1861
Nr. 972
Schmähung: Einrede der
Wahrheit.
Best. Entsch. v. 4. Jänner
1861. Z. 14870 (O.L.G. Wien) Trib. 1861,
Nr. 47 G.Z 1861, Nr. 30.
B und E verlobten sich; D, der
Vater der E, lud seinen Freund,
den Schneider A zur Verlobungsfeier; dieser blieb aus, und darüber
von D zur Rede gestellt, sagte er
in dessen Verkaufslokale: „Wenn
es dieser B ist, den ich meine, so haben Sie als Vater einen
schönen Fang gemacht; wie fällt
es ihnen ein, einem solchen Hader
lumpen Ihre Tochter zu geben? Er
ist ein charakterloser und un
moralischer Mensch, war mir ein
ganzes Jahr lang 5 fl. schuldig
und liess sich deshalb öffentlich Skandal machen. Zu einer
solchen Verlobung gehe ich
nicht.“ – Die erste Instanz verurteilte
den A wegen Uebertretung der
Ehrenbeleidigung durch öffentliche
Schmähung nach § 491 des St.G.B.; die zweite Instanz schöpfte
das Schulderkenntnis (wegen
öffentlicher Beschimpfung) nach
§ 496 des St.G.B. – Der oberste
Gerichtshof bestätigte letzteres
Urteil indem er annahm, … „dass
der B die Bezahlung von 5 fl.,
deren Schuldigkeit er anerkennen musste, dem A vorenthielt
und es darauf ankommen liess,
dass ihm deshalb mehrmals und sogar
im Kaffeehause, ein Skandal
gemacht werde, durch welches Benehmen
A die Bezeichnung
„Charakterlosigkeit“ allerdings rechtfertigen
konnte, weil man im Handel und
Wandel das Dasein oder den Mangel
der Charaktertüchtigkeit, gleich der kaufmännischen Ehrenhaftigkeit
in der gewissenhaften Erfüllung
der eingegangenen Verbindlichkeiten
oder in dem, sei es böswilligen,
sei es schuldbaren Mangel dieser
Erfüllung zu finden pflegt; „dagegen sei es zweifelhaft, ob man
nach § 491 des St.G.B. auch die Bezeichnung als ‚unmoralisch‘
rechtfertigen könne. Es sei wohl
im allgemeinen wider die Moral,
die Bezahlung eines Betrages, welchen Jemand in’s Verdienen ge
bracht und den man zu zahlen
versprochen hat, ungeachtet man
die Mittel dazu hatte, in der angegebenen Weise und durch so
lange Zeit vorzuenthalten; allein
im speziellen Falle habe da
runter auch die Geneigtheit zu
anderen Ausschweifungen verstanden
werden können. Dass aber die angeführte Redeweise nur in diesem
Sinne angewendet und aufgefasst
worden sei, wie der Privatankläger
in der Klage behauptete, könne nicht für bewiesen angesehen werden,
da D nicht bestätigt hat, dass
der Schneider A Zusätze gemacht
habe, welche die Auffassung des Wortes in diesem speziellen Sinne
notwendig gemacht hätte und auch
nicht angegeben hat, dass er
dieses Wort im Zusammenhange der ganzen Redeweise eben in diesem
berührten Sinne aufgefasst habe.
Die Bezeichnung mit dem Schimpf
worte der „Haderlump“ bilde die
Uebertretung der Ehrenbeleidi
gung nach § 496 des St.G.B.
Nr. 1342.
Beschimpfung oder Schmähung?
Abänd. Entsch. v. 22. Sept.
1870, Z. 9802. (O.L.G. Lemberg) G.H.
1870, Nr. 76.
A äußerte zu D, auf einen
vorbeilaufenden Dorf
hund weisend, „er halte den Grundherrn B nicht so viel
wert als einen Hund.“ In dieser
Äußerung wurde vom oberstenGerichtshofe der
Tatbestand der Übertretung der Ehren
beleidigung durch Beschimpfung
nach § 496 St.G.B., nicht
der Schmähung nach § 491 des St.G.B. erkannt, weil sich
diese Äußerung lediglich als eine
wörtliche Beschimpfung
des
Grundherrn B darstellt.“
Nr. 1383.
„Pharisäer;“ „schlechter
Mensch“: Schmähung oder Beschim
pfung?
Best. Entsch. v. 19. Juli
1871, Z. 8914. (O.L.G. Graz.) G.H. 1871,
Nr.84.
Gegen den Beschuldigten A war
erwiesen, daß dieser
eines Tages
in dem Hofe des Hauses, in welchem er als Mieth
partei wohnte, seine Stiefel
putzte, als der Hausadministrator
B ihm dieß untersagte, die Stiefel mit drohender Gebärde
gegen denselben schwang und
zugleich die Worte: „Sie Pha
risäer,“ „Sie schlechter Mensch“
ausstieß. Auf die Privat
anklage des B wurde A von der
ersten Instanz der Übertre
tungen gegen die Sicherheit der
Ehre durch öffentliche
Schmähung
nach § 491 und durch öffentliche Beschimpfung nach
§ 496 St.G.B. schuldig erkannt. Der Tathbestand der ersteren
Übertretung wurde in dem
Ausstoßen der oben erwählten Äu
ßerung, der Tathbestand der
letzteren Übertretung in der in
dem Aufheben und Schwingen der Stiefel gelegenen Bedrohung
mit Mißhandlung gefunden. Auf die
Berufung des Beschuldigten
erkannte das Oberlandesgericht, daß A nur der
Übertretung
gegen die
Sicherheit der Ehre nach § 496, nicht aber jener
nach § 491 St.G.B. schuldig sei: Die dem Beschuldigten A
zur Last liegende Thathandlung
begründe nur die Übertretung
gegen die Sicherheit der Ehre im Sinne des § 496 St.G.B.,
indem die Bezeichnung des Privatanklägers als „Pharisäer“
nach dem Sprachgebrauche als ein
verhöhnendes Schimpfwort,
die
weitere Bezeichnung „schlechter Mensch“ aber gleichfalls
nur als ein ehrenrühriger
Ausdruck anzusehen sei, durch wel
che nicht die Handlungsweise und
Gesinnung, sondern nur die
Person
des Privatanklägers auf ehrenverletzende Weise an
gegriffen wurde. Demzufolge könne
die Beschimpfung mit den
angeführten Worten nicht als die abgesonderte Übertretung
gegen die Sicherheit der Ehre
nach § 491 St.G.B. zugerechnet
werden und es habe der Angeklagte
A dieser Übertretung für
nicht
schuldig, und nur jener nach § 496 St.G.B. für schul
dig erkannt werden müssen. Auf
die Berufung des Privat
klägers
bestätigte der oberste Gerichtshof das
obergericht
liche
Urteil, „in der Erwägung, daß die dem Angeklagten A
zur Last gelegten Ausdrücke nur
unter den § 496 St.G.B.
fallen, weil mit denselben der
Angeklagte A ein abstraktes
Urtheil in Schimpfworten öffentlich ausgesprochen hat,
und sich mit Grund nicht sagen
läßt, daß er damit nicht
die
Person des Anklägers, sondern nur die Handlungsweise
desselben bezeichnen wollte.