Die neue Rundschau 25, Heft 9 (1914)Aus dem Kriegsbuch eines HirnwesensBerliner TageblattErinnerung an ParisDie Fackel


BERLIN-CHARLOTTENBURG 2, DEN 23.6.1927.
H/Be


Schriftsatz
und
Widerklage
in Sachen
Kraus
./.
Kerr
44 B. 222/27.


An das
Amtsgericht,Charlottenburg.


I.


Auf den Schriftsatz des Privatklägers
vom 17. Juni 1927 wird folgendes erwidert:


Zu b): Der Angeklagte hat in einem
Schriftsatz dargelegt, dass er den Angriff
des Privatklägers auf ihn erst unmittelbar,
bevor er selbst auf dessen Beleidigungen ant
wortete, kennen gelernt hat. Der gegnerischeSchriftsatz bestreitet dies mit der Begründung,
dass Angeklagter einen Angriff des Privatklägers
zu erwarten gehabt habe, somit schon früher
dessen Artikel gelesen haben müsse. Dagegen
ist folgendes festzustellen:


Der Angeklagte hat (im „Berliner Tageblatt
in einem Aufsatz „Erinnerung an Paris“) bei
gelegentlicher Abwehr von unrichtigen Behaup
tungen des Privatklägers nicht einen sofortigen


„Angriff“ in Aussicht gestellt – sondern die ziemlich
allgemein gehaltene Aeusserung getan: „Man muss ihn wieder
mal vornehmen.“ Der Angeklagte brauchte keineswegs zu ver
muten, dass der Privatkläger hierauf reagieren würde, ehe
noch das „Vornehmen“ erfolgt wäre, welches ganz beiläufig
ohne Zeitangabe als etwas Angebrachtes bezeichnet wurde.
Wenn der Privatkläger vom Angeklagten sagt, dieser „wäre
wahrlich der erste Publizist, der eine erwartete Polemik
nicht sogleich nach Erscheinen durchläse“, so schliesst
er wohl von sich auf den Angeklagten. Bei diesem bestand
keinerlei Spannung auf das nächste Heft der „Fackel“,
die er nicht zu lesen pflegt. Da nämlich der Privatkläger
sich gewohnheitsmässig und dauernd in Angriffen betätigt,
die von den Angegriffenen meist ignoriert werden, so ist bei
denen, die diesen Zustand zu würdigen wissen, die Neugier
auf das nächste Heft der „Fackel“ recht gering. Wahr ist
(und der Angeklagte versichert es nochmals für seinen Fall),
dass ein in Berlin durch eigne Arbeit stark beschäftigter
Mensch nicht einmal erfährt, wann die (unregelmässig er
scheinende!) „Fackel“ ein neues Heft herausgebracht hat.


Zu d): Tatsächlich unwahr ist die Behauptung des
Privatklägers, der Angeklagte habe seine „Stellungnahme …
sogar durch die Erklärung des Pseudonyms ‚Gottlieb‘ als
‚dem Schlachten – Gotte lieb‘ in ihrer Tendenz eindeutig
als gottgefällig hingestellt“. Wahr ist vielmehr, dass diese
Aeusserung aus der Feder des Privatklägers stammt, während
dieser sie fälschlich dem Angeklagten unterschiebt, der
sie nie und nirgends getan hat.


Privatkläger hat kein Recht, die Gedichte des Angeklagten als Kriegshetzerei deshalb zu bezeichnen, weil sie
nicht immer pathetisch, sondern häufiger derb-drastisch
sind. Die Satire war bei der damaligen Sachlage eines der
Mittel zur Abwehr.


Der Privatkläger zieht auch falsche Folgerungen aus der
Nichtaufnahme von Gedichten des Angeklagten in eine spätere
Sammlung. Denn erstens sind auch solche Gedichte, die vom
Privatkläger wegen ihres Inhalts getadelt werden, in eine
spätere Gedichtsammlung aufgenommen worden. Zweitens
sind natürlich die meisten solcher Gedichte nur für einen
bestimmten Augenblick aktuell. Drittens werden oft künstle
rische Bedenken gegen das aus dem Stegreif Geschaffene
massgebend.


Die Aeusserung des Angeklagten, nach dem Frieden werde
eine Abrechnung kommen, ein Dreissigjähriger Krieg im
Frieden, bezog sich nach Wortlaut und Zusammenhang auf
eine Abrechnung mit den am Kriege Schuldigen, nimmt also
auch hier schon, im Kriege, gegen den Krieg Stellung.


