Namensähnlichkeit [18.4.1925]Die StundeEine Ehrenaffäre Kraus-KrauseDie BörseNamensähnlichkeit [9.5.1925]


Nach den Erfahrungen, welche ich mit der „Stunde“ gemacht habe, die durch
jeden Versuch einer gesetzlichen Berichtigung nur ermuntert wird, die
Methode bewusster Wahrheitswidrigkeit in Wort und Bild mit umso grösserem
Behagen fortzusetzen, muss ich es ablehnen, mit ihr auch nur unter Beru
fung auf das Gesetz zu verkehren. Da aber mein Klient Karl Kraus begreif
licher Weise Wert darauf legt, dass die Oeffentlichkeit, die Gedrucktes
schon darum glaubt, weil sie sich ein solches Mass von Tücke zu vorsätz
licher Irreführung gar nicht vorstellen könnte, so schnell als möglich
vom Sachverhalt unterrichtet werde, ersuche ich Sie, ihn ihr bekanntzugeben
und damit nach Möglichkeit den Bübereien entgegenzuwirken, mit denen sich
das Blatt jetzt fast an jedem Tag für die ihm widerfahrene Stigmatisierung
schadlos zu halten sucht, indem es jede Gelegenheit, durch eine Befassung
mit Karl Kraus Interesse zu erregen, nicht nur aufgreift, sondern auch
durch glatte Erfindung von Tatsachen herbeiführt. Von all den Unwahr schein
lich
haftig keiten, die ihm die gegebene Materie des Berichtigungsprozesses bis
zur abermaligen Entstellung der Bilder ermöglicht hat, sei hier nur die
Tatsache erwähnt, dass die „Stunde“ nicht davor zurückgescheut hat, dem
Wort des Richters, mit dem er eine ungehörige Bemerkung des Ankeklagten
über Karl Kraus zurückwies, eine Fassung zu geben, die ihm fast den Sinn
einer Zustimmung abnehmen liess. Solchen Verdrehungen an Ort und Stelle
durch eine Berichtigung beizukommen, ist gegenüber einem Blatt nicht
möglich, das (während es die Liste der künstlerischen Mai-Feiern ver
öffentlicht, um die an erster Stelle stehende herauszufälschen)
jetzt die fol
gende Erfindung fruktifiziert. Es hatte schon vor einem Jahr den Witz
ersonnen, dass ein Herr „Karl Kraus, Sprechlehrer und Freidramaturg“ sich
in einer Zuschrift an die „Stunde“ dagegen verwahrt habe, mit Karl Kraus
identisch zu sein. Kürzlich hat sie den Mann, der nunmehr „Krause“ heiss en t
soll und sein Domizil gewechselt hat, den Scherz wiederholen lassen, weil
es doch offenbar eine immer grössere Unehre wird, mit Karl Kraus verwech
selt zu werden und weil dem angeblichen Herrn Krause diese Pein immer von
neuem widerfährt. Nachdem dies geschehen war, brachte sie die folgende
Notiz:


