Literatur oder Man wird doch da sehnDer Affe Zarathustras (Karl Kraus). Eine Stegreifrede.Heine und die FolgenDer Affe ZarathustrasUnzeitgemäße BetrachtungenDer Morgen. Wiener MontagsblattDie FackelAlso sprach ZarathustraNachts


Abschrift.


G.Z. U IV 570/26
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Öffentliche Hauptverhandlung
Strafbezirksgericht I in Wien am 11. November 1926
Beginn 12 Uhr
Ende 4 Uhr 50 Min.
2 Pausen 50 Min.
Dauer d. Hv. 8/2 St.
Richter L.G.R. Dr. Benesch Schriftführer Dr. Wilhelm


Privatankläger: Karl Kraus, u.e.Za. sein Vertreter
Dr. Oskar Samek pers.V.a
Angeklagter Anton Kuh, p. Verteidiger: Dr. Salo Weitberg
für Dr. Friedrich Schnepp
L.U. 7.VII 1925 V. ausg.


Anton Kuh, 12.VII.1890, Wien, Wien, mos.
led. Schriftsteller, III. Beatrixgasse 1, ohne Vermögen,
Eltern Emil und Auguste, für die Mutter zu sorgen, wegen
Pressdelikte vorbestraft.


Ich bekenne die inkriminierten Äusserungen
im angegebenen oder ähnlichen Wortlaute gemacht zu haben,
wobei ich Abweichungen noch zum Ausdruck bringen werde.
Die Kompetenz des Bezirksgerichtes bestreite ich. Lite
rarische Auseinandersetzungen, auch pamphletistischen In
haltes vertragen nicht eine juristische Analyse; der P.A.
hat selbst unzählige Polemiken gegen die gesamte künstle
rische und wissenschaftliche Welt geführt in der Sicher
heit, seine Verantwortung hiefür nicht beim Bezirksgericht
erbringen zu müssen. Insbesonders verwahre ich mich da
gegen, dass die inkriminierten Stellen aus dem Zusammen
hang gerissen, dem Verständnis entrückt und so angeklagt
sind. Der Gesamtinhalt des Vortrages, der intensive Mit
arbeit der Zuhörer zur Bedingung hat, hat eine beleidigende
Wirkung nicht gehabt. Auf Vorhalt des Richters, dass
das Publikum nicht imstande war, die vom Besch. ver
langte Mitarbeit zu leisten und infolge dessen sich dem
Eindrücke von Beleidigungen zu entziehen, gibt Besch. an:
Ich rechne mit dem höchsten Niveau eines Auditoriums.


Ad 1.) Das Wort „Itzigseuche“ wurde von mir beim Vortrage
improvisiert und geprägt. Ein beleidigender Inhalt dieses
Wortes wäre daher erst zu beweisen. Dieses Wort existiert
in seinem wörtlichen Sinn überhaupt nicht, weil es eine
solche Seuche bakteriologisch nicht gibt. In metapho
rischem Sinne aber ist es keine Beleidigung, weil jeder
Metapher die Herabsetzung der andern zum Stoffe hat. In
diesem Sinne ausschliesslich hat z.B. Nietzsche in seiner
Schrift gegen Strauss diesen „Bildungsphilister“ ge
nannt. Dieser war weit entfernt, dadurch beleidigt zu sein
und die ganze Welt fasst die Metapher als eine Anspielung
auf asketische, ästetische und pädagogische Entartung auf.
Ich bestreite somit das Vorliegen des objektiven Tatbe
standes einer Beleidigung. Ad 2) Hierin kann ich eine
Beleidigung nicht erblicken „ich schäme mich“, kehrt
sich nur gegen die Kraus-Anhänger, die so beschaffen sind,
dass man sich hütet, in den Verdacht zu kommen, ein sol
cher zu sein, also in die kleine Schiffgasse des Geistes
zu kommen. Gegen den P.A. richtet sich das nicht. Ad 3)
Zum Satze „er kommt von hinten“ fehlt der höchst be
zeichnende Zusatz, der in dem Buche „Literatur“ von
Kraus an dieser Stelle vorkommt, „da kennt er sich aus“.
Diese Stelle hat einen deutlichen, von Allen verstandenen
Hinweis auf mich.


