U I 109/25
An das
Strafbezirksgericht I.in Wien.
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller, Wien III. Hintere
Zollamtsstrasse
3
durch:
Beschuldigter: Dr. Fritz Kaufmann, verantwortlicher
Schriftleiter der
Zeitung „Die Stunde“ in Wien I. Wipplingerstrasse 32.
wegen §§ 23, 24 Abs. 2 Ziffer 1 u. 2 Pressgesetz 2 fach,
Ausführung der Berufung.
Gegen den freisprechenden Teil
des Urteiles des Strafbezirksgerichtes I
in Wien vom 25. April 1925 G. Zl. U I 109/25/3
habe ich die Berufung angemeldet
und zur Ausführung der Be
rufung eine schriftliche Ausfertigung des Urteiles erboten. Diese
wurde meinem Vertreter Dr. Oskar Samek am 5. Mai 1925
zugestellt.
Fristgerecht
erstatte ich durch ihn folgende
Ausführung der Berufung:
Ich mache den
Nichtigkeitsgrund der Ziffer 9a des§ 281
STPO geltend.
Der Beschuldigte wurde von der Anklage, die verlangte
Berichtigung verpätet veröffentlicht und hiedurch die
Ueber
tretung nach
§ 24 Abs. 2 Zl. 1 Pressgesetz begangen zu haben, mit
der Begründung freigesprochen,
dass der Beschuldigte zur Ver
öffentlichung der
verlangten Ber
uf
ichtig
ung wegen des Verlangens
der Reproduktion des Bildes nicht
verpflichtet gewesen sei, da
eine
solche Berichtigung den Vorschriften des Pressgesetzes nicht
entsprochen habe, was aus dem
Wortlaute des § 23 Pressgesetzes
hervorgehe, wonach die
Veröffentlichung in „derselben
Schrift“
erfolgen
müsse.
Diese Worte berechtigen aber
nach den gesetzlichen
Auslegungsregeln keinesfalls zu dem Schlusse, dass Mitteilungen
welche nicht durch Worte in
Schriftform veröffentlicht wurden
nicht berichtigungsfähig seien,
sie berechtigen auch nicht zu
dem
Schlusse, dass die Berichtigung nur durch Worte und Schrift
erfolgen müsse. Die Worte „in der gleichen Schrift wie die zu
be
richtigende
Mitteilung“ wurden vom Gesetzgeber deshalb aufgenommen,
um zu verhindern, dass die
Berichtigung durch kleinere Schrift
zeichen unauffällig
gemacht und der Aufmerksamkeit minder sorg
fältiger Leser
entzogen werde. Diese, den Berichtigungswerber
schützende Bestimmung, zu seinem
Nachteile so auszulegen, dass
er
gegen jede nicht in Schriftform veröffentlichte Mitteilung
schutzlos wird, geht doch nicht
an. Das Urteil erster Instanz
verwendet hier ein Argumentum a
contrario vollständig unrich
tig. Ein solches Argument muss an und für sich mit besonderer
Vorsicht verwendet werden, da es
im Grunde genommen an und für
sich unlogisch ist, weil niemals daraus folgt, dass ein Gesetz für
einen bestimmten Fall nicht gilt,
weil es für einen anderen Fall
gilt. Dazu müsste erst als unbedingt sicher angenommen werden,
dass der Gesetzgeber die Regel
nur für den betreffenden Fall
aufstellen wollte. Hätte aber der
Gesetzgeber nur die Berich
tigung der durch Worte veröffentlichten Mitteilungen zulassen
wollen, so hätte er dies bestimmt
ausdrücklich gesagt. Diese
Möglichkeit ist umsomehr abzulehnen, als an eine Berichtigung
durch Bilder damals noch nicht
gedacht werden konnte, da auch die
Berichterstattung durch Bilder erst in den letzten Jahren überhand
genommen hat und förmlich eine
neue Publizistik des photographi
schen Ausdruckes entstanden ist.
