P.D.Zl. 4-11.321/1926
An die
Postdirektion
für Wien Nieder-Oesterreich
undBurgenland,
Wien.
Verlag „Die Fackel“
Herausgeber: Karl Kraus,
Wien III. Hintere Zollamtsstrasse
3,
durch:
1 fach 1 Vollmacht,
Berufung
gegen den Bescheid vom 12. Jänner 1927 P.D.Zl. 4-11.321/1926.
Gegen den Bescheid vom 12.
Jänner 1927, zuge
stellt am 17. Jänner 1927, bringe ich folgende Berufung
an die Generaldirektion für die Post- und Telegraphenverwaltung in Wien
I. ein.
Der Bescheid lehnt unsere
Ersatzansprüche ab,
weil die Postanstalt gemäss Art. 50 des Weltpostvertrages von Stockholm, Bundesgesetzblatt Nr. 329/25 nur für
den Verlust einer
Einschreibsendung hafte und die Postdirektion der
Ansicht ist, dass im vorliegenden Falle ein
solcher Verlust nicht eingetreten
ist. Den ist aber ent
schieden zu widersprechen. Verloren ist eine Sendung dann
wenn sie weder dem Empfänger noch
den Absender zugestellt
wurde und
die weitere Behandlung derselben nicht dem Vor
schriften der
Postordnung entspricht. Die Auffassung, dass
ein Verlust nur dann anzunehmen
ist, wenn die Sendung der
Postanstalt verloren gegangen ist, würde zu der absonder
lichen Konsequenz
führen, dass der willkürliche Verkauf
einer Sendung vor versuchter
Zustellung an den Empfänger
gleichfalls nur den Anspruch auf den Verkaufserlös, nicht
aber auf die volle Entschädigung
für verloren gegangene
Einschreibesendungen Anspruch gibt. Nach § 195 der Postordnung ist der Absender, wenn er nicht aussen auf der
Sendung angegeben ist, durch
Eröffnung derselben zu er
mitteln. Nach Vollzug des Ermittlungsverfahrens ist die
Sendung mit dem Dienstsiegel zu
verschliessen und dem Ab
sender durch das zuständige Postamt zurückzustellen. Da
die Sendung ein Buch des Herrn Karl Kraus enthielt, auf
dessen erster Seite eine Widmung
des Verfassers an
den
Empfänger geschrieben war, so war leicht die Möglichkeit
gegeben den Absender zu ermitteln und ihm das
Buch zurück
zustellen. Aber selbst
wenn der Postbeamte diese Widmung
übersehen haben sollte, war die
Möglichkeit der Rück
stellung an den Absender noch immer durch die am 5. Mai
1926 erfolgte Reklamation
gegeben. Nach Absatz 3b des§ 195 der
Postordnung musste die Sendung ein halbes
Jahr aufbewahrt bleiben. Die
Frist beginnt mit dem
nächsten
der Eröffnung folgenden Monatsersten. Selbst bei
Annahme der Rückkunft der Sendung
aus Paris noch im
Dezember 1925 lief die
sechsmonatliche Frist erst am
30.
Juni 1926 ab. Wahrscheinlich ist aber die Sendung
erst im Jänner 1926
zurückgelangt, sodass die Frist erst
am 31. Juli 1926 abgelaufen ist.
Da die Reklamation am
5. Mai 1926
erfolgte, so musste die Sendung zurückgestellt
werden. Hiezu war auch noch genug
Zeit vorhanden, da der
Verkauf
des Buches am 22.IX.1926 im Dorotheum erfolgte.
Da also das im Zeitpunkt unserer
Rekla
mation
vorhandene Buch uns nicht zurückgestellt
wurde,
obwohl es vorhanden
war, muss es für uns wie ein ver
lorenes angesehen werden. Der nachträgliche Verkauf, der
nur auf ein Verschulden der Post zurückzuführen ist, kann
uns nicht um unser Recht auf
volle Entschädigung für
eingeschriebene Sendungen bringen. Wir haben deshalb
den uns übersendeten
Verkaufserlös des Buches nur unter
Vorbehalt angenommen und stellen
den
Berufungsantrag,
uns die
Differenz auf die volle Entschädigungsgebühr für
verloren gegangene
eingeschriebene Sendungen zuzusprechen
und zu überweisen.
Verlag „Die Fackel“
Herausgeber: Karl Kraus.