Sehr geehrter Herr Kollege!
Der Verlag der Fackel übergibt mir zur Be
förderung ein Schreiben vom 16. November 1928 und ein Urteil
des Landgerichtes I in Berlin.
Soweit in dem Brief die von mir und Herrn
Kraus bereits besprochenen Rechtsfragen nicht berührt sind,
füge
ich ein kurzes
Rechtsgutachten bei. Zu einem ausführlichen Gut
achten reicht die Zeit nicht
aus, weil Sie die Rücksendung der
Unterlagen bis Ende dieser
Woche erbitten.
Im allgemeinen stimme ich
den Ausführungen
Ihres Rechtsgutachtens vollständig bei. Ich glaube aber,
dass
noch folgende
Ausführungen des Urteils bekämpft werden können:
a.) Dass die Veröffentlichung
des Herrn Kraus nicht als
selbständige wissenschaftliche
Arbeit bezeichnet werden könne,
weil er sich nicht mit einer kritischen Würdigung der Gedichte
des Antragstellers begnügt, sondern ihn in der öffentlichen
Meinung durch Beleidigung,
herabsetzen will, ein Zweck, der mit
einer wissenschaftlichen Arbeit
vollständig unvereinbar sei.
Lediglich der Inhalt kann eine Arbeit zu einer wissenschaftlichen
machen. Ein Krebsforscher, der
seine Forschungen veröffentlicht
und sämtliche vor ihm Arbeitenden als Dummköpfe bezeichnet, ginge
nichtsdestoweniger der
Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit nicht ver
lustig. Uebrigens läuft die
Herabsetzung des Herrn Kerr voll
ständig neben der kritischen
Würdigung der Kriegsgedichte. Die
Kriegsgedichte werden kritisch gewürdigt, die Gesinnung, die
aus ihnen spricht, herabgesetzt.
b.) Es ist niemals eine
Ankündigung des Herrn Kraus erfolgt,
er werde die Werke des Antragstellers veröffentlichen, um ihn
lächerlich zu machen. Der Zweck
der Veröffentlichung, selbst
wenn
man die Ernstlichkeit der Absicht des Herrn Kraus
trotz
seiner eidesstattlichen
gegenteiligen Versicherung als erwiesen
annähme, ging lediglich dahin,
den Pazifismus des Herrn Kerr im
rechten Lichte darzustellen. Dies
wäre keine unerlaubte Handlung,
soweit nicht Urheberrechte vorletzt werden. Dies ist an einem
Beispiel klar darzustellen. Das
Urheberrecht an einem unter
einem
Pseudonym erschienenen Werke erlischt nach 30 Jahren seit
der Veröffentlichung. Angenommen
nun, dass seit der Veröffent
lichung der Kriegsgerichte des
Herrn Kerr bereits 30 Jahre
verflossen wären, könnte Herr Kerr aus der Veröffentlichung
wegen der ihm dadurch eventuell
entstehenden Lächerlichmachung
keinen Anspruch auf Unterlassung ableiten. Das Gericht bringt
also
Dinge miteinander in Verbindung, die gar nichts miteinander
zu tun haben. Der Anspruch des
Herrn Kerr ist auch ein rein
urheberrechtlicher und
namensrechtlicher. Ein Unterlassungsan
trag wegen des Lächerlichmachens
ist niemals gestellt worden. Da-
her ist die Heranziehung des § 32 Z.P.O. vollständig verfehlt.
Gegründet könnte der
Gerichtsstand lediglich auf § 23 Z.P.O.
werden; in diesem Falle aber
wäre er nur bezüglich des Unter
lassungsanspruches auf
Veröffentlichung der Gedichte des Herrn
Kerr zulässig, nicht aber auf Veröffentlichung der Gottlieb-
Gedichte unter dem Namen Kerr, da dies kein vermögensrechtlicher
Anspruch ist.
Bei der Weiterführung des
Prozesses muss man
sich nach
meiner Meinung von folgenden Gesichtspunkten leiten
lassen. Es ist sehr
wahrscheinlich, dass auch der Hauptprozess
verlorengehen wird. Das
Urteil im Verfahren über die einstweili
ge Verfügung erscheint mir
vollständig tendenziös. Es wird sich
also darum handeln,
möglichst billig aus der Affaire herauszu
kommen. Da aber Herr Kraus Beklagter ist, so kann er sich ja
kaum dem Verfahren
entziehen, es sei denn, dass es eine so ein
fache Lösung in Deutschland
wie in Oesterreich gibt, dass man
eben zum Termin nicht
erscheint und deshalb Versäumungsurteil ge
fällt wird. Muss aber die
Sache doch verhandelt werden, so blieb
nichts übrig, als alle
Gesichtspunkte auch im Hauptprozess geltend
zu machen und eventuell nur
die Berufung zu unterlassen, wenn
auch dieser verloren ginge.
Dabei müsste aber noch in Betracht
gezogen werden, ob man sich
durch die Unterlassung der Berufung
im Verfahren über die
einstweilige Verfügung nicht des Rechtes
begäbe, eine offensichtliche
Aktenwidrigkeit dieses Verfahrens zu
rügen. Denn die Stelle auf
Seite 207 der Kerr
Nummer hatte, wie
Ihnen ja Herr Kraus schon mitgeteilt hat,
lediglich den Sinn, dass
Herr
Kraus durch Abdruck der Polemiken und
Schriftsätze des Herrn
Kerr seine stärkste satirische Wirkung erziele.
Nur diese Abdrucke
waren gemeint, als Herr Kraus davon sprach, dass er über das Ur
heberrecht des
Gegners verfüge. Sollte also eine Schädigung
im
Hauptprozess durch die
Unterlassung der Berufung in dem Ver
fahren über die einstweilige
Verfügung in Hinsicht auf diese Stel
le eintreten, so müsste man
wohl auch die jetzige Berufung er
greifen.
Bei dieser Gelegenheit
möchte ich Sie
bitten, mir
eine Aufstellung über die zu erwartenden Kosten des
Herrn Kraus zu geben, da man sich in dieser Sache nicht zuletzt
von der Höhe der Kosten
leiten lassen muss.
Ich zeichne mit vorzüglicher
kollegialer
Hochachtung
Ihr
ergebener
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