Berliner Tageblatt, 24.4.1926Berliner TageblattErinnerung an ParisDie Fackel


Sehr geehrter Herr Justizrat!


Ich übersende Ihnen den Schriftsatz und Widerklage vom 23./6.1927 und den Schriftsatz vom 21./7.1927.


Was den ersteren Schriftsatz betrifft, so muss
ich leider zugeben, dass mir bei Abfassung der Information insoferne
ein Irrtum unterlaufen ist, dass ich die Deutung des Pseudonyms
„Gottlieb“ ‚als dem Schlachtengotte lieb‘, aus Seite 91 des Oktoberheftes1926 der „Fackel“, Herrn Kerr zuschrieb, was Herr Kraus bei Durch
sicht meines Briefes an Sie übersehen hat, während die Deutung und
Verwertung in dem satirischen Gedicht Herrn Kraus zuzuschreiben ist.


Sonst sind ja die meisten Punkte des Schriftsatzes vom 23./6.1927 in meiner ersten Information bereits behandelt.
Ich übersende Ihnen jedoch, damit Sie das Material vollständig haben,
zwei Abschriften des Aufsatzes Kerr’sErinnerung an Paris“, welcher
im „Berliner Tageblatt“ am 24. April 1926 erschienen ist. Dies beson
ders aus dem Grunde, damit das Gericht sich selbst ein Urteil bil
den kann, ob die Bemerkung über Hoesch, auf Seite 8 der Abschrift,
zu der Verspottung Berechtigung gab, indem man das Wort „Saft“ eben
so deutete, wie es Herr Kraus getan hat und besonders zur Beurteilung
des Punktes XIX, auf Seite 11 der Abschrift, ob Herr Kerr darnach
erwarten konnte, dass auf diese Stelle von Herrn Kraus nicht rea
giert werden würde.


Ferner übersende ich Ihnen zwei Exemplare des JuniHeftes der „Fackel“, aus der zwei Aeusserungen zur Widerklage be
nützt wurden.


Was nun die Frage der Zuständigkeit des Berliner Gerichtes für die Widerklage betrifft, so kann ich dagegen gewiss nicht
Stellung nehmen. Ich habe übrigens schon in meinen ersten Schreiben
an Sie darauf hingewiesen, dass im österreichischen Rechte eine Be
stimmung existiert, dass für alle durch ein Druckwerk begangene Hand
lungen als Tatort der Ort gilt, wo das Druckwerk erschienen ist, wenn
aber dieser Ort unbekannt oder im Auslande ist, als Tatort der Ort
gilt, wo das Druckwerk verbreitet worden ist. Es wäre ja nur die Frage
ob die mir zitierten Paragraphe der Strafprozessordnung, trotz Fehlens
einer derartigen Bestimmung im deutschen Rechte, doch die Zuständig
keit schaffen würden. Die Argumentierung, dass Kraus auch Verleger sei
und dass die Verbreitung der Druckschrift in Deutschland mit seinem
Wissen und seiner Kenntnis erfolge, halte ich nicht für ganz zutref
fend, weil nach § 21 des P.G. eine subsidiäre Haftung für den verant
wortlichen Redakteur, Verleger, Drucker und Verbreiter, soweit sie nicht
als Täter oder Teilnehmer zu bestrafen sind ausgesprochen ist, wenn
diese Personen nicht einen Täter namhaft machen, welcher in dem Bereich
der richterlichen Gewalt eines deutschen Bundesstaates sich befindet.
Würde die Ansicht der Anwälte des Herrn Kerr’s richtig sein, dass
die Verantwortlichkeit vor dem deutschen Gericht schon damit entsteht,
dass ein im Auslande lebender Täter am Erscheinen oder Verbreiten
in Deutschland beteiligt ist, so könnte es nie zu dieser subsidiären
Haftung des § 21 des P.G. kommen. Allerdings bitte ich Sie, diese
Rechtsansicht nur als laienhafte zu betrachten, da mir die deutschen
Gesetze viel zu wenig vertraut sind. Wenn Sie noch irgend welche
Auskünfte wünschen, so bitte ich Sie, mir dies mitzuteilen.


Ich zeichne mit vorzüglicher kollegialer
Hochachtung


6 Beilagen.


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