ich beantrage die Vernehmung des Direktors der graphischen Lehranstalt in Wien XV. als
Sachverständigen darüber, daß die genaue Wieder
gabe eines Bildes auf Rotationspapier unmöglich ist.
5.) Das Verlangen des Berichtigungswerbers auf
Veröffentlichung des eingesandten Bildes in der
selben Größe ist im Gesetze nicht begründet.
6.) Die angeblichen Einschaltungen „Siehe Bild I“
und „siehe Bild II“ im Texte der Berichtigung sind
nur erfolgt, um das was berichtigt werden soll,
dem Leser deutlich vor Augen zu führen; es handelt
sich also nicht um Einschaltungen im technischen
Sinne des Gesetzes.


Ein Versehen der Redaktion liegt in
sofern vor, als der dem ersten, berichtigten Bilde
beigegebene Text in der Veröffentlichung derBerichtigung weggelassen wurde.


Richtig ist, dass in der No. 632 der„Stunde“ sowohl das berichtigte, als das der Berichtigung des P.A. beigegebene Bild verkleinert
wiedergegeben sind.


P.A. Vertreter beantragt mittels des dem Gerichte
vorgelegten Vergrößerungsglases aus der No. 632der „Stunde“ festzustellen, daß sowohl das be
richtigte als auch das berichtigende Bild durch
Retouche abgeändert worden sind.


Besch. beantragt Abweisung dieses Antrages
und gibt an, daß die Abänderungen gegenüber der Vor
lage nur durch das technische Versehen insbes.
gelegentlich der Verkleinerung hervorgerufen
wurden.


Der Richter verkündet den
B.
auf Aufweisung des Antrages des Besch. auf Ver
nehmung eines Sachverständigen und des Antrages
des P.A. Vertreters auf Vornahme eines Augenschei
nes mittels Vergößerungsglases u. zwar wegen
Unerheblichkeit.


Schluß des Beweisverfahrens.


P.A. Vertreter beantragt die Bestrafung des Besch.
nach § 24(2) P 13 2 und Verpflichtung desselben
zur Veröffentlichung der Berichtigung.
Besch. bittet um seinen Freispruch.


Der Richter verkündet das
Urteil
samt Gründen.


Der Besch. meldet gegen das Urteil die Berufung
wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruches über
die Schuld an und bittet um Zustellung einer Urteils
ausfertigung.


P.A. Vertreter erklärt sich Bedenkzeit offen zu
halten.


Der Richter erteilt die Rechts
mittelbelehrung nach § 467 St.P.O.


Ende 11 Uhr 45 Minuten
Dauer 2 halbe Stunden
Verhandg. Geb. 4 S. –)
Urteils Geb. 5 S.–) ) v. P.A.


f. Berufungsmeldung 3 S, – v. Besch. nicht bei
gebracht.


der Richter: der Schriftführer: