Berliner TageblattDie FackelZur Jessner-HetzeBerliner Tageblatt, 21.12.1926 (Morgenausgabe)


Justizrat
Victor Fraenkl
Berlin W. 57
Potsdamerstrasse 86b
Fernspr. Nollendorf 33


Berlin am 8. März 1927
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Privatklage
des Schriftstellers Karl Kraus,
Herausgeber der Zeitschrift „Die Fackel
in Wien III, Hintere Zollamtsstrasse 3,
vertreten durch den unterzeichneten Anwalt,
gegen
den Schriftsteller Dr. Alfred Kerr
in Berlin-Grunewald Höhmannstrasse 6.


An das AmtsgerichtCharlottenburg.


Der Beschuldigte hat im „Berliner Tageblatt
Nr. 600 vom 21. Dezember 1926 einen Artikel „ZurJessner-Hetze“ veröffentlicht. In diesem Auf
satz heisst es unter III: „Wie‚ auf anderem Feld,
Karlchen Kraus in Wien, der kleine miesse Ver
leumder mit moraligem Kitschton – der einer
heiteren Belichtung nicht entgehen wird.“


Wie der Wortlaut dieses Satzes und sein
Zusammenhang mit der vorhergehenden ergiebt,
handelt es sich hier also um eine öffentlich durch
die Presse begangene Beleidigung gegen den Privatkläger im Sinne der §§ 185, 186, 200, 41 St.G.B.


Der Beschuldigte hat ausser der wörtlichen
Beleidigung in Bezug auf den Privatkläger eine
nicht erweislich wahre Tatsache, die geeignet ist,
ihn verächtlich zu machen und in der öffentlichen
Meinung herabzuwürdigen, behauptet und verbreitet,
indem er ihn bezichtigt hat, zu verleumden.


Unter Überreichung der betreffenden Zeitungsnummer,
sowie der Vollmacht des Privatklägers auf mich be
antrage ich daher,


gegen den Beschuldigten vor dem AmtsgerichtCharlottenburg das Hauptverfahren wegen Ver
gehen gegen §§ 185, 186, 200, 41 St.G.B. zu eröffnen
und den Beschuldigten zu bestrafen.


Ein Sühneversuch ist nach dem Gesetz im vorliegenden
Falle nicht erforderlich.


gez. Victor Fraenkl
Justizrat.


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