Sehr geehrter Herr Kollege!
Ich habe in der Literatur
und in den
Entscheidungen
Anhaltspunkte für die Erstattung des verlangten
Rechtsgutachtens gesucht,
aber keine gefunden. Mein Rechtsgutachten
entspringt daher meiner
eigensten persönlichen Meinung.
Die Tatsache, dass die Fackel im Bezirke des
Landgerichtes I Berlin vertrieben wird, die Drohungen
mit der Ver
öffentlichung also im Bezirke des angerufenen Gerichtes erhoben
wurden und voraussichtlich im Bezirke dieses Gerichtes vertrieben
werden soll, begründet keinen Gerichtsstand in Berlin. Auch
nach
österreichischem
Rechte würde ein solcher Gerichtsstand nicht ge
geben sein. Der Kläger scheint an den § 32
D.Z.P.O. zu denken.
Eine ähnliche Bestimmung fehlt in der Oesterr. Z.P.O. Der Gerichts
stand wäre vielleicht
gegeben, wenn die Veröffentlichung bereits
erfolgt wäre. Dann könnte
man von einer unerlaubten Handlung spre
chen. Es wäre aber immerhin
noch fraglich, ob diese unerlaubte
Handlung auch im Bezirke des
Landgerichtes I Berlin begangen wurde,
da doch der Erscheinungsort
der Fackel
Wien ist. Ferner ist ja jetzt
noch nicht sicher, dass
diese Veröffentlichung als Sondernummer der
Fackel erfolgen wird, sie könnte auch als Buch erscheinen,
die Be
stimmung
des § 36 oest. Pressgesetz, dass als Tatort einer durch eine
im Ausland erscheinende
Zeitung begangenen strafbaren Handlung der
Ort gilt, wo das Druckwerk
verbreitet worden ist, kann für das Zi
vilverfahren nicht
angewendet werden. Ich finde auch keine ähnliche
Bestimmung im deutschen
Gesetz, welches nach meinem Dafürhalten für
die Zuständigkeit allein in
Frage kommt.
Zweifelhafter erscheint mir
die Rechtsfrage,
ob der
Vermögensgerichtsstand gegen Karl Kraus in Berlin gegeben
ist. Die Fackel wird, wie meine Erkundigungen aber
ergaben, in
Deutschland durch
die Firma K.L. Köhler in Leipzig an die
einzelnen
Buchhändler
geliefert, die Fakturen im Namen des Verlags der
Fackel
ausgestellt
und eventuelle Zahlungsrückstände in dessen Namen ge
richtlich eingefordert. Da
Herr Kraus allein Inhaber der prot. Firma
Karl Kraus
Verlag der Fackel ist, ist es zweifellos,
dass er For
derungen in Berlin besitzt und dass daher eine Voraussetzung für den
Gerichtsstand des Vermögens
vorhanden wäre, nicht aber die zweite
Voraussetzung, da nach § 23 der D.Z.P.O. die Zuständigkeit nur wegen
„vermögensrechtlicher
Ansprüche“ gegeben wird. Die vorliegende Klage
kann nur im Punkt 1 des
Klagebegehrens als vermögensrechtliche be
zeichnet werden, nicht aber
im Punkt 2 und 3. Die Veröffentlichung
von Gedichten unter dem
Namen eines Mannes, der sie nicht verfasst
hat, ist kein Eingriff in
seine Vermögensrechte, die Veröffentlichung
seiner eigenen Gedichte, die
unter einem Pseudonym erschienen sind
unter dem wirklichen Namen
des Verfassers gleichfalls nicht. Es lie-
gen hier nur Eingriffe in
ein sogenanntes Persönlichkeitsrecht vor.