P.A.V. stellt fest, dass nur die Informationen vom
P.A. stammen, die Textierung der Klage jedoch ausschliess
lich von ihm selbst. Besch: Ad 4) Ich stelle unter Beweis
dass der P.A. seine besten Witze tatsächlich von mir
hat. Ich verweise vorläufig auf 1.) „Es ist unwahr,
dass Bekessy eine Milliarde bekommen hat, wahr ist viel
mehr. “ 2.) Der Wortwitz „Az Est - Ases“. Beide
Witze wurden in grösserer Gesellschaft von mir kreiert
und der P.A. wusste, dass ich der Autor sei, weil er in
seiner „Fackel“ bei beiden Stellen hinzufügte „einer,
der es doch wissen muss, sagt:“ Ad 5) „Intelligenzple
bejer“ ist keine Beleidigung, sondern ein polemischer
Terminus, bei dem man so lange nachdenken muss, dass jede
Beleidigung verfliegt. Ad 6.) Die Stelle über die Dauer
der Anwesenheit von Karl Kraus in Wien ist keine Beleidigung,
weil es überhaupt nicht kalendarisch zu verstehen ist, son
dern nur die zeitlich gebundene kulturelle Zugehörigkeit
beinhalten will, bei der es wie ich hinzufügte, auf die ka
lendarische Richtigkeit gar nicht ankommt, Ad 7) „Von
reinen Händen kann man nicht leben“ bezieht sich natürlich
nicht auf den P.A. sondern auf eine Polemik des P.A. gegen
Colbert, worin der P.A. selbst zum Ausdrucke bringen wollte,
dass die Tatsache reiner Hände kein geistiger Besitz ist.


Ad 8.) „Wahnsinnige“ ist keine Beleidigung, sondern be
deutet nur einen, der ein monomanisches Weltbild hat. Ad 9)
halte ich aufrecht und stelle unter Beweis, dass P.A. wirk
lich auf Sexualitäten angespielt hat. Ad 10) „Ases“ resp.
„Asesponem“, wie ich übrigens wiederholt vom P.A. genannt
wurde, hat nicht den in der Klage angegebenen Sinn. Als
Sachverständigen über den wahren, nicht beleidigenden In
halt dieses Wortes beantrage ich den Komiker Armin Berg
und den Oberrabbiner Chajes der isr. Kultusgemeinde. Ad 11)
Die Zitierung Nietzsches und das Verlesen eines Kapitels des
Zarathustra“ war die ethische Motivierung meines Vortrages und die Antwort, darauf, dass P.A. am 25. Todestag
Nietzsches gegen diesen in einem Vortrag losging. Die
Analogie und Vision Nietzsches in Bezug auf den P.A.
war so gross, dass ich mir dieses Kapitel gar nicht ent
gehen lassen konnte. Zu sämtlichen Punkten bemerke ich,
dass mich die Person des P.A. niemals an sich interessiert,
sondern nur als Exponent einer geistigen Einstellung,
ähnlich wie das Buch des P.A.Heine und die Folgen
nicht gegen Heine gerichtet war, sondern gegen die Folgen.
Wenn man meinen Vortrag im Zusammenhang lest, geht das
auch zur genüge hervor.


Zeuge Dr. Viktor Stadler, 28 Jahre in Prag, klos, I. Göttweiherstrasse 1, R.A.A., auf Antrag des Verteidigers be
eidigt. Ich war in dem Vortrag und habe zum Teil mitste
nographiert. Der Vortrag war auf das Niveau einer Ehren
beleidigung gestellt. Auf Frage des Richters, ob ein
Typus, z.B. der des Krausanhänger oder Kraus selbst gemeint
war, gibt Zeuge an: Die Unterscheidung ist nicht leicht,
jedoch sollte vorwiegend die Person des P.A. getroffen
werden. Ich kann sowohl nach meiner Erinnerung, als auch
nach meinen Aufzeichnungen bestätigen, dass sämtliche Äus
serungen so gefallen sind, wie sie inkriminiert sind. Auf
die Frage des Besch. gibt Zeuge an: Ich habe den Vortrag
des Beschuldigten nicht gestört, sondern auf Ruhe gedrungen.
Das Gefühl, dass ich getroffen war, habe ich nicht gehabt.
Die Frage des Besch. ob Zeuge das Gefühl gehabt habe, dass
ein Vortrag gehalten wurde oder Beschimpfungen ausgestossen
wurden, wird vom Richter nicht zugelassen. P.A.V. beantragt
Beweis darüber, dass die Broschüre des Besch. mit dem
Stenogramm nicht in allen Punkten übereinstimmt. Richter
stellt fest, dass in der Broschüre an manchen Stellen ge
feilt wurde. So wurde das Wort „herzeigt“ durch „lebt“
ersetzt.
Dr. Schnepp tritt in die Verteidigung ein.


