Karl Kraus (×)Die StundeDie Stunde, 20.3.1925


11 UI 110/25
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Im Namen der Republik
Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute in Gegenwart
des Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek,
in Abwesenheit
des Angeklagten Marc Siegelberg
und in Gegenwart
des Verteidigers Dr. Karl Sterzer
über die Anklage verhandelt, die die Privat
ankläger 1./ Marie TURNOWSKY; 2./ Karl KRAUS
gegen


Dr. Marc Siegelberg
30 Jahre alt, verh., verantwortlicher Schriftleiter der „Stunde
wegen der Übertretung nach § 30 Preß-Gesetz (§ 45 Abs. 3 Urh.Ges.)
erhoben hatte,
und über den vom Anklägevertreter gestellten Antrag auf Bestrafung des Beschuldigten
zu Recht erkannt: Dr. Marc Siegelberg ist schuldig, er habe als
verantwortlicher Schriftleiter der Zeitung „die Stunde“ bei der in die
Nummer 610 dieser Zeitung vom 20.III.1925 erfolgten Aufnahme des Bildes
mit der Ueberschrift „Karl Kraus“, wodurch die Uebertretung nach § 45Abs. 3 Urh.Ges. begründet wurde, jene Aufmerksamkeit vernachlässigt, bei
deren pflichtmässiger Anwendung die strafbare Veröffentlichung dieses Bildes in jener Zeitungsnummer unterblieben wäre.


Er hat hiedurch die Uebertretung nach § 30 Preß-Gesetz began
gen und wird gemäß dieser Gesetzesstelle zu einer Geldstrafe im Betrage von:


10 / zehn / Schillingen im Nichteinbringungsfalle
zu 24 / vierundzwanzig / Stunden Arrest und gemäß § 389 StPO. zum Ersatze der
Kosten des Strafverfahrens verurteilt.


Gründe:
In der Nummer 610 der Zeitung „Die Stunde“ vom 20.3.1925 wurde
ein Bild veröffentlicht, das die Ueberschrift „Karl Kraus“ trägt und dem
noch folgender Text beigefügt ist: „feiert am 18. April seinen 51. Geburts
tag. Das Bild zeigt den Jubilanten in seinem 11. Lebensjahre mit seiner Schwester ……“.


Der Verteidiger des Beschuldigten gab an, dass diese Repro
duktion unter Zuhilfenahme des dem Akte beiliegenden Bildes ./B erfolgte
und zwar sei dieses Bild ./B von einem Zeichner der „Stunde“ karikaturis
tisch abgezeichnet worden, worauf dann im Wege des photographischen Ver
fahrens die Reproduktion in der genannten Zeitungsnummer zu Stande kam.


Der Verteidiger erklärte den Zeichner nicht zu nennen und
nicht in der Lage zu sein, die Zeichnung, nach der das gegenständliche
Bild hergestellt wurde, vorzulegen.


Es wurde daher ein Gutachten der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt darüber eingeholt, ob das veröffentlichte Bild die Wieder
gabe der retouchierten Originalphotographie ./B oder einer nach dieser
Photographie gezeichneten Karikatur ist.


Das Gutachten besagt, dass es sich nicht um eine nach der Ori
ginalphotographie oder einer Reproduktion derselben vorgenommenen Zeich
nung (Karikatur), sondern um eine durch Retouche veränderte photomechani
sche Reproduktion des Originalbildes ./B handelt.


Der Augenschein ergibt dasselbe; denn eine Karikatur liegt nur
vor, wenn das Bild derart ist, dass es jedermann klar ist, dass das Bild
der Wahrheit nicht entsprechen kann. Vorliegendenfalls ist das Bild aber
ein solches, dass es ganz gut der Wirklichkeit entsprechen könnte.


