G.Z. U XII 71/26
An das
Strafbezirksgericht IWIEN.
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in
Wien III. Hintere Zollamtsstrasse 3
durch:
Angeklagter: Dr. Marc Siegelberg, stellver
tretender
Schriftleiter der „Stunde“
Wien VII. Neustiftgasse Nr. 47
wegen § 45 Abs. 4 Urh.Ges. 1 fach
Beschwerde gegen den
Beschluss vom 22. Feber 1927.
Mit Beschluss vom 22.
Februar 1927 wurde
der von
meinem Vertreter Dr. Oskar Samek gestellte
Antrag, die Rechtskraft des
hiergerichtlichen Urteilesvom 3.XII.1926,
G.Z. U XII 71/26 zu bestätigen, ab
gewiesen, weil das
gegenständliche Urteil noch nicht
in Rechtskraft erwachsen
sei.
Gegen diesen Beschluss
erhebe ich durch
meinen
bereits ausgewiesenen Anwalt fristgerecht die
Beschwerde
an das
Landesgericht für Strafsachen I in
Wien.
Die von dem Gericht erster Instanz gegebene
Begründung der Abweisung
entspricht nicht dem Gesetz.
Diese Begründung sagt: „Denn
wenn auch die dreitägige
Frist
zur Anmeldung der Berufung seitens des Beschuldigten im
Zeitpunkt der Berufungsanmeldung (17.II.1927)
bereits abgelaufen war, so
kann dem blossen Zeitablauf
an
und für sich die Wirkung der Rechtskraft nicht zu
gesprochen werden,
wenn – wie im vorliegenden Falle – ein
ordentliches Rechtsmittel
gegen das Urteil ergriffen
wurde und über dieses Rechtsmittel nicht rechtskräftig
abgesprochen wurde.“
Nach § 466 St.P.O. hat der Angeklagte
die Be
rufung binnen 3
Tagen nachdem er von dem Urteil ver
ständigt wurde,
anzumelden, wenn er bei der Verkündung
des Urteiles nicht anwesend war.
Das Urteil wurde dem
Angeklagten am 8. Februar 1927 zugestellt, die Anmeldungs
frist ist daher am 11.
Februar 1927 abgelaufen. In diesem
Zeitpunkt war allerdings das Urteil noch nicht rechts
kräftig, weil der
Angeklagte gemäss § 478 St.P.O. das
Recht hatte, binnen 8 Tagen von
Zustellung des Urteiles
bei dem erkennenden Bezirksgerichte Einspruch zu erheben,
wenn ihm die Vorladung nicht
gehörig zugestellt worden
ist,
oder er nachweisen kann, dass er durch ein unab
wendbares Hindernis
abgehalten worden sei, zur Verhandlung
zu erscheinen. Da der Angeklagte im Falle der Verwerfung
des Einspruches mit dem
Rechtsmittel der Beschwerde die
Berufung verbinden darf, so musste weiters abgewartet
werden, ob der Angeklagte nicht bis zum 16. Februar 1927
einen Einspruch erhebt. Da der
Angeklagte dies aber nicht
getan hat, sondern eine Berufung
am achten Tage, sohin
verspätet
eingebracht hat, so war diese vom Bezirksgericht
zurückzuweisen und die Rechtskraft des Urteiles
vom 3. Dezember 1926 zu
bestätigen. Denn die dem Angeklagten gegen
den Zurückweisungsbeschluss zustehende
Beschwerde hat nicht wie die
Berufung selbst aufschiebende
Wirkung, da bei der Berufung im § 466 Abs. 3 St.P.O. die
aufschiebende Wirkung
ausdrücklich geregelt ist, während
dies bei der Beschwerde im § 481 St.P.O. nicht der Fall
ist. Dies ergibt sich auch
daraus, dass die Beschwerde
gegen
die Zurückweisung der Berufung kein ordentliches
Rechtsmittel gegen das Urteil
selbst, sondern nur gegen
den
Zurückweisungsbeschluss ist. Daher sagt auch Gleispach „Das österreichische Strafverfahren“,
Seite 318,
dass Urteile, die
durch ein Rechtsmittel angefochten wer
den können,
rechtskräftig werden, wenn alle Anfechtungs
berechtigten die
Rechtsmittelfrist unbenützt verstreichen
lassen.
Ich stelle daher den
Antrag,
den Beschluss
des Strafbezirksgerichtes I vom 22. Feber
1927 abzuändern und dem Strafbezirksgerichte I aufzu
tragen, die
Rechtskraft des Urteiles vom 3. Dezember1926, G.Z. U XII 71/26 zu
bestätigen.
An Kosten werden verzeichnet:
Bechwerde samt 10% Einheitssatz S
44.–
Stempel S 1.–
2 % Warenumsatzsteuer S –.88
zusammen S 45.88