Zeuge Dr. Ludwig Münz, 27 Jahre, mos. led. Kunsthisto
riker, III. Salesianergasse 12, Verteid. stellt fest,
dass Zeuge durch vorzeitiges Aufrufen durch den Saal
diener während einer Viertelstunde im Saal anwesend war.
Zeuge, n.W.E. Der Beschuldigte sagte: „Von reinen Händen
allein kann man nicht leben “. Ich gebe zu, dass diese
Stelle durch einen Zuruf provoziert wurde. Auf Befragen
des Besch: Ich bin ein Freund des P.A., bin oft mit ihm
zusammen und habe ihm über den Vortrag Bericht erstattet.
Ich habe einmal einen Zuruf gemacht, wurde aber nicht
hinausgeworfen und nicht bedroht. Ich war über den Vortrag
empört.


P.A.V. verzichtet auf weitere Zeugen.
Besch. beantragt zum Punkt 7 als Zeugen über den Zusammen
hang und die Art der Replik Graf Adalbert Sternberg und
Altgraf Erich Salm, sowie zum objektiven Tatbestand über
haupt. Ferner macht sich Besch. zur Erbringung des Wahr
heitsbeweises über den Vortrag als Ganzen erbötig. Ferner
als Sachverständige über die Persönlichkeit des P.A. die
Schriftsteller Harden, Bahr, Blei, Heinrich und Thomas Mann,
Werfel, Ehrenstein, die Professoren Einstein und Freud,
Georg Engländer und Karl Hollitzer.
P.A.V. spricht sich gegen die Zulassung dieser Beweis
anträge aus.


B. auf Ablehnung der Beweisanträge als unerheblich.
Besch. beantragt Requirierung des Buches „Literatur
des P.A. und „Nachts“ des P.A. worin er seine Anhänger
selbst als Jüngels und Itzige hinstellt. Weiters die Re
quirierung eines Feuilleton der Zeitung „Morgen“ vom
Febr 1924 und der Zeugen Karl Tschuppik und Franz Blei
über die Herkunft der Witze, über den Ausdruck „Ases“
als Zeugen den Tempeldiener der Heimatsgemeinde des
P.A. zum Beweise, dass P.A. die Bedeutung des Wortes von
Jugend auf gekannt habe. Besch. stellt weiter unter Be
weis, dass P.A. versucht habe, bei der N.F. Presse als
Redakteur unterzukommen und von dort hinausgeworfen worden
sei und zitiert weiters in jüdelndem Tonfälle: „Das ist
so?“


P.A.V. dehnt die Anklage auf die beiden letzteren Äusserun
gen aus und auf die Äusserung „kleine Schiffgasse des
Geistes“.


P.A.V. verliest aus dem Buche „Literatur“ des P.A.
die vom Beschuldigten zum Punkt 3 zitierte Stelle und
folgert aus dem Zusammenhänge, dass diese Stelle nicht
auf den Beschuldigten abziele.


Vert. stellt in Ergänzung der vom Beschuldigten gestellten
Anträge noch folgende Beweisanträge: Einvernahmen des
Redakteur Ernst Ely, IX. Canisiusgasse 12 und des Schrift
stellers Karl Tschuppik, I. Hotel Bristol, Altes Haus
und die Requirierung des Feuilleton aus der Nummer des
Morgen“ vom 8.II.1924 und der „Fackel“ vom April1926 zum Beweise, dass die zwei mehrfach erwähnten Witze
das erstemal vom Beschuldigten publiziert resp. geäussert
wurden. Bezüglich des Ausdruckes „Intellegenzplebejer“,
„Itzigseuche“ wird ein Sachverständigengutachten beantragt
oder ein Gutachten der philos. Fakultät der UniversitätWien, eventuell der Schriftsteller Salten, Auernheimer,
Müller oder mit Rücksicht darauf, dass P.A. mit den meisten
Schriftstellern verfeindet ist, ein Sachverständiger
nacn Wahl des P.A.


P.A.V. spricht sich mit Rücksicht auf die einwandfreie
Ermittlung des objektiven Tatbestandes gegen die Zulassung
der beantragten Beweise aus und zieht die Anklage be
züglich der Punkte „kleine Schiffgasse des Geistes“
P.A. strebte ein Engagement bei der N.F. Presse an und
flog daselbst hinaus“ und die Äusserung „Das ist so?“
zurück.


B./
Auf Ablehnung des angebotenen Wahrheitsbeweises als
beim Tatbestand der öffentlichen Verspottung unzulässig
und auf Ablehnung der übrigen Beweise als unerheblich.
Der Ankläger beantragt Bestrafung des Angeklagten.


Der Richter verkündet das Urteil. Nach der Rechtsmittel
belehrung erklärt der Angeklagte Berufung puncto Nichtig
keit, Schuld und Strafe.


Verteid. ersucht um Zustellung einer Urteilsabschrift.
u. U.