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Vr XXVI 4093/25
4. Juni 1928
An das
Landesgericht für Strafsachen IWIEN.
Privatankläger: 1.) Karl Kraus, Schriftsteller, Wien III. Hintere Zollamtsstrasse 3
2.) Richard Lanyi, Buchhändler, Wien I. Kärtnerstrasse 44
beide durch:
Beschuldigter: Dr. Fritz Kaufmann,
Schriftleiter der „Stunde“ Wien VIII.Piaristengasse 56
wegen Vergehens des § 44 resp.
Uebertretung des § 45 Abs. 3
des
Urheberrechtsges.
1 fach
2 Beilagen
Vorlage der Anklageschrift.
Im Anschluss legen wir die
gegen den Beschuldigten
erhobene Anklageschrift in
zweifacher Ausfertigung vor.
Wir beantragen ferner die
Einstellung des Verfahrens
gegen die weiteren Beschuldigten Emmerich
Bekessy und Anton Kuh.
Anklageschrift:
Herr Karl Kraus und Herr Richard Lanyi erheben durch
ihren Vertreter Dr. Oskar Samek,
Rechtsanwalt, gegen
Dr. Fritz Kaufmann,
geboren am 16.VIII.1896 in
Wien, mosaisch, verheiratet, Redakteur
der „Stunde“ wohnhaft in Wien VIII.
Piaristengasse 56, vorbestraft,
die
Privatanklage.
Dr. Fritz Kaufmann habe im Mai 1925 wissentlich die Nachbildung
des Photographieportraits
des Herrn Karl
Kraus ohne dessen
Zustimmung zum Druck befördert und die Erzeugnisse dieser Nach
bildung
entgeltlich verbreitet,
derselbe habe dadurch das Vorgehen und die Uebertretung gemäss
§ 44 und 45 Abs. 3 des Gesetzes vom 26. Dezember 1895 R.G.Bl. 197betreffend das
Urheberrecht an Werken der Literatur, Kunst undPhotographie in der
Fassung der Vollzugsanweisung des Staatssekretärs für
Justiz vom 31. August 1920, St.G.Bl. Nr. 417, die auf
Grund des Artikels IV des Gesetzes vom 26.II.1895, R.G.Bl. 197,
betreffend das Urheberrecht
erlassen wurde,
strafbar nach
§ 44 dieses Gesetzes unter Berücksichtigung des
Gesetzes vom 6.II.1922 B.G.Bl. 881 über die Erhöhung von Wert
grenzen und
Geldstrafen in den Strafgesetzen ( II der Strafgesetznovelle vom Jahre 1922)
begangen.
Anträge:
1.)
Anordnung einer Hauptverhandlung vor dem Landesgerichte fürStrafsachen, Wien I. als Schöffengericht,
2.) Vorladung des auf freien
Fuss befindlichen Beschuldigten
als Angeklagten.
3.) Ladung der Zeugen Anton Stranyak, Wien XII. Gstettengasse 4a,
Adalbert Sipos, Wien I.
Krugerstrasse 5, Pension Distingue,
Dr. Hans Böhm, Wien IX.
Lackierergasse 1a
4.) Vorlesung der zu beschaffenden Akten des Strafbezirksgerichtes I. U I 109/25 und U I 110/25 und der zu be
schaffenden
Leumundsnote, ferner des Artikels „Ein Streitum Photographien, Karl Kraus
der Hühneraugenoperateur undRichard III.“ aus
der Nr. 659 der „Stunde“ vom
20.V.1925
5.) Bestrafung
des Angeklagten, Verfall der bei wem immer
vor
handenen,
zum Vertrieb bestimmten Vervielfältigungen und
Nachbildungen,
Unbrauchbarmachung des Klischees gemäss
42 des Urheberrechtsgesetzes, Verurteilung zur Zahlung
einer angemessenen
Entschädigung für erlittene Kränkung
gem. § 50 Urh.G. Zuspruch der Befugnis, die Verurteilung auf
Kosten des Angeklagten öffentlich bekannt zu machen gem.
