U IV 570/26
An das
Strafbezirksgericht I.Wien.
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller, Wien III. HintereZollamtsstrasse 3
durch:
Beschuldigter: Anton Kuh, Schriftsteller, Wien III., Beatrixgasse 1a,
Hotel Beatrix.
wegen Ehrenbeleidigung,
1 fach
Antrag
auf sofortige Anberaumung einer Hauptverhandlung.
vorläufige Festnehmung des
Beschuldigten, und Verhängung
der Verwahrungshaft über
denselben bis zur Hauptverhand
lung und Antrag auf Abgabe dieses Aktes an den staatsan
waltschaftlichen
Funktionär zur Kenntnisnahme.
Gegen den Beschuldigten war für den 5.
Juni 1926
die
Hauptverhandlung an beraumt. Der Beschuldigte ist zu dieser
Verhandlung nicht erschienen
und hat ein Krankheitszeugnis
vom 3. Juni 1926 vorlegen lassen, laut welchem er an einer
Blinddarmentzündung erkrankt
ist. Mein Anwalt hat sofort in der
mündlichen Hauptverhandlung
den Antrag gestellt, durch das
Polizeikommissariat Landstrasse
erheben zu lassen, ob die
Krankheit des Beschuldigten tatsächlich bestehe, doch wurde
dieser Antrag deshalb
abgewiesen, weil mit Rücksicht auf das
vorgelegte Zeugnis dem Gerichte ein Zweifel an der Richtigkeit
der Angaben des Beschuldigtenvertreters nicht gegeben erscheine.
Die sofort nach der
Hauptverhandlung eingezogenen Erkundigungen,
haben sofort ergeben, dass
die Krankheit des Herrn Kuh nicht
bestanden hat. Sofort nach
der Rückkehr von der Hauptverband
lung hat mein Anwalt, ca. um 3/4 12 Uhr das Hotel Beatrix ange
rufen und Herrn
Kuh zu
sprechen verlangt. Es wurde ihm telepho
nisch mitgeteilt,
dass Herr Kuh
gerade in’s Sanatorium ge
gangen
ist. Schon das war auffällig, dass ein am 3. Juni an
Blinddarmentzündung erkrankter am 5. Juni gegen die Mittags
stunde in’s
Sanatorium gegangen ist. Noch auffälliger wurde dies
dadurch, dass die Angabe, in
welches Sanatorium sich Herr Kuh
begeben hat, angeblich nicht
gemacht werden konnte. Am Nach
mittag desselben Tages rief mein Anwalt neuerdings das HotelBeatrix an um zu
erfahren, in welchem Sanatorium sich Herr Kuh
befinde und es wurde ihm
mitgeteilt, dass man dies im Hotel
nicht wisse. Ein
telephonischer Anruf bei den in Betracht
kommenden Wiener Sanatorien
hat ergeben, dass in keinem derselben
Herr Anton Kuh als Patient
aufgenomnen wurde.
Unterdessen hatte ich
unabhängig von meinem Anwalt und
ohne Kenntnis von seinem
Vorgehen gleichfalls telephonisch beim
Hotel Beatrix angerufen, mich als Dr. Simon aus Berlin vorge
stellt und Herrn
Kuh in
einer Verlagsangelegenheit zu sprechen
verlangt. Es wurde mir
mitgeteilt, dass Herr Kuh einem
Gespräch nur dann näher
treten könne, wenn man ihm andeute,
um welche Angelegenheit es
sich handle. Als ich dann kurze
Zeit später anrief und bat
Herrn Kuh zum
Telephon zu rufen,
erklärte
der Portier, dass Herr Kuh in einem Sanatorium
sei,
sonderbarerweise
aber gerade angerufen habe und verlangt habe,
dass man ihm mitteile, um
was es sich handle und dann könne
eventuell eine Verbindung
hergestellt werden. Auf die Frage,
in was für einem Sanatorium
sich Herr Kuh
befindet, wurde auch
mir die
Auskunft verweigert. Schon daraus schloss ich, dass die
angebliche Krankheit des
Herrn Kuh nicht
existiere. Dies wurde
noch
verstärkt, als mein Anwalt in das Hotel Beatrix sich
begab, und dort im Namen des
Herrn Dr. Simon Herrn Kuh zu spre
chen verlangte.
