Der „Affe Zarathustras“ vor dem Bezirksgericht. Zwei Ehrenbeleidigungsklagen Karl Krausens gegen Anton KuhDie Stunde, 20.1.1926Die StundePreisausschreibenDie Stunde, 11.10.1925


Abschrift
Geschäftszahl U I 286/25/5


Im Namen der Republik!


Das Strafbezirksgericht I in Wien als Presse-Gericht hat heute in Gegenwart
des Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek,
des 1. Angeklagten Anton Kuh,
des 2. Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann
und des Verteidigers des Erstbeschuldigten Anton Kuh: Dr. Friedr. Schnepp
über die Anklage verhandelt, die der Privat
ankläger Karl Kraus gegen
1. Anton Kuh , 35 J., led., Schriftsteller
2. Dr. Fritz Kaufmann , 29 J., verh., verantwortl. Schriftleiter der „Stunde
wegen der Übertretung nach § 496 StG.
erhoben hatte,
zu Recht erkannt:


Das Strafbezirksgericht I in Wien erklärt sich in der gegenständ
lichen Strafsache gemäß § 261 StPO. für
nicht zuständig.


Gründe:
In der Nummer 778 der in Wien erscheinenden Zeitung „Die Stunde
vom 11.X.1925 war ein von Anton Kuh gezeichneter Aufsatz mit der
Ueberschrift „Preisausschreiben“ erschienen, in dem folgende Stelle
vorkam:


„… Nun erfahre ich, dass ein Vortragsaffe … einen … von
mir … gemachten Witz … nachspricht, indem er mich einen Cowboy …
nennt …“


Dieselbe Stelle kommt bei der Wiederveröffentlichung des vorgenann
ten Aufsatzes „Preisausschreiben“ im Rahmen des Aufsatzes mit der
Ueberschrift „Der ‚Affe Zarathustras‘ vor dem Bezirksgericht“ in Nummer 858 der „Stunde“ vom 20.I.1926 neuerlich vor.


Aus dem Geständnis des Beschuldigten Anton Kuh und aus der Tatsa
che, dass der inkriminierte Aufsatz „Preisausschreiben“ mit „Anton Kuh
gezeichnet ist, ergibt sich, dass dieser der Verfasser des Aufsatzes
mit der Ueberschrift „Preisausschreiben“ ist.


Anton Kuh bestritt, mit dem Ausdruck „Vortragsaffe“ den Privatankläger gemeint zu haben. Er hat aber in der Folge angegeben, er habe mit
diesem Ausdruck das Verhalten und die Art einer bestimmten Persönlich
keit bei ihren öffentlichen Vorträgen bezeichnen wollen.


Auf Grund der gerichtsbekannten Tatsache, dass der Privatankläger
öffentliche Vorträge hält, ergibt sich jedoch, dass das Wort „Vortrags
affe“ in Bezug auf die Tätigkeit des Privatanklägers gebraucht wurde.
Es bezieht sich somit der inkriminierte Ausdruck auf die Vortragstätig
keit des Beleidigten; das Tun und Treiben des Privatanklägers bei sei
nen Vorträgen sollte durch diesen Ausdruck charakterisiert und dessen
Persönlichkeit herabgesetzt, beziehungsweise dem öffentlichen Spotte
ausgesetzt werden.


Im gegenständlichen Falle beinhaltet somit der Ausdruck „Vortrags
affe“ – im Gegensatz zur blossen Beschimpfung im Sinne des § 496 StG.
bei welcher auf die Charaktereigenschaften und auf die Tätigkeit des
Beleidigten keinerlei Bezug genommen wird –, eine Schmähung im Sinne
des § 491 StG.


Der verantwortliche Schriftleiter der beiden zu Anfang genannten
Zeitungsnummern war Dr. Fritz Kaufmann, wie aus dem Impressum und den
Angaben des Beschuldigten hervorgeht.


Dr. Fritz Kaufmann gab an, den in der Nummer 778 der „Stunde“ vom
11.X.1925 erschienenen Aufsatz mit der Ueberschrift „Preisausschreiben“ vor Drucklegung weder gelesen, noch ihn in Kenntnis seines Inhal
tes zum Drucke befördert zu haben.


Bezüglich des in der Nummer 858 der „Stunde“ vom 20.I.1926 er-
schienenen Aufsatzes mit der Überschrift „Der ‚Affe Zarathustras‘ vordem Bezirksgericht“ gab Dr. Fritz Kaufmann jedoch zu, diesen vor Druck
legung gelesen und ihn in Kenntnis seines Inhaltes zum Drucke befördert
zu haben.


Hiedurch machte sich Dr. Fritz Kaufmann zum Mitschuldigen des Erstan
geklagten Anton Kuh, dem wie oben festgestellt, eine Schmähung im Sinne
des § 491 StG. zur Last liegt.


Diese durch das Wort „Vortragsaffe“ begangene Schmähung begründet,
weil durch die Presse begangen, nach § 493 StG. ein Vergehen. Für derar
tige durch die Presse begangene Vergehen ist jedoch gemäß Art. VI. desEinf.Ges. zur St.P.O. das Landesgericht als Geschwornengericht zuständig.


Da der Privatankläger einen Antrag auf Abtretung des Aktes an das
Landes- als Geschwornen-Gericht nicht stellte, war gemäss § 261 StPO.
mit Urteil die Unzuständigkeit des Gerichtes auszusprechen.


Wien, am 21. Jänner 1926.
Der Richter: Der Schriftführer
Höfelmayr m.p. Dr. Jung m.p
Wien, am 28/I 1926
[Unterschrift]


1