Karl Kraus (×)Die Stunde, 17.4.1925Die StundeDie Stunde, 20.3.1925Wer ist schöner? Karl Kraus berichtigt sein Bild


Geschäftszahl U I 109/25
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Im Namen der Republik!


Das Straf-Bezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat
heute in Gegenwart des Privatanklage-Vertreters Dr. OskarSamek und des Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann
über die Anklage verhandelt, die der Privat-Ankläger Karl Kraus
gegen
Dr. Fritz KAUFMANN,
28. J. alt, vh., verantwortlicher Schriftleiterder „ Stunde“
wegen der Uebertretung nach §§ 23 und 24 Preß-Gesetz erhoben hatte, und
über den vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung des Angeklagten und auf Verpflichtung desselben zur Veröffentlichung der
Berichtigung gem. § 24 Preß-Gesetz., zu recht erkannt:


I./ Dr. Fritz Kaufmann ist schuldig, als verant
wortlicher Schriftleiter der No. 632 der Zeitung „Die Stunde“ ddo.
17.IV.1925 die vom beteiligten Privatankläger Karl Kraus ver
langte Berichtigung von Tatsachen, die in der No. 610 der genanntenZeitung ddo. 20.3.1925 unter der Ueberschrift „Karl Kraus
mitgeteilt worden waren, nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen
Weise vorgenommen zu haben.


Er hat hiedurch die Uebertretung nach §§ 23 und 24 Abs.2 Z. 2 Preß-Gesetz begangen und wird gemäß dieser Gesetzesstelle
zu einer Geldstrafe im Betrage von:
20 / zwanzig / SCHILLINGEN
im Falle der Nichteinbringlichkeit zu 24 Stunden Arrest, und gemäß
§ 389 StPO. zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.


Dr. Fritz Kaufmann wird ferner gemäß § 24 Abs. 2Z. 2 und Abs. 4 u. 6 des Preß-Gesetzes verpflichtet, die Berichtigungdes Privatanklägers vom 11.4.1925 in der nächsten oder zweitnäch
sten Nummer der „Stunde“, die nach Verkündung dieses Urteils
erscheinen wird, auf die im § 23 Preß-Gesetz vorgeschriebene Weise
zu veröffentlichen, widrigens die genannte Zeitung nicht mehr er
scheinen dürfte. Gemäß § 5 Preß-Gesetz haften der Herausgeber der
Zeitung „Die StundeEmmerich Bèkessy und deren Eigentümer
Kronos-Verlag A.G. für die mit diesem Urteil ver
hängte Geldstrafe und für die Kosten des Strafverfahrens zur un-
geteilten Hand mit dem Verurteilten.


II./ Dr. Fritz Kaufmann wird von der Anklage,
er habe als verantwortlicher Schriftleiter der Zeitung „DieStunde“ die vom beteiligten Privatankläger Karl Kraus
verlangte Berichtigung von Tatsachen, die in der Nummer 610 dergenannten Zeitung ddo. 20.3.1925 unter der Ueberschrift „KarlKraus“ mitgeteilt worden waren, verspätet veröffentlicht und
habe hiedurch die Uebertretung nach § 24 Abs. 2 Z. 1 Preß-Gesetz
begangen, gemäß § 259 Z. 3 StPO.
freigesprochen.


Gründe:


I./ In der Nummer 610 der Zeitung „Die Stunde“ ddo.
20.3.1925 war unter der Ueberschrift „Karl Kraus“ eine
Mitteilung, bestehend aus einem Bilde und angefügtem Texte er
schienen.


Die Mitteilung der „Stunde“ wurde durch ein Schreibendes Privatanklägers Karl Kraus vom 11.4.1925 berichtigt,
welches am genannten Tage beim damaligen verantwortlichen
Schriftleiter der „StundeDr. Marc Siegelberg ein
langte, wie aus der Empfangsbestätigung Bl. Zl. 10 hervorgeht.