Die auf Grund des graphischen Lehr- und Versuchsanstalt gemachte Feststellung, dass es sich beim inkriminiertenBilde, um eine photomechanische Reproduktion des Bildes ./B handle, ist
mit Rücksicht auf die Bestimmung der §§ 36 u. 34 Z. 1 Urh.Ges. von Bedeu
tung, weil somit erwiesen ist, dass es sich bei dem in No. 610 der Zeitung„Die Stunde“ reproduzierten Bilde nicht um ein neues und selbständiges
Werk handelt; es kommt somit die gesetzliche Bestimmung des § 34 Z.1 Urh.Ges. über die Ausnahme vom Eingriffe in das Urheberrecht bei Schaffung
eines neuen Werkes unter freier Benützung eines anderen, nicht in Be
tracht, selbst dann nicht, wenn die Angabe des Verteidigers zutreffend
wäre, dass dem inkriminierten Bilde eine Zeichnung zu Grunde liegt, die
das Originalbild täuschend genau wiedergibt.


Es ist somit erwiesen, dass das in No. 610 der „Stunde“ veröffent
lichte Bild eine Nachbildung des Originalbildes ./B ist.


Nach § 35 Urh.Ges. umfasst das Urheberrecht an Werken der Photographie
u.a. das ausschliessliche Recht das Werk nachzubilden.


Wie das Gericht ferner durch Augenschein festgestellt hat, handelt
es sich beim gegenständlichen Bilde um ein Photographie-Porträt u.zw. der
beider PA., was sich auch aus dem diesem Bilde in der „Stunde“ beigegebenen
Texte ergibt.


Nach § 45 Abs. 1 Z. 3 begeht eine Übertretung, wer über ein
Photographieporträt ohne Zustimmung der dargestellten Personen oder ihrer
Erben eine unter das Urheberecht fallende Verfügung trifft, also z.B. eine
Nachbildung anfertigt.


Anlangend die weiteren Einwendungen der Verteidigung sei bemerkt:
1.) dass das Urheberecht gemäß § 41 Urh.Ges. schon erloschen sei,
ist mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 13 Abs. 2 Urh.Ges. nicht zutreffend;
denn § 13 Abs. 2 Urh.Ges. besagt ausdrücklich, dass bei Photographie-Por
träts die Ausübung des Urheberrechtes in allen Fällen an die Zustimmung
der dargestellten Person oder ihrer Erben gebunden ist.
2.) Auf dieselbe gesetzliche Bestimmung (§ 13 Abs. 2 Urh.Ges.) ist
auch zu verweisen, wenn behauptet wird, dass den Privatanklägern kein Kla
gerecht zustehe, da sie zweifellos nicht die „Besteller“ der Original
photographie ./B gewesen seien.
3.) Dass die Privatankläger zum hg. Akte U I 109/25 im Wege einer
Berichtigungsklage berichtigt haben, dass das in der „Stunde“ wiedergegebe
ne Bild nicht ihr Bild sei, kann nicht herangezogen werden, weil einerseits
der Augenschein durch Vergleichung mit der Photographie ./B das Gegenteil
ergibt und weil andererseits die Berichtigung nur dahin ging, dass das in
No. 610 der „Stunde“ wiedergegebene Bild mit dem Originalbilde nicht voll
ständig identisch ist.


Es ist somit erwiesen, dass objektiv der Tatbestand der Uebertre
tung nach § 45 Abs. 1 Z. 3 Urh.Ges. vorliegt.


Da der Beschuldigte behauptet hat, das inkriminierte Bild weder
selbst angefertigt, noch vor Drucklegung angesehen oder dasselbe zum Drucke
befördert zu haben und diese Behauptung nicht wiederlegt erscheint, so konn
te nur dessen Verfolgung nach § 30 Preß.Gesetz statthaben.


Der Schuldspruch des Angeklagten ist somit gerechtfertigt.


Bei der Strafbemessung war nichts erschwerend; mildernd war die Un
bescholtenheit zur Zeit der Tat. Die verhängte Strafe erscheint daher dem
Verschulden des Angeklagten angemessen.


Der Ausspruch über die Kosten des Strafverfahrens gründet sich auf
§ 289 St.P.O.


Wien, am 22. Juli 1925.
Der Richter Der Schriftführer
Dr. Hoflmayer mp Dr. Jung mp


B
Kosten einbringlich
Wien am 22/7 1925
Dr. Höflmayer mp


Wien, am 26. Juli 1925.
[Unterschrift]


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