Man kann der „Stunde“ das Widerstreben, Karl Kraus Reklame zu machen,
annähernd so stark nachfühlen wie der Blattlaus den Protest dagegen,
dass der Baum aus ihr Nahrung ziehe. Und man wird die Aufrichtigkeit der
Versicherung, dass die „Stunde“ nur ungern die Zuschrift des Herrn Krause,
gedruckt habe, an der folgenden Feststellung ermessen. Es ist unwahr, dass
Karl Kraus diesen Herrn Krause in seiner Ehre herabgesetzt hat. Es ist un
wahr, dass er an dessen Verwahrung Zuschrift die Bemerkung geknüpft hat, ein Jüngel
habe ihm hingegen die Berichtigung gesandt, mit dem Verleger der „Stunde“ ja identisch
zu sein. Wahr ist, dass es in jenem Vortrag hiess, dass nicht einmal die
Leser der „Stunde“ so dumm sein dürften zu glauben, dass diese wirklich von
einem Herrn Krause um die Bekräftigung seiner Nicht-Identität ersucht wurde.
„Eher würde ich sie schon davon überzeugen, dass ein Budapester Agent
Bekessy mit einer ziemlich stark belegten Leumundsnote die Fackel ersucht
hat, festzustellen, dass er mit dem gleichnamigen Herausgeber der ‚Stunde‘und der ‚Börse‘ identisch ist.“ Der starke Applaus, der dieser Stelle des
Vortrages folgte, ist auch Herrn Bekessy zu Ohren gekommen, aber dass eine
Herabsetzung der Ehre des Herrn Krause in den Worten ge borg leg en war, hatte er
kaum daraus entnehmen können. Es ist demnach auch vollkommen unwahr, dass
der Herr Krause zwei Herren zum Schriftsteller Kraus um Aufklärung des Sach
verhaltes gesandt hat. Es ist unwahr, dass diesen irgendetwas erwidert wurde,
sei es von einer Anspielung, einer ungeschickten Formulierung, von Herstel
lung witziger Antithesen oder von einer Anpassung an die Forderungen des Vor
tragspublikums. Es ist weder eine gewundene noch eine direkte Erklärung abge
geben worden, ja es ist nicht einmal ein Hinauswurf der zwei Herren erfolgt,
weil diese zwei Herren eben bei m Herrn Schriftsteller Kraus überhaupt nicht vorgesprochen
haben. Es ist somit schliesslich auch unwahr, dass Herr Krause, dem die Er
klärung „naturgemäss“ nicht genügen konnte, gegen den genannten Herrn Kraus ge
richtliche Schritte eingeleitet hat. Es besteht also keine Ehrenaffäre
Kraus – Krause. Da aber einer blödgemachten Leserschaft, die doch so etwas
glauben musste, noch mehr zugemutet werden kann, so erschien gleich am näch
sten Tag eine Notiz, in der nach der bekannten Methode, wonach Karl Kraus
„bekanntlich“ mit seiner Schwester einen Erbschaftsstreit führt, den er
sein Lebtag nicht geführt hat, ein „Religionslehrer Karl Krauß aus
Pistyan“ um die Feststellung ersucht, er sei wieder nicht identisch mit
dem Sprechlehrer und Freidramaturgen Karl Krause, „der mit dem Schrift
steller Karl Kraus in die bekannte Affäre verwickelt ist“. Dieser „Affäre“
die in einer Weise dargestellt wird, dass doch zahlreiche Käufer des
Blattes düpiert werden, da sie ja gar nicht auf die Idee kommen können,
dass eine Zeitungsredaktion Zeit und Animo aufbringen werde, sich so etwas
einfach aus den Fingern zu saugen, wird die widerstrebende „Stunde“ wohl
noch etliche Wendungen abgewinnen. Es liegt ihr aber, wie ich hiemit fest
stelle, keine einzige andere wahre Tatsache zugrunde als die, dass das Blatt nie
mals von einem Herrn Kraus oder Krause und wahrscheinlich auch nicht von einem
Herrn Krauß eine Zuschrift erhalten hat und wenn eine, so gewiss eine sol
che, von deren Zustandekommen die Redaktion der „Stunde“ vorher unterrichtet
war. Die Wahrheit ist, dass nach polizeilicher Feststellung vom 10. April
ein Karl Krause, Sprechlehrer und Freidramaturg Wien VIII Florianigasse 7
überhaupt nicht existiert. Diese Feststellung wird ein Blatt wie die „Stunde“,
dessen System es ist, wie Karl Kraus eben in seinem Vortrag ausgeführt hat
die Privatbüberei unmittelbar in Publizistik umzusetzen, vermutlich nicht
daran hindern, die Geistesödigkeit dieses Scherzes fortzusetzen, solange er
geschäftlich nicht völlig unergiebig ist, solange der Name des Betroffenen
jede Konterbande der Sensation deckt, und vielleicht selbst dann, wenn das
Publikum die Methode der in eigener Regie gezüchteten Grubenhunde durch
schaut hat. Aber der Fall, dass Zeitungspapier und Druckerschwärze aus
schliesslich zur Befriedigung eines bübischen Gelüstes verwendet werden,
nicht weil selbst die Erkenntnis der spekulativen Lüge und das damit verbundene
Ekelgefühl die Kundschaft nicht abhalten kann, so etwas gern zu lesen und
wenn schon nicht ernst zu nehmen, so doch witzig zu finden. Dieser Fall
dürfte in der Geschichte des Zeitungswesens wohl nicht seinesgleichen
haben.


In vorzüglicher Hochachtung