Es muss daher angenommen
werden, dass der Gesetzgeber
jede Mitteilung von Tatsachen als berichtigungsfähig anerkannt
hat und dass die
Berichtigung in der vom Berichtigungswerber
verlangten Form gebracht
werden muss, wenn sie nicht einer aus
drücklichen
Gesetzesbestimmung widerspricht. Das Verlangen,
ein unrichtiges Bild, also
eine unrichtige Tatsache durch die
Gegenüberstellung des
richtigen Bildes zu berichtigen, ist daher
im Gesetze begründet. Ja es
gibt sogar Tatsachen, welche ü
berhaupt nicht durch Worte berichtet und deren Mit
teilung
infolgedessen auch nicht durch Worte berichtigt wer
den könnte, z.b.
wenn eine Zeitung einen Bericht brächte, dass eine
technische Erfindung, wie in
einer Zeichnung dargestellt wird, aus
sehe: in welcher
Form sollte die Berichtigung erfolgen als durch
die Gegenüberstellung der
richtigen Zeichnung, wenn die erste
ein unrichtiges Bild der
Erfindung gibt.
Es wird sich nur um die weitere
Frage handeln, ob das
Bild, durch
welches die Berichtigung erfolgen soll, in der ver-
langten Grösse gebracht werden
muss. Um diese Frage zu beant
worten, wäre bloss zu entscheiden, ob das Wort „Schrift“ überhaupt
nur in dem Sinn von „Wortzeichen“
aufzufassen ist oder ob nicht
vielmehr, was meine Ansicht ist, der Gesetzgeber durch das Wort
Schrift jedes Ausdrucksmittel
bezeichnen wollte, durch das eine
Tatsache mitgeteilt werden kann. Die Ausdrucksfähigkeit der bild
lichen Darstellung ist
sogar eine viel stärkere als die der wört
lichen, weil sie
vorweg gegeben und unmittelbar ist, in dem sie sich
nicht an den rekonstruierenden
Verstand, sondern an den Sinn des
Auges wendet und gleichsam auf den ersten Blick tatsächliche Ver
änderungen
kontrollieren und feststellen lässt. Wenn man daher an
nimmt, dass die Worte
„in
der gleichen Schrift wie die zu berichti
gende
Mitteilung“ überhaupt etwas anderes besagen wollten als, dass
durch Worte mitgeteiltes in der
gleichen Schriftform zu berichtigen
ist, so lassen diese Worte nur
die Auslegung zu, dass alles was zur
Mitteilung einer Tatsache
geeignet ist, in der gleichen Ausdrucks
form als Berichtigung
gebracht werden muss. Kann nun etwas durch ein
Bild mitgeteilt werden, so kann
es auch durch ein Bild berichtigt
werden; bedient sich die Zeitung zur Mitteilung einer Tatsache eines
Bildes, so muss sie zur
Berichtigung der Mitteilung ein Bild ver
öffentlichen. Für
diese Ansicht spricht auch noch, dass das im alten
Pressgesetze dem Worte Schrift in
Klammern beigefügte Wort „Lettern“
im neuen
Pressgesetz fehlt und dass der § 28 des Pressgesetzentwurfes aus dem
Jahre 1919 (402 der Beilagen zum stenographischen
Protokoll der konstituierenden
Nationalversammlung) folgendermassen
lautet: „Die Entgegnung muss ohne
Einschaltungen und Weglassungen in
der ersten oder zweiten, nach
ihrem Einlangen erscheinenden Nummer
in derselben Schrift und Setzart abgedruckt werden, wie die Mit
teilung gegen die
sie gerichtet war“.
War aber diese Berichtigung in der von mir ver
langten Form zu
veröffentlichen, so erfolgte sie nach dem eige-
nen Geständnis des Beschuldigten verspätet.
Ich beantrage daher, das Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien I. vom 25.IV.1925 in seinem
freisprechenden
Teile
abzuändern und den Beschuldigten auch wegen der
Ueber
tretung
des § 24 Abs. 2 Ziffer 1 zu bestrafen.