Da das Heft
der Neuen Rundschau vergriffen ist,
habe ich mich daran gemacht, den
Aufsatz
abzuschreiben; ich hoffe ihn
noch vor Pfingsten
senden zu
können. Was nun die Erwiderung
Herrn Kerrs im
Berliner Tageblatt betrifft,
so steht es mir als dem
„gewissenhaften Forscher“
nur zu,
mich philologisch zu Authentizität
des von ihm bestrittenen Gedichtes
zu äußern. Aber
vorher muß ich
doch in genauer Kenntnis des
Tatbestandes mit einem Wort dem Staunen
über die ungeheuerliche Frechheit
Ausdruck
geben, die im
Bewusstsein der eigenen Mogelei
von „Fälschungen“ spricht. Ich habe vor mir
drei Bände des „Roten Tag“ (Illustrierte
Ausgabe des „Tag“) mit Hunderten pseu
donymen Kriegsgedichten,
(gezeichnet Gottlieb),
die so deutlich aus der
kriegerisch gesträubten
Feder des
Herrn Kerr
stammen, daß selbst
er gewiß
nicht den Versuch machen kann,
sie abzuleugnen. Es war allgemein
bekannt und ist bis heute von
Herrn
Kerr unbestritten,
daß er in den Jahren 14 bis 17 zahllose Kriegsge
dichte unter dem Pseudonym
„Gottlieb“ im
Roten Tag veröffentlicht hat (wie ja zum
Beispiel auch jenes „Rumänenlied“). Nun,
das
Gedicht von den Masurischen Seen,
dessen Autorschaft er bestreitet,
ist am
9.
September 1914 unter dem Pseudonym
„Gottlieb“ im Roten Tag erschienen. Es
ist gewiß möglich – da ja Herr
Kerr nicht
lügt, sondern nur mogelt, daß er
sein
stadtbekanntes Pseudonym
fallweise jemandem
andern
geliehen hat: aber gewiß muß er
darum die Folgen tragen und zufrieden
sein, wenn man ihm auch jene
Verse zuschreibt,
die unter
seinem Pseudonym und zweifellos
mit seinem Wissen und Willen zur selben
Zeit wie seine eigenen in seiner
Zeitung
erschienen sind. Wenn er noch
wenige Tage
vorher in einem Gedicht „Stallupönen“ (das die
Kerrsche
Provenienz in keinem Worte verleugnet und ebenfalls mit „Gottlieb“ unterzeichnet ist)
die russische Kriegsgefangenen
verhöhnt („Doch
bewahrt das Licht, ihr Leute,
weil sie jeden
Wachsstock
fressen“) so konnte man der
Fühllosigkeit eines hemmungslosen
Herzens
schon jene grausame
Pointe des strittigen
Gedichts
zutrauen, und daß es sprachlich
nicht so tänzerisch war, konnte gegen
die Augenscheinlichkeit des
bekannten
Pseudonyms
„Gottlieb“ nicht beweisen:
hatte
sich doch seinerzeit schon bei der
Prosa herausgestellt, daß Herr Kerr (in
Königsberg) auch anders könne.
Gerne will ich Ihnen, wenn Sie
darauf
noch Wert legen, eine
Auswahl von 40 Gedichten
unzweifelhaft
Kerr’scher
Autorschaft schicken,
die mit dem
Pseudonym „Gottlieb“ gezeichnet
sind. Nicht daß er damals als stärkster
Hetzer für den Krieg war, ist das
Unsaubere
an seinem Fall,
nicht einmal, daß er es
heute mit
frecher Stirn ableugnet und so
tut, als habe er immer schon den „Krieg
der Besten gegen die
Bestien“ propagiert.
Aber die Art seiner damaligen
Kriegsglossierung
die
wie er
(in Gesellschaft der Herrn Bloem,
Nordhausen, Otto Ernst und vieler andrer)
wöchentlich
ein- bis zweimal
die Ereignisse satirisch oder
lyrisch betrachtet hat: die Unmenschlichkeit
der immer paraten Pointe, die
Unerlebtheit
der witzigen
Anschauung, die Schnoddrigkeit
eines gereiften Intellekts, der
einen Hymnus
dichtet, wenn
Ersatznahrungsmittel aus Stroh
erfunden werden, unablässig in heiteren Verschen
für die Kriegsanleihe wirbt
(„Hier wird
keine Pleite grinsen“)
und von Cadornas
Wetter bis zu
John Bulls Krämergeist über
dem
Blutmeer der Schlachtfelder durch fast
vier Jahre vergnügt den Geist der
Münchener
„Jugend“ schweben ließ. –