Der Vermögensgerichtsstand
wäre also nur dann gegeben, wenn das
Klagebegehren lediglich
dahin lautete, dass der Beklagte zu unter
lassen habe,
Gedichte des Klägers zu vervielfältigen und die
einzel
nen
Exemplare der Vervielfältigung gewerbsmässig zu vertreiben. Dies
ist ein vermögensrechtlicher
Anspruch. Da aber hier vermögensrecht
liche und nicht
vermögensrechtliche Ansprüche in einer Klage vereinigt
sind, die Zuständigkeit
daher nicht für alle Ansprüche gegeben wäre,
müsste nach meinem
Dafürhalten, so lange das Klagebegehren in seiner
Gesamtheit aufrechterhalten
bleibt, die Nichtzuständigkeit angenom
men werden.
Ob die einstweilige
Verfügung oder das Urteil
über die österreichischen Grenzen hinaus wirkt, halte ich für den
Prozess für bedeutungslos
und glaube nicht, dass das Gericht auf
eine
solche Frage
überhaupt eingehen kann und wird. Wenn österreichische
Hoheitsrechte durch das
Urteil verletzt würden, könnte eben die
Vollstreckung in Oesterreich
inhibiert werden. Dies geschieht aber
nur dann, wenn noch den
Gesetzen des Vollstreckungsstaates ein
ausschliesslicher
Gerichtsstand für Rechtsstreitigkeiten dieser Art
besteht, oder wenn durch die
Zwangsvollstreckung ein Rechtsverhält
nis zur Anerkennung oder ein
Anspruch zur Verwirklichung gelangen
soll, dem im Gebiet des
Vollstreckungsstaates aus Rücksichten der
öffentlichen Ordnung oder
der Sittlichkeit die Gültigkeit, Verfolg
barkeit oder Klagbarkeit
versagt ist. Die Vollstreckbarkeit in
Oesterreich wäre aber auch
dann ausgeschlossen, wenn sich der Beklagte auf den
Rechtsstreit nicht eingelassen hätte und ihm die
Ladung oder die Verfügung,
durch die das Verfahren eingeleitet
worden war, lediglich im
Wege der Ersatzzustellung oder der öffent
lichen Zustellung zugestellt
war, ferner, wenn für die Entscheidung
des erkennenden Gerichtes lediglich der Gerichtsstand des
Vermögens
gegeben war.
Auf Grund des Vermögensgerichtsstandes in Deutschland
gefällte Urteile sind also
in Oesterreich überhaupt nicht voll
streckbar, so dass also
damit schon der Verbreitung der Fackel in
Oesterreich auf Grund des
deutschen Urteils kein Hindernis im Wege
stünde. Ueberdies sind
Arreste und einstweilige Verfügung im Rechts
hilfevertrag von der
Vollstreckbarkeit auf Grund der Gegenseitig
keit überhaupt ausgenommen.
Auf Grund des
österreichischen Urheberrechts
gesetzes ist ebenso wie auf
Grund des deutschen Urheberrechtsge
setzes die Veröffentlichung
und Vervielfältigung verboten und straf
bar, ebenso auch die
Veröffentlichung eines Literaturwerkes unter
einem falschen Namen. Zu
operieren ist also im vorliegenden Falle
nicht damit, dass das, was
Herr Kraus in der Fackel angekündigt hat,
nach österreichischem Rechte
erlaubt wäre, sondern, dass Herr Kraus
selbstverständlich den
Abdruck nur so weit geplant hat, als er im
Gesetze zulässig ist. Das
österreichische Urheberrechtgesetz kennt,
und zwar in einem etwas
weiteren Ausmass als das deutsche das
Zitierungsrecht. Nach § 25 Absatz 2 des österreichischen Urheber
rechtgesetzes ist als
Nachdruck nicht anzusehen „die Aufnahme ein
zelner
erschienener Werke in einem durch den Zweck gerechtfertigten
Umfang in ein grösseres
Ganzes, wenn sich dieses nach seinem Haupt
inhalt als selbständiges
wissenschaftliches Werk darstellt“. Nach
§ 19,
Absatz 2 des deutschen Urheberrechtgesetzes könnten nur ein
zelne Gedichte in
eine selbständige wissenschaftliche Arbeit aufge-
nommen werden. Nach
österreichischem Rechte unterliegt die Anzahl
keiner wie immer gearteten
Beschränkung. Es ist selbstverständlich
niemals die Absicht des
Herrn Kraus gewesen, einen blossen Ge
dichtband
herauszugeben, sondern, wie sein ganzes Wirken zeigt, in
eine Polemik gegen die
Kriegsgedichte der Gottlieb’s und Peter die
erschienenen Gedichte
einzuflechten und abzudrucken. Deshalb ist es
auch ein juristischer
Unsinn, wenn Kerr behauptet, dass der Abdruck
seiner Gedichte in der Fackel
Nr. 787–794 rechtswidrig gewesen ist.
