Sehr geehrter Herr Justizrat!
Ich schreibe Ihnen erst heute,
da es für mich
sehr schwer war,
in dieser Sache zu einer Entscheidung zu gelangen.
Ich muss Ihnen leider mitteilen,
dass der vorläufige Ausgang des
Prozesses Herrn Kraus nicht befriedigt hat. Es
scheint erst jetzt
aus Ihrer
Stellungnahme hervorzugehen, dass Sie die Widerklage für
eine ernstzunehmende, ja
gleichwertige Chance der gegnerischenSeite halten, während wir
auf Grund Ihrer Schreiben der Meinung
waren, dass Sie die Kompetenz des
Berliner Gerichtes gar nicht als
gegeben erachteten. Trotz dieser
unbestreitbaren Schwierigkeit
könnte aber Herr Kraus in einer Sache, die er von
allem Anfang an
als eine
kulturpolitische Angelegenheit angesehen und in wahrem
Sinne des Wortes „in Angriff“
genommen hat, einer Erledigung nicht
zustimmen, die auch nur im
geringsten den Anschein eines solchen
„Vergleiches“ herbeiführen
könnte, der auf der Gegenseite die
Hoffnung oder gar Erwartung eines
Abschlusses auch im publizistischen
Sinne erwecken würde.
Wenn infolge der (hauptsächlich
durch die klare Ver-
zögerungstaktik des Gegners bewirkte Ueberwucherung der Prozess
materie die Führung
dieser höchst wichtigen Angelegenheit vor einem
fremden Gerichtsforum sich
überhaupt als untunlich herausstellt, so
wäre es ja diskutabel, die Klage
fallen zu lassen, selbst ohne Rück
sicht darauf, ob der Gegner desgleichen tut. Es könnte daher umso
mehr auch einem
solchen Abschluss zugestimmt werden, wonach die
beiden Klagen fallen gelassen
werden, in der Art, wie Sie auf den
gegnerischen Vorschlag vorläufig
eingegangen sind; und darin allein
wäre gewiss noch kein „Vergleich“ zu erblicken. Wenn aber, freilich
ohne dass es abgemacht war – da
ja keine Erklärungen ausgetauscht
wurden –, doch in der Gegenseite die Erwartung
geweckt wäre, dass
damit auch die
Materie als solche aus der Welt geschafft sei, also
in der gegenteiligen Erfahrung
hinterher eine Enttäuschung erblickt
wurde, aus der der Vorwurf der
Illoyalität erwachsen könnte, so
dürfte man auf die vorgeschlagene Erledigung keineswegs eingehen. Es
wäre demnach unerlässlich, der
Gegenseite in einer Ihnen überlasse
nen Art und Form klar und
motiviert bekanntzugeben, dass kein
Friedensschluss im moralischen
Sinn sondern lediglich eine prozes
suale Abschliessung vorliegt, aus
dem Grunde, weil ein Ende des
Prozesses infolge des unaufhörlichen Wechsels von Schriftsätzen
nicht abzusehen ist und schon
darum das Gerichtsforum zur Behandlung
der so angewachsenen
ungewöhnlichen Materie nicht mehr geeignet er
scheint. In Wahrheit bedeuten ja
allein schon die kostbaren deutsch
nationalen Schriftsätze des Herrn
Kerr eine so wertvolle Prozesser
ledigung im geistigen Sinne, dass
man auf die andere, welche ja
diese nur vorzögern würde, recht wohl verzichten kann. (Nebenbei
weise ich darauf hin, dass die
phantastische Plagiatbeschuldigung
in dem letzten Lügenstück von einem Schriftsatz wiederholt und so
drollig mit dem berühmten Lichtenberg-Zitat von dem Kopf und dem
Buch komplettiert wurde.) Wenn
der Gegner auf Ihre Mitteilung hin
die von ihm vorgeschlagene
Prozesserledigung bedauert, so wäre er
trotz seiner offenbaren Bindung
im juristischen Sinne augenblick
lich unsererseits von dieser zu
befreien und der Prozess müsste
weitergehen. In diesem Falle würde ich Sie – mit der gleichzeitigen
Uebermittlung des Ausdruckes
allerbesten Dankes des Herrn Kraus für
Ihre so freundlichen Bemühungen –
bitten, mir offen zu sagen, ob Sie
die Fortführung nicht allzusehr belastet. Es ist ja durchaus einzu
sehen, dass Ihnen diese Materie,
deren Wichtigkeit als Leser der
„Fackel“ Sie ganz gewiss ermessen,
zwar nicht „über den Kopf“, aber
vielleicht über die Nerven und über Ihre Zeitmöglichkeiten hinaus
wachsen könnte. Wir sind auch
darüber unterrichtet, dass sich der
gegnerische Vertreter in einer allerdings für den eigenen Klienten
nicht gerade schmeichelhaften
Art vor Gericht über die Unwichtigkeit
der Materie ausgelassen und die
Angelegenheit gleichsam als Literaten
gezänk bagatellisiert hat, was
auch aus dem infamen Bericht des
„Vorwärts“ hervorgeht. Herr Justizrat Heine soll sich darauf berufen
haben, dass er sich in dieser
Auffassung mit Ihnen verständigt habe,
was wir aber bei Ihrer Kenntnis
der „Fackel“ selbstverständlich nicht
glauben, indem wir Ihre
Zustimmung zu einem gerichtlichen Abschluss
lediglich auf Erwägungen
juristischer Zweckmässigkeit zurückführen.
Ich möchte Sie nun für den Fall,
dass der Prozess nach der erbetenen
Aufklärung des Gegners weitergehen sollte, ersuchen, mir freundlich
bekanntzugeben, wie Sie sich
Ihrerseits persönlich dazu stellen,
und ob es Ihnen nicht eine
Erleichterung wäre, die Sache einem
Kollegen zu übertragen, von dem
Sie vermuten können, dass er in
Ihrem Sinne die gerichtliche Stigmatisierung der Kriegstätigkeit
des Herrn Kerr als eine Kulturaufgabe betrachtet, die über die
Masse einer kleinen
Privatbeleidigungssache sichtbar hinausreicht,
und der nicht durch andere
wichtige und gewiss akut noch wichtigere
Aufgaben, die Sie selbstlos
erfüllen und von denen Herr Kraus mir
mit grösster Anerkennung erzählt
hat, belastet ist.
Ich zeichne, Ihrer Antwort
entgegensehend,
mit
ergebener kollegialer Hochachtung
P.S. Es würde mich sehr
interes
sieren
zu erfahren, ob die Unterstreichungen
auf dem letzten Schriftsatz von Ihnen oder
von der Gegenseite oder vom Gericht herrühren,
und ich bitte Sie auch um eine freundliche
Mitteilung hierüber.
Sollten Sie noch
irgendwelche Aufklärungen be
nötigen, so wäre eine
telefonische Aussprache
am
besten. Ich bin, ausser Samstag, täglich zwischen
1/2 4 und 6 Uhr sicher zu
erreichen. Meine Telefon
Nummer 68-2-62.