Dem Kiebitz ist nichts zu teuer oder Karl Kraus denunziert schon wieder die Sozialdemokraten


U XII 1761/26


An das
Strafbezirksgericht I,Wien.


Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.Hintere Zollamtsstrasse 3,
durch:


Beschuldigter: Ernst Ely, Redakteur der „Stunde“ in
Wien IV. Kühnplatz 4,
wegen § 45 Absatz 4 Urhebergesetz 1 fach


Beschwerde


gegen den Beschluss des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom4. Juli 1927 G.Z. U XII 1761/26/9.


Gegen den Beschluss des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 4. Juli 1927 G.Z. U XII 1761/26/9, zu
gestellt am 14. Juli 1927, erhebe ich durch meinen bereits aus
gewiesenen Anwalt fristgerecht folgende


Beschwerde:


Das Verfahren gegen den Beschuldigten
wegen Uebertretung nach § 45 Absatz 4 Urh.Ges. wurde gemäss
§ 46 St.P.O. eingestellt mit der Begründung, dass die strafbare
Handlung im Zeitpunkte der Klageerhebung respektive der ersten
Verfolgungshandlung gegen den Beschuldigten bereits verjährt
war. Diese Ansicht entspricht jedoch nicht den gesetzlichen Be
stimmungen. Die strafbare Handlung wurde durch Veröffentlichungeines Briefes am 10. Dezember 1925 begangen. Zur Zeit der Be
gehung der strafbaren Handlung war die Strafe mit Geld von
K 30.000.– bis K 3,000.000.– zu bemessen und die Verjährungs
zeit betrug daher ein volles Jahr. Nun ist allerdings durch die
Strafgesetznovelle vom Jahre 1926 die Verjährungszeit für dieses
Delikt seit Inkrafttreten der Novelle nicht mehr ein volles
Jahr, sondern bloss sechs Monate, andererseits aber wurde auch,
die Obergrenze des Strafsatzes für dieses Delikt auf S 2.500.–
erhöht. Ferner bestimmt der Artikel 9 der Strafgesetzovelle
1926 ausdrücklich, dass der Artikel 1, der lediglich von den für
die Beurteilung der strafbaren Handlung massgebenden Beträgen
handelt, unter gewissen Umständen auch auf strafbare Handlung
Anwendung findet, die vor dem Beginn der Wirksamkeit der Strafgesetznovelle 1926 begangen worden sind. Dadurch ist ausge
schlossen dass die übrigen Artikel der Strafgesetznovelle 1926
auf strafbare Handlungen angewendet werden, die vor dem Beginn
der Wirksamkeit der Novelle begangen worden sind. Wenn die
Entscheidung vermeint, dass es nicht die Absicht des Gesetzes
sein kann, dass eine mit der Strafe des § 45 Urh.Ges. belegte
Handlung, die am 30.VIII.1926 gesetzt worden ist, noch am
29.VIII. des nächsten Jahres verfolgt werden kann, während eine
am 1.IX. begangene Handlung bereits am 2.III. des nächsten
Jahres nicht mehr verfolgbar wäre, so ist dem entgegen zu halten
dass, wenn der Gesetzgeber die entgegengesetzte Konsequenz ge
wollt hätte, nämlich dass alle strafbaren Handlungen, bei denen
eine Veränderung der Verjährungsfrist eintritt, am 1.IX.1926
verjähren und so der Ankläger im Verfolgungsrecht verkürzt wird,
er sie ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen hätte. Der erstrichterliche Beschluss glaubt diese Konsequenz gemäss ArtikelIX des Kundmachungspatentes zum Strafgesetz ziehen zu müssen,
übersieht aber, dass diese und sämtliche andere Uebergangsbe
stimmungen der Strafgesetze, woferne sie nicht noch grössere
Einschränkungen machen, nicht davon sprechen, dass die Rückwir
kung dann einzutreten hat, wenn die neuen Bestimmungen den
Täter günstiger stellen, sondern dass der Wortlaut dieser Ueber
gangsbestimmungen immer der ist, dass das neue Gesetz auf straf
bare Handlungen vor Inkrafttreten desselben nur insoferne An
wendung, finden, als dieselben durch das neue Strafgesetz keiner
strengeren Behandlung als nach dem früher bestandenen Rechte,
unterliegen. Ich muss aber noch darauf hinweisen, dass gerade
bei den Strafgesetznovellen der letzten Zeit die Rückwirkung
grössere Einschränkungen erfahren hat. Nun wird aber durch die
Strafgesetznovelle 1926 die Strafe erhöht, daher die strafbare
Handlung strenger behandelt dass einzelne Bestimmungen für den
Täter günstiger sind, machen noch nicht die Behandlung des
zu einer weniger strengen. Denn in erster Linie wird doch
für die Beurteilung, ob ein Gesetz strenger ist
als das andere, die Höhe der Strafe heranzuziehen sein. Wie
der Oberste Gerichtshof bereits in zwei Fällen entschieden hat,
ist bei Prüfung der Frage, welches von zwei in Betracht kommenden
Gesetzen das strengere ist, die beiden Gesetze in ihrer Gänze
zu beurteilen. Es erscheint mir ausgeschlossen auf eine vor
Inkrafttreten der Strafgesetznovelle begangene strafbare Hand
lung den neuen höheren Strafsatz anzuwenden, es ist aber dann
auch ausgeschlossen, dass die Beurteilung des Täters bezüglich
der Strafe nach dem alten, bezüglich der Verjährungszeit nach
dem neuen Gesetz erfolgt.