Vor Ablauf der dem Dr. Marc Siegelberg
offenstehenden Erfüllungsfrist hörte dessen Verantwortlichkeit
auf und trat an dessen Stelle der Beschuldigte als verantwortlicher Schriftleiter der „Stunde“, womit auch die Verantwortung
für die Veröffentlichung von Berichtigungen gemäß § 44 Preß-Gesetz
auf ihn überging. Sache des verantwortlichen Schriftleiters ist es,
jede einlangende Berichtigung dahin zu prüfen, ob sie dem Gesetze
entspricht.


Im vorliegenden Falle wäre zwar der Beschuldigte zur
Veröffentlichung der verlangten Berichtigung nicht verpflichtet
gewesen, da diese Vorschriften der § 23 und 24 des Preß-Gesetzes, insbesondere wegen des Verlangens der Reproduktion eines
Bildes, nicht entsprach, was aus dem Wortlaute des § 23 Preß-
Gesetz hervorgeht, wonach die Veröffentlichung „in der selben
Schrift“ erfolgen muss. Wenn aber der verantwortliche
Schriftleiter, wie im gegebenen Falle, die Berichtigung veröffent
licht, so haftet er gemäß § 24 Abs. 2 Z. 2 des Preß-Gesetzes
dafür, dass diese in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise er
folgt; denn diese Gesetzesstelle statuiert einen eigenen straf
baren Tatbestand, und zwar im Gegensatze zur Z. 3 des Abs. 2 des§ 24 Preß-Gesetz unabhängig davon, ob die verlangte Berichtigung
im Gesetze begründet ist oder nicht, weil sonst jede nicht gesetz
mäßige Berichtigung absichtlich verstümmelt und lächerlich gemacht,
ja gerade in das Gegenteil von dem verkehrt werden könnte, was der
Berichtigungswerber und der Gesetzgeber gewollt haben.


Im vorliegenden Falle erfolgte die Veröffentlichung der
verlangten Berichtigung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen
Weise, denn wie aus dem Berichtigungsschreiben des Privatanklägers einerseits und der Veröffentlichung der Berichtigung in derNo. 632 der „Stunde“ andererseits hervorgeht, sind in letzterer
Auslassungen vorgekommen und Zusätze gemacht worden: ausgelassen
wurde in der Veröffentlichung der oberhalb und unterhalb des Bil
des befindliche Text, nämlich: „Karl Kraus“ … „feiert
am 18. April seinen 51. Geburtstag. Das Bild zeigt den Jubilanten
in seinem 11. Lebensjahre mit seiner Schwester, mit der er be
kanntlich jetzt einen Erbschaftsstreit führt.“ hinzugefügt wur
den dem Berichtigungstexte, dessen Veröffentlichung verlangt wur
de, die Worte: „Siehe Bild I“ und „Siehe Bild II“.


Hiemit ist festgestellt, dass sich der Beschuldigte
gegen die Bestimmungen des § 24 Abs. 2 Z. 2 Preß-Gesetz vergangen
hat und ist dessen Schuldspruch somit gerechtfertigt.


Bei der Strafbemessung waren die mehrfachen Vorstrafen
wegen Preßdelikten erschwerend, das Geständnis des
Tatsächlichen mildernd. Die verhängte Strafe erscheint
daher dem Verschulden des Angeklagten angemessen.


Die übrigen Bestimmungen des Urteils gründen sich auf
die darin bezogenen Gesetzesstellen.


II./ Festgestellt ist durch die Angaben des Beschuldigten,
die Empfangsbestätigung vom 11.IV.1925 und aus der Nummer 632der Zeitung „Die Stunde“ ddo. 17.IV.1925, dass die vom Privatankläger verlangte Berichtigung erst in der dritten nach Einlangen
der Berichtigung erschienenen Nummer der „Stunde“ veröffentlicht
wurde.


Trotzdem war der Beschuldigte von der diesbezüglichen An
klage freizusprechen, weil er, wie schon oben unter I./ dargelegt
wurde, zur Veröffentlichung der verlangten Berichtigung überhaupt
nicht verpflichtet war und infolgedessen in der verspäte
ten Veröffentlichung ein strafbarer Tatbestand nicht erblickt
werden konnte.


Wien, am 25. April 1925.
[Unterschrift]


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