§ 51 Urh.G.
Begründung:
In der
Nr. 663 des 3. Jahrgangs der Zeitung
die „Stunde“
vom 26.V.1925 war auf der 1.
Seite ein Photographieportrait
des
Herrn Karl Kraus
unter Hinzufügung eines fremden Hintergrundes
einer Flasche Bitterwasser
und eines Glases und Wegretuschie
rung der auf dem
Originalportrait mitphotographierten Bücher,
veröffentlicht und in
Vertrieb gesetzt worden. Das Photographie
portrait des
Herrn Karl
Kraus wurde gegen entgeltliche Be
stellung des
Privatanklägers Richard Lanyi mit Zustimmung
des Privatanklägers Karl Kraus bei
dem PhotographieatelierJoel-Heinzelmann in
Charlottenburg, Hardenbergstrasse 24
her
gestellt
und zu wohltätigen Zwecken verkauft. Das Urheberrecht
an diesem Bild stand daher
Herrn Richard Lanyi zu. Die Zustim
mung des Herrn
Karl Kraus
oder des Herrn Richard Lanyi zur
Nachbildung dieses
Photographieportraits und Veröffentlichung
in der „Stunde“ wurde nicht erteilt. Diese Nachbildung
und Ver
öffentlichung und die entgeltliche Verbreitung der „Stunde“
stellen daher bezüglich des Herrn Karl Kraus die
Uebertretung
des § 45, Abs. 3 bezüglich des Herrn Richard
Lanyi des Vergehen
des § 44 des Urheberrechtsgesetzes dar. Der Angeklagte Dr.
Fritz Kaufmann gibt zu, das inkriminierte Bild vor der
Druck
legung
gesehen und es auch zum Drucke befördert zu haben, be
hauptete aber,
dass er nicht überprüft habe, ob durch die Ver
öffentlichung
dieses Bildes ein Urheberecht verletzt wor
den ist.
Diese Verantwortung des Angeklagten ist aber unwahr und
nicht geeignet, ihn zu
entschuldigen. Bereits am 20. März 1925
Jahrgang 3 Nr. 510 erschien in der Zeitung „Die Stunde“
unter
dem Titel „Karl Kraus“
die Veröffentlichung eines entstellten
Bildes, dessen
Richtigstellung in Form einer Berichtigung auf
Grund des § 23 P.G. von der Stunde begehrt,
aber nicht ver
öffentlicht wurde. Deswegen wurden der heutige Beschuldigte
Dr. Fritz Kaufmann zur G.Zl. U I 109/25 beim Strafbezirksgerichte I
am 23.IV.1925 beklagt und am
25. April 1925 verurteilt. Wegen des
gleichen Bildes wurde gegen
Dr. Marc Siegelberg die Anklage gem.
§ 30 P.G. zur G.Zl. U I 110/25 Strafbezirksgericht I wegen Ver
nachlässigung der
pflichtgemässen Obsorge erhoben, weil durch die
Veröffentlichung dieses
ersten Photographieportraits eine
Verletzung des
Urheberrechtes gemäss § 45 Abs. 3 begangen wur
de. Bei der am 7.
Mai 1925 in dieser Angelegenheit durchgeführ
ten
Hauptverhandlung war Herr Dr. Fritz Kaufmann als
Vertreter
der „Stunde“ und des Dr. Marc Siegelberg anwesend. Ueberdies
wurde die Veröffentlichung
dieses Photographieporträts in der
„Stunde“ vom 20.V.1925 in dem Aufsatze „Ein Streit um Photo-graphien, Karl
Kraus, der Hühneraugenoperateur und Richard III.“
geradezu angekündigt. Es ist
klar, dass unter diesen Umständen
der Angeklagte niemals im Zweifel sein konnte, dass die Ver
öffentlichung des
Photographieportraits des Herrn Karl Kraus
eine widerrechtliche war.
Die erhobene Anklage ist
somit begründet.
Die übrigen Anträge sind in
den bezogenen Gesetzesstellen
gleichfalls begründet.