Dieser Abdruck
nicht sowohl
ist
nach dem deuts<chen Urheberrechtgesetz,
umsomehr aber nach dem
österreichischen Urheberrechtgesetz erlaubt.
Geht man aber nun von der
Annahme aus, dass
Herr Kraus diese Veröffentlichung nur in der ihm vom
Gesetz er
laubten
Weise vornehmen wird oder zumindest, dass es jetzt noch
nicht feststeht, dass er sie
in einer vom Gesetz nicht erlaubten
Weise vornehmen will, so ist
das Klagebegehren verfehlt, weil zu
wenig präzis, denn es ist
nicht unerlaubt Gedichte zu vervielfäl
tigen und die
Vervielfältigung zu vertreiben, soweit dies in einem
grossen wissenschaftlichen
Werke geschieht, sondern lediglich die
Herausgabe ohne Einkleidung
wäre eine solche unerlaubte Handlung.
Dies kommt aber im
Klagebegehren nicht zum Ausdruck. Hinzuzufügen
ist noch, dass unter
wissenschaftlichem Werke nicht nur ein sol
ches zu verstehen ist,
welches sich mit der Aufstellung wissen
schaftlicher Thesen
beschäftigt, sondern, dass nach der allgemeinen
Praxis der österreichischen
Gerichte auch jedes Werk, dem eine
selbständige geistige oder
ästhetische Bedeutung zukommt, als
wissenschaftliches Werk
anzusehen ist.
Ich halte es für unmöglich
einem drohenden
Eingriff in Privatrechte
durch eine Unterlassungsklage vorzubeugen,
solange dieser nicht
wenigstens ins Stadium einer Vorbereitungs
handlung getreten ist,
umsoweniger aber im vorliegenden Falle, wo
der Eingriff nicht einmal
konkretisiert ist, sondern ganz allgemein,
bedingt und mehr der Drohung
selbst wegen als aus Absicht der
Verwirklichung in Aussicht
gestellt wird. Gäbe es ein so weitge
hendes Recht auf eine
Unterlassungsklage, so wären die ausführ
lichen Bestimmungen des
unlauteren Wettbewerbsgesetzes überflüssig,
ferner auch die
Sicherungsbestimmungen des Urheberrechtgesetzes und
die Bestimmungen der
Exekutionsordnung über einstweilige Verfügungen.
Besonders aus den letzteren
geht hervor, dass vorläufige Sicherungs
massregeln nur dann
angewendet werden sollen, wenn ohne sie die
Verwirklichung des
Anspruches vereitelt oder erheblich erschwert
würde. Das hat aber der Kläger nicht einmal behauptet. Die vorlie
gende Unterlassungsklage würde also auf ein Vorwegnehmen des
Pro
zesses vor
Setzung des Tatbestandes hinauslaufen.
Ich hoffe, dass Ihnen das
Mitgeteilte zur
Beurteilung
der Rechtssache nach Österreichischem Recht genügt. Wenn
nicht, bin ich zu weiteren
Auskünften stets gerne bereit. Wenn die
Zeit, in der Sie die
Erstattung verlangt haben, nicht zu kurz ge
wesen wäre, hätte ich Ihnen
die zur Anwendung kommenden Paragraphen
wörtlich zitiert. Auf
Verlangen werde ich sie nachtragen.
Ich zeichne in kollegialer
Hochachtung
Ihr ergebener