Zu e): Privatkläger hatte geäussert, der Angeklagte
hätte den deutschen Gesandten in Paris, Herrn v. Hoesch,
für wertvoll erklärt, weil er von dessen Weinen zu trinken
bekäme. Unglaubhaft ist die jetzige Deutung, dass hiermit
nur der „Stil“ des Angeklagten gekennzeichnet werden sollte.
Vielmehr steht der beleidigende Satz des Privatklägers
in einer Reihe mit den vorangegangenen Behauptungen des
Privatklägers, Angeklagter sei anderen Staatsmännern aus
unsachlichen Beweggründen „hineingekrochen“.


Zu f): Der Privatkläger behauptet, Angeklagter habe
sich bei seiner freiwilligen Meldung nur als Dolmetscher
angeboten. Der Privatkläger zitiert zur Begründung den
Satz:


„Als ich im zweiten Gesuch von kleiner mittleren
Schiessfähigkeit sprechen will, im Kahn und Walde
zur Not bewährt, stockt etwas in mir; ich
schreibe den Satz nicht hin. Menschenköpfe.
Setze dafür die Mitteilung, dass ich französisch
wie ein Franzose sprechen und schreiben kann.“


Dies bezog sich also auf die zweite freiwillige Meldung
des Angeklagten. Der Privatkläger wusste jedoch (aus dem
selben Aufsatz in der „Neuen Rundschau“) von der dort
erwähnten ersten Meldung des Angeklagten und von ihrem
Wortlaut:


„Der Unterzeichnete meldet sich hiermit freiwillig
zum Eintritt in das Heer. Er ist Landsturm
mit Waffe, von Beruf Schriftsteller. Körperlich
gewandt usw. Er möchte nicht bis zu seinem
späten Aufgebot warten – und bittet ihn anzu
nehmen.“


In diesem ersten Gesuch meldet sich also Angeklagter
bedingungslos zum Eintritt ins Heer als Soldat (was
schon die Worte „körperlich gewandt“ erweisen); nicht als
Dolmetscher. Auch Dolmetscher sind übrigens gefährdet.
Erst nachdem Angeklagter nicht als Soldat angenommen war,
stellte er das zweite Gesuch. (die amtlichen Belege für
die freiwillige Meldung werden dem Gericht überreicht
werden).


Zu g): Der Privatkläger behält sich nach seiner Erklä
rung vor, Gutachten gegen Angeklagten und für sich zu
erbringen. Demgegenüber behält sich Angeklagter vor,
Gutachten gegen Kraus, aber nicht für sich zu erbringen.


II.


Widerklage.


Wegen der vom Privatkläger gegen Kerr gebrauchten
Ausdrücke, die vor Kerrs Erwiderung in der „Fackel
standen (Schamfreiheit. – Vergleich mit einem Pavian. –
Vorkämpfer überalterter Schmierigkeit. – Brechreiz. –
Jemandem hineinkriechen. – Lausi. – Häuferl Dreck. –
Erwischter Schwindler. – An den Pranger gestellt. – Freche
Farce. – Begriffsmogler. – Ordinärheit. – Unflat. – Er habe
Kerr einen Tritt versetzt usw.) war eine Widerklage wegen
Eintritt der Pressverjährung nicht möglich.


Im jüngsten Heft der „Fackel“ vom Juni 1927, das
Angeklagter infolge des gegnerischen Schriftsatzes sich
beschafft hat, und das in Berlin durch die Post vertrieben
wird, auch in verschiedenen Buchhandlungen zu kaufen ist,
werden die Kritiken des Angeklagten als „Fürze“ bezeichnet
(S. 49), er selbst in höhnischer Absicht als „Mosses
Eintänzerich“ (S. 53). Wegen dieser zwei Aeusserungen
wird hierdurch Strafantrag gestellt und Widerklage
erhoben, mit der Anschuldigung,


dass Privatkläger den Angeklagten zu
Berlin im Juni 1927 durch Verbreitung von
Druckschriften beleidigt hat. (Vergehen gegen
§§ 185, 200 St.G.B.)


Es wird beantragt,
das Hauptverfahren auf die Widerklage zu
eröffnen.


Die Rechtsanwälte
Wolfgang Heine und Dr. A. Karger,
durch:
Wolfgang Heine
Rechtsanwalt


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