44.B.222.27.
In der Privatklagesache Kraus gegen Kerr wird auf den gegnerischenSchriftsatz vom 29.
April 1927 Folgendes erwidert:
a) Ueber die Frage der von
dem Angeklagten behaupteten „sofortigen
Erwiderung“ und
über seine Inanspruchnahme des § 193 StGB. wird in
der Hauptverhandlung das
Erforderliche darzulegen sein.
b) Es ist richtig, dass in
Heft
735 bis 742 vom Anfang Oktober 1926
der Privatkläger sich mit dem Angeklagten beschäftigt hat. Dieser
will nun das Heft
erst unmittelbar vor Veröffentlichung des Jessner-Artikels gelesen haben. Seine Behauptung kann indessen nicht
als glaubhaft gelten. Vorher
war in der„Fackel“ (April
1926) ein
Aufsatz
über ihn unter dem Titel „Kerr in Paris“ erschienen. Hierauf
erwiderte er in einem Artikel, aus dem ein Abdruck sich
S.
78 der Oktobernummer der
„Fackel“ befindet. Darin kündigt
der Angeklagte einen
Angriff gegen Kraus an. Dass dieser das nicht unbeachtet
lassen würde
konnte und
musste der Angeklagte wissen, und er wäre
wahrlich der
erste Publicist,
der eine erwartete Polemik nicht sogleich nach Er
scheinen durchläse.
c) Der Angeklagte macht geltend, das Wort „Verleumder“ nicht im
Sinne
des § 187 StGB., sondern lediglich als übliche Bezeichnung für
bös
artige
Beleidigung verwendet zu haben. Es geht aber nicht an, sei es
dass man den Ausdruck im
Sinne des Gesetzes, oder in einer üblichen
Bezeichnung gebraucht, das
Merkmal „wider
besseres Wissen“ aus dem
Begriffskomplex
auszuschneiden. Dass jedoch die dem Angeklagten
in
dem Aufsatz „Ein
Friedmensch“ gemachten Vorwürfe nicht nur nicht
wider besseres Wissen
erhoben wurden, sondern wahre Tatsachen be
richten, ergiebt sich schon
daraus, dass lediglich Zitate aus Schriften
des Angeklagten selbst zur Begründung herangezogen werden.
d) Zu dem, was der Angeklagte in III. der Klagebeant-
wortung über sich
selbst vorbringt, sei zunächst Folgendes erklärt:
Jeder Leser seines von ihm
herangezogenen Artikels in der „NeuenDeutschen
Rundschau“ und der in der „Fackel“ citierten „Gedichte“
kann über den Karakter der
Absicht, für sich durch die Weckung nati
onaler Gefühle Stimmung zu
machen, nicht im Unklaren sein.
Eine Legitimation des Angeklagten zur Versöhnung der Nationen würde
nur dann bestehen, wenn er
in jener Zeit, unbeschadet der Stellung
nahme für sein Land, sich
nicht derartig gegen die anderen
Nationen gestellt hätte.
Selbst wenn man bei ihrer
Glorificierung des Krieges anderen Per
sönlichkeiten, z.B. Gerhart Hauptmann oder Dehmel, der im Gegensatz
zum Angeklagten den Krieg in vorderster Linie mitgemacht hat,
noch
die Unkenntnis der
wahren Kriegsgründe und des verderblichen Ein
flusses der Presse zugute
halten könnte, so ist dies gegenüber dem
Angeklagten schon wegen der Form seines Eintretens für das
Völker
morden
unmöglich; schon wegen dieser Form ist er als Kriegshetzer zu
bezeichnen. Die
Ausdrucksweise eines Friedensfreundes ist selbst bei
stärkstem Einsatz für das
eigne Volk in der von dem Angeklagten ge
übten
Beschimpfung der anderen Länder undenkbar. Es sei vorläufig nur
auf die in der „Fackel“ abgedruckten „Gedichte“ S.
81 „Das
Rumänenlied“, S. 82 „Der Russeneinfall“, S.
83 und S. 85 die beiden „Gedichte“
aus dem „Tagebuch eines Hirnwesens“, S. 86 „Stallupönen“, S. 88 „Chronik“
S. 91 „Englischer Gefechtsbericht“ verwiesen. Der Versuch des Angeklagten, speziell die
Reime aus dem „Tagebuch eines
Hirnwesens“ als Ab
lehnung einer Stellungnahme
für den Krieg zu bezeichnen, muss schon
deshalb zurückgewiesen
werden, weil er ja solche und noch viel üblere
„Gedichte“ im damaligen sog.
Roten Tag veröffentlicht hat,
ohne eine
derartige
Stellungnahme abzulehnen; im Gegenteil, er hat sie sogar
durch die Erklärung des
Pseudonym „Gottlieb“ als „dem Schlachten-
Gotte lieb“ in
ihrer Tendenz eindeutig als gottgefällig hingestellt.
Und wenn sich der Angeklagte auch gegen eine Anzahl von
Zeitungschlag
worten z.B. „Felonie des Zaren“
oder „Belgische Niedertracht“ in dem
„Kriegsbuch eines Hirnwesens“ wendet, so hat
gerade er ähnliche Schlag
worte in den „Gedichten“ in
noch krasserer Art gebraucht, und zwar viel
später als im
September 1914, wo solche Redewendungen noch eher auf die
ersten Anstürme der
Kriegsverwirrung zurückgeführt werden konnten.