Selbst wenn man aber die dem Erstrichter so
unerhörte Konsequenz, dass eine am 30.VIII.1926 begangene
Handlung noch am 29.VIII. des nächsten Jahres verfolgt werden
kann, während eine am 1.IX. begangene Handlung bereits am 2.III.
des nächsten Jahres nicht mehr verfolgbar wäre, ausschliessen
wollte, kann man noch immer nicht zu dem vom Erstrichter ein
genommenen Standpunkte kommen. Uebergangsbestimmungen bezüg
lich der Verjährungszeit finden sich in keinem Strafgesetze.
Der Richter muss also die Lücke des Gesetzes eventuell durch
Gesetze oder Rechtsanalogie entscheiden. Hiezu bietet die
dritte Teilnovelle zum bürgerlichen Gesetzbuch Anhaltspunkte.
Damals wurde bestimmt, dass von einem gewissen Zeitpunkt an
die kürzere Verjährungszeit Anwendung zu finden habe, dass aber
die Verjährung schon früher vollendet ist, wenn die nach dem
alten Gesetze bisher bestimmte Frist früher ablief, wenn man
also entgegen der ausdrücklichen Bestimmung der Strafgesetznovelle 1926, dass nur der Artikel I rückwirkende Kraft hat,
zur Entscheidung käme, dass die kürzere Verjährungszeit
auf strafbare Handlungen, die vor dem Inkrafttreten der
Strafgesetznovelle begangen wurden, Anwendung finde, so
könnte dies nur in der Weise geschehen, dass vom Zeit
punkt des Inkrafttretens eine neue Berechnung einzutreten
hat, wenn nicht der Rest der alten Verjährungszeit kürzer
ist. Allerdings wäre dies im gegenständlichen Falle ohne
Bedeutung, da nach dem alten Gesetze schon am 25. Dezember
1926 die Verjährung eingetreten wäre. Da aber die erste
Verfolgungshandlung gegen den Beschuldigten schon am 4.XII.
1926 vorgenommen wurde, ist die Verjährung nicht einge
treten.


Ich beantrage daher, der Beschwerde Folge
zu geben und dem Strafbezirksgerichte I in Wien die Fort
setzung des Verfahrens gegen den Beschuldigten aufzutragen.


Karl Kraus.


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