Abschrift.
Geschäftszahl U IV 570/26
Im Namen der Republik!
Das StrafBezirksgericht I in Wien hat heute in Gegenwart
in Abwesenheit des
Privatanklägers Karl Kraus
Privatanklägervertreters Dr.
Oskar
Samek und in Gegenwart
des Angeklagten Anton Kuh,
und des Verteidigers Dr. Friedrich Schnepp
über die Anklage verhandelt,
die der Privatankläger
gegen
Anton Kuh, 12./7. 1890 Wien g.z.,
m., l
Schriftsteller
wegen der Übertretung der
Ehrenbeleidigung
erhoben
hatte,
und über den vom
Ankläger
gestellten Antrag auf Bestrafung
zu Recht erkannt:
Der Angeklagte ist
schuldig, am 25. Oktober 1925 in Wien, und zwar
im
Konzerthaussaale in
einem Vortrage, mithin öffentlich durch die Worte
„Itzigseuche, ich schäme mich
u.s.w. … Sie kommen von hinten“, die
besten Zitate hat er von
mir, „Intelligenzplebejer“, als Kraus vor
unge
fähr 30
Jahren – er sagt vor 48 Jahren – nach Wien kam,
„von
reinen
Händen allein
kann man nicht leben“, „hierauf sagt dieser
Wahnsinnige“
„ein
Schriftsteller, der sich nicht entblödet auf Sexualität anzuspie
len“, „dass nenne ich die Geburt des Ethos aus dem Geiste des Ases“
und durch Verlesung“ Friedrich Nietzsche hat in einer
Nacht eine Vision gehabt.
Karl Kraus
ist ihm erschienen mit der Fackel
und nun hören Sie zu.
Versuchen sie, nicht erschüttert zu sein, was
Nietzsche über Kraus und Wien schreibt. Die grosse Stadt ist Wien,
wer Kraus
ist werden sie erraten.
Und nun folgt eine Verlesung
des Kapitels „Vom Vorübergehen“
aus dem dritten Teil des „Zarathustra“ von Nietzsche, aus dem ich
jedoch nur die
strafrechtlich relevanten Stellen zitiere:
„Also durch
viel Volk und vielerlei Städte langsam hindurch
schreitend,
ging Zarathustra auf Umwegen zurück zu seinem Gebirge
und seiner Höhle. Und
siehe dabei kam er unversehens auch an das
Stadttor der grossen
Stadt; hier aber sprang ein schäumender Narr
mit ausgebreiteten
Händen auf ihn zu und trat ihm in den Weg.
Dies aber war derselbige
Narr, welchen das Volk“ den Affen Zarathu
stra’s hiess:
denn er hatte ihm etwas von Satz und Fall der Rede
abgemerkt und borgte
wohl auch gerne vom Schatze seiner Weisheit.
Der Narr aber redete
also zu Zarathustra: …………
Hier aber unterbrach Zarathustra den schäumenden Narren und hielt
ihm den Mund zu. ‚Höre
endlich auf! rief Zarathustra, mich ekelt lan
ge schon
deiner Rede und deiner Art! …………‘
Warum wohnst Du solange
am Sumpfe, dass du selber zum Frosch und zur
Kröte werden
musstest?
„Flieset
Dir nicht selbst nun ein faulichtes schaumichtes Sumpf
Blut durch
die Adern, dass du also quacken und lästern lerntest?
…… Man heisst Dich
meinen Affen, du schäumender Narr: aber
ich heisse dich mein
Grunzeschwein, durch Grunzen verdirbst du mir
noch mein Lob der
Narrheit.“
„Was war es
denn, dass dich zuerst grunzen machte? Dass Niemand dir
genug geschmeichelt hat:
darum setztest du dich hin zu diesem Un
rate, lass du
Grund hättest viel zu grunzen – dass du Grund hättest
zu vieler Rache! Rache
nämlich, du eitler Narr, ist all dein Schäumen
ich erriet dich wohl!
Aber dein Narrenwort tut mir Schaden, selbst wo
du Recht hast!
Mich ekelt auch dieser
grossen Stadt und nicht nur diese Narren“
den Karl Kraus dem
öffentlichen Spotte ausgesetzt, zu haben.
Er hat hiedurch die
Uebertretung gegen die Sicherheit der Ehre nach
§ 491 StG. begangen und wird nach § 493 St.G. unter Anwendung des
§ 266, 261 StG. zu einer Geldstrafe von
zweihundert 200 Schilling
im N.E.F. zu fünf Tagen
Arrest und gemäss § 389 StPO. zum Ersatze der
Kosten des Strafverfahrens
verurteilt. Von der Anklage der Übertre
tung, der
Ehrenbeleidigung durch die Ausdrücke „Kleine Schiffgasse
des Geistes“ ,
„P.A.
versuchte als Redakteur bei der Nr.Fr.Presse un
terzukommen und wurde von dort hinausgeworfen“, und
„Das ist
so?“
wird der
Beschuldigte gemäss § 259 Z. 2. St.P.O.
freigesprochen
Gründe:
Der im
Urteilstenor festgehaltene Tatbestand erscheint durch die
Zeugenaussagen und, von
einigen, für die Qualifikation des Tatbestan
des unerheblichen
Abweichungen in der Verantwortung des Besch. abge
sehen, durch das
Geständnis des Besch. erwiesen. Dem Gerichte
erscheint
durch die
einzelnen Aeusserungen sowohl als auch durch deren Zusam
menhang der
Tatbestand der öffentlichen Verspottung gegeben. Der Beschuldigte selbst gibt in seiner Verantwortung an, dass in der Hal
tung des P.A. gegenüber
Nietzsche und in einem Kapitel des „Zarathustra
das ihm vollständig auf den P.A. zu passen schien“ Anlass und
Anregung gegeben zu seinem
Vortrage gefunden und sonach die inkr. Aeus
serungen in
voller Absicht gemacht hat. Die Art der Verantwortung des
Beschuldigten
vor Gericht bestärkte das Gericht in der
Ueberzeugung,
dass der
Besch. die
Absicht der Verspottung als Leitlinie hatte. Ob
einzelne Aeusserungen diese
Absicht besonders stark erkennen liessen
oder ob bei Einzelnen diese
Absicht verwischt wurde, ist irrelevant
gegenüber dem einheitlichen
Komplex des Vortrages, der in seiner
Ge
samtheit
die Verspottung der Persönlichkeit des P.A. zum Ziele
hatte.
Das Gericht ist der Anschauung des Besch. gefolgt,
dass es nicht an
gehe aus diesem einheitlichen Vortrage einzelne Stellen zusammen
hanglos
herauszugreifen, sondern er ist in seiner Gesamtheit zu
beurteilen gewesen und es
verdienen nur die vom P.A. heraus gehobe
nen Stellen
grössere Beachtung. Gegenüber dem Bedürfnisse des Beschuldigten, dem P.A. immer wieder dem öffentlichen Spotte preis
zugeben, waren
die beantragten Beweise teils unerheblich, teils un
zulässig.
Mildernd war das Geständnis des Tatsächlichen, das im
Zuge der Verantwortung
nahezu rückhaltlos erfolgte, seine offen
sichtlich leichte
Erregbarkeit und seine Veranlagung überhaupt,
sowie seine
Unbescholtenheit; erschwerend war kein Umstand.
Das Urteil erscheint sonach
dem Verschulden angemessen.
Wien, am 11. November 1926
Der Richter:
Dr. Benesch m.p.
Der Schriftführer
Dr. Wilhelm
Mit der Urschrift
gleichlautend.
Wien, am 6./12.1926
Unterschrift