Es wurde mitgeteilt, dass Herr Kuh irgendeine
Angelegenheit habe, weshalb
er nicht zu sprechen sei und nur
dann einer Fühlungnahme mit
Herrn Dr. Simon näher treten könne,
wenn ihm der Zweck der
Zusammenkunft mitgeteilt werden könnte,
zumal, da er gerade an
diesem Tage, aus irgend welchen nicht
näher anzugebenden Gründen
nicht mit dritten Personen in Ver
bindung treten
könne. Ueberdies sei die Angelegenheit mit dem
Dr. Simon höchst eigentümlich, da ein Anruf sowohl
des Herrn Kuh
als auch
des Portier im Grand Hotel, das ich als Wohnort des Dr. Simon
angegeben habe, die Auskunft
erteilt wurde, Dr. Simon sei Freitag
Früh abgrreist.
Um 1/2 1 Uhr nachts rief ich
dann nochmals das HotelBetrix an, wo
nunmehr der Nachtportier zum Telephon kam. Auf
meine dringliche Anfrage,
mir mitzuteilen, wo Herr Kuh sich
jetzt befände, da ich ihn
dringend sprechen müsse, wurde mir
auch zuerst mitgeteilt, dass
er sich in einem Sanatorium be
fände, werde aber heute nachts nachhause kommen, sei aber noch
nicht gekommen. Da es
nunmehr fast schon sicher war, dass
Herr Kuh nicht krank war, ersuchte
ich den in meiner Gesell
schaft befindlichen Herrn Dr. Stadler, den Aufenthalt
des
Herrn Kuh zu
eruieren. Herr Dr. Stadler rief mehrere Nacht
lokale an, von
denen er wusste, dass Herr Kuh dort verkehre
und es gelang ihm, in der
Renaissance-Bar, Wien I. Singerstrasse 9 die
Auskunft zu erhalten, dass Herr Kuh vor kurzer
Zeit das Lokal verlassen habe. Eine persönliche Vorsprache des
Herrn Dr. Stadler beim Portier der Renaissance-Bar, ca. um
1/2 2 Uhr nachts, ergab die
Auskunft. „Herr Kuh sei in grösserer
Gesellschaft ziemlich lange Zeit hier gewesen, jedoch schon vor
1 Uhr“ mit einem ganzen
Transport Menschen weggegangen.
Auch ein am Sonntag den 6.
Juni vormittags erfolgter
Anruf beim Hotel Beatrix durch meinen Anwalt namens des Herrn
Dr. Simon führte zu keinem Resultat, insbesonders wurde die
Bekanntgabe des Sanatoriums
verweigert und der Portier des HotelBeatrix fügte noch
hinzu, dass dies eine mysteriöse Angelegenheit
sei, er habe nämlich
neuerlich im Grand Hotel die Auskunft er
halten, dass Dr.
Simon bereits abgereist sei. Herr Kuh lasse
sagen, man möge ihm den
Zweck der Unterredung mitteilen, worauf
dann eine Bekanntgabe eines
Treffpunktes erfolgen könne.
Beweis: Herr Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt
in
Wien I. Schottenring 14, Herr Dr. Viktor Stadler
Wien I.Kärtnerstrasse 12,
die beiden Portiers des Hotel Beatrix
und
der Portier der Renaissance-Bar,
welcher am 6. Juni 1926 1/2 2 Uhr
morgens Dienst machte und
meine Vernehmung als Zeugen.
Da sohin der dringende
Verdacht ergeben ist, dass Herr
Kuh das Krankheitszeugnis von
dem Arzte unter Simulation der
Krankheit erhalten habe und seine Gesundheit auf jeden Fall
feststeht, beantrage ich
sofortige Anberaumung einer
Hauptverhandlung und
vorläufige Festnehmung des Beschuldigten zum Behufe
der Vorführung gemäss § 452 Ziffer 1 St.P.O.
Ferner beantrage ich nach
erfolgtem Abschluss
dieser
Angelegenheit diese Eingabe dem staatsanwaltschaft
lichen Funktionär
zwecks Vorgehens gegen den Beschuldigten wegen
Verbrechens der Irreführung
der Behörden, eventuell Ueber
tretung des Betruges vorzulegen.