Wenngleich also der Angeklagte die beiden „Gedichte“ in dem
„Kriegsbuch eines Hirnwesens“ mit der Bemerkung
„es
geht nicht“
versieht, so zeigt er doch durch ihre und vieler anderer
Veröf
fentlichung, dass es doch gegangen ist. Er giebt ja zu, eine
Anzahl „Kriegsgedichte“
publiciert zu haben. Da er weiter ein
räumt, er habe nur die
„Gedichte“ in die Sammlungen aufgenommen,
die geeignet erschienen
seien, so anerkennt er den Standpunkt,
dass er eine Anzahl
geschrieben habe, die bei der Ueberprüfung
nach seiner eignen Meinung
seinem nachträglichen Standpunkt zum
Krieg zu widersprechen
schienen. Er hat von sicher mehr als hundert
zwei oder drei seiner
Sammlung einverleibt, die überwiegende Mehr
zahl also abgelehnt.
Selbstverständlich konnten diese letzteren nur
dem Stil nach agnosciert
werden, und es wäre immerhin nicht ganz
ausgeschlossen, dass eines
der in der „Fackel“
wiedergegebenen
„Gedichte“ von einem anderen, sich auch „Gottlieb“ nennenden Ver
fasser herrühre. Es ist dies
indessen kaum wahrscheinlich, da der
Privatkläger die Agnoscierung teilweise schon vor längerer
Zeit
vorgenommen hat,
insbesondere derjenigen „Gedichte“, die besondere
Widerlichkeiten enthalten,
ohne dass der Angeklagte berichtigt hät
te, er sei nicht
der Autor. Ferner muss sich füglich jemand, der unter
einem Sammelnamen
publiciert, gefallen lassen, dass er mit den Arbeiten seiner
Mit
schuldigen
belastet wird, so lange er nicht eine reinliche Schei
dung vornimmt. Bei einer
solchen würde aber der Angeklagte wohl am
schlimmsten davonkommen, wie
bereits die sicher zu agnoscierenden
Reime erweisen.
d) Im Hinblick auf den
Inhalt des „Kriegsbuch eines
Hirnwesens“
sei
gefragt: Welche Berechtigung hat jemand gegen den Krieg
Stellung zu nehmen, der
seiner vom ihm behaupteten Vaterlandsliebe
mit den Worten Ausdruck
verleiht „bis zum letzten Wurf Speichel“?
Ist das Bekämpfung der
Gegner oder nur Beschimpfung? Und wie die
Friedensanschauung des Angeklagten aussah, beweist schlagend Abs.
25. Dort enthüllt sich der
Friede des Herrn Kerr als eine Abrech
nung, ein
dreissigjähriger Krieg im Frieden, der erst der Weltkrieg
sein wird.
e) Die in VI der Klagebeantwortung aus S.
77 Zeile 9 und 10 der
„Fackel“ citierte Stelle ist sowohl dem Wortlaut nach als auch
sachlich unrichtig
wiedergegeben. Es steht dort nicht und läuft
auch nicht dem Sinne nach
darauf hinaus, dass dem Angeklagten vor-
geworfen werde, er habe den
deutschen Botschafter nur deshalb zu den
„Wertvollen“ gezählt,
weil er von dessen Weinen getrunken habe. Viel
mehr soll der Stil des Angeklagten, der Hoesch als Künstler ansprechen
will und dies in der Weise
tut, dass er von ihm aussagt, er fühle et
was von unseren (also Kerr’s) Saft in seinen Adern, gebührend
gekenn
zeichnet werden.
f) Der Angeklagte behauptet, der Privatkläger habe gewusst, dass er,
Herr Kerr, sich freiwillig zum Eintritt in den Heeresdienst
gemeldet
habe, aber
abgelehnt worden sei. Nun schreibt der Angeklagte selbst im
Abs. 9 des „Kriegsbuchs eines
Hirnwesens“: „Als ich im zweiten Gesuch
von meiner mittleren
Schiessfähigkeit sprechen will, im Kahn und im
Walde zur Not bewährt,
stockt etwas in mir; ich schreibe den Satz nicht
hin. Menschenköpfe.
Setze dafür die Mitteilung, dass ich französisch
wie ein Franzose
sprechen und schreiben kann.“ Dem Privatkläger war
es
wirklich bekannt, dass der Angeklagte sich als
Dolmetscher
gemeldet hat!! Eben das ist
es, was ihm vorgeworfen wird: Dass er für
Krieg und Kriegstaten in der
blutrünstigsten Ausdrucksweise eintritt,
ohne sich selbst einer
Gefahr auszusetzen!!!!
g) Es wird für die
Hauptverhandlung der Antrag vorbehalten, noch andere
„Kriegsgedichte“ des Angeklagten zur Verlesung zu bringen.
Ebenso wird vorbehalten, aus
Aufsätzen und sonstigen Aeusserungen be
deutender deutscher
Schriftsteller Urteile und Meinungen über den Angeklagten, die sich von der Auffassung des Privatklägers nicht unter
scheiden, vorzutragen und
andererseits aus Artikeln anderer Männer dar
zutun, welches Ansehen der
Privatkläger geniesst, der der Angeklagte
einen „kleinen
miessen Verleumder mit moraligem Kitschton“ zu nennen
unternommen hat!