Sehr geehrter Herr Kollege,
mit verbindlichstem Dank für Ihr
freundliches
Schreiben vom 16. November 1928 und für das freundliche
Schreiben des Verlags „Die Fackel“ vom gleichen Tage
gebe ich in sämtlichen Sachen mit
der Bitte um Unter
richtung des Verlags meine abschließende
Ansicht be
kannt.
1. Gegen Mosse.
Ich überreiche Ihnen das Urteil des Gerichts
mit Gründen und glaube, daß wir
in dieser Sache die Be
rufung als aussichtslos unterlassen müssen. Zum Verlust
der Sache hat nicht zuletzt die
Aussage des Zeugen Fischer
beigetragen, der die Frage des Rechtsanwalts
Cohn: „Haben Sie unserem Angestellten etwa
deshalb den
genauen Titel des
Heftes verschwiegen, weil Sie
sonst
die Ablehnung des Inserats
befürchtet hätten?“ in ziem
lich deutlicher wenn auch
umschriebener Weise bejaht
hat.
Ich habe mit Not und Mühe die Protokollierung die
ses Satzes verhütet, um doch noch
eventuell die Beru
fung zu retten, glaube aber, daß auch das Berliner
Landgericht gegen Mosse nicht zu mucksen
wagt.
An Kosten sind in dieser
Sache bisher entstan
den / abzüglich meiner
Gebühren, die nicht erhoben wer
den / etwa 40 RMk. In der
Berufung würden nochmals etwa
50 RMk. entstehen.
2. In Sachen gegen Theodor Wolff
sollte die Zuziehung des
Kollegen Alsberg , die
mehrere 1000 RMk. erfordert,
bewirken, daß sich die
Presse des
Falls bemächtigt. Ich finde, daß wir das mit
mehreren 1000 RMk. etwas teuer
erkaufen, zumal die Pres
se, wenn sie totschweigen will,
trotzdem totschweigen
wird. Ich
werde morgen in dieser Sache einen eingehenden
Schriftsatz fertigen. Bei Pressesachen kann man natür
lich nie wissen, ob
das Gericht nicht dem Beschuldigten
den § 193
StGB zubilligt. Ich halte die Bestimmung an
gesichts des beschimpfenden
Charakters der Äußerungen
Theodor Wolffs für unanwendbar.
Die Kosten in derartigen
Prozessen sind äußerst
gering. Ich rechne mit allerhöchstens 100 bis 200 RMk.
3. In
Sachen Kerr Urheberrecht
bin ich bezüglich des
strittigen Satzes am Ende des
Fackelhefts keinesfalls der Suggestion des Gerichts
unterlegen. Mir ist die
Bedeutung der Stelle in dem
von Ihnen angegebenen Sinn stets klar gewesen. Mein
Referendar und ich kennen etwa 11 gleichartige Sätze
des Herrn Kraus, die von vernünftigen Menschen nur
als Angriffe des Kerr gegen Herrn Kraus gedeutet wer
den können.
vielmehr
Trotzdem
wird uns der Satz auch vor dem
Zivilsenat in materieller Beziehung außerordentlich
schaden; denn die Richter
werden ihn wieder auf die
Gottlieb-Gedichte beziehen, umso mehr, als sich im
Zusammenhang mit dem
angezogenen Satz der glänzende
satirische Einfall findet: „Diesen Krieg wird kein
Gottlieb
durchhalten.“
Die Beschwerung durch das
Urteil halte ich
nach wie vor
für nicht sehr erheblich, weil man die
Kriegsgedichte nach den
Urteilsgründen ja in zuläs
siger Weise zitieren darf,
das Urteil also, wie ich
Herrn Kraus bereits bei seinem Hiersein sagte,
umgan
gen
werben kann.
Ohne natürlich eine Garantie
übernehmen zu
können, möchte
ich sagen, daß in der zweiten Instanz
beide Verfahren /
einstweilige Verfügung und Prozeß /
erhebliche Aussicht auf
Erfolg haben, weil die deut
schen Gerichte bestimmt
nicht zuständig sind, und al
les, was im Urteil über den
Charakter der Unterlassungs
klage steht, ausgemachter
Unsinn ist. Unzweifelhaft
ist
natürlich, daß wir auch den Hauptprozeß in erster
Instanz vor der Weigert-Kammer verlieren.
Wollen wir in der Hauptsache
einen Erfolg haben,
so muß
selbstverständlich in der ersten Sache die Beru
fung ergriffen werden.
Wollen wir dagegen in der zweiten
Sache uns kampflos ergeben,
so bedeutet es herausgewor
fenes Geld, in der ersten
Sache das Rechtsmittel zu er
greifen.
Zu Ihrer Orientierung
bemerke ich, daß es auch
in
Deutschland möglich ist, sich durch Nichterscheinen
kontumazieren zu lassen, und
daß dann die Kosten gerin
ger sind. Sollten Sie diese
Art des Vorgehens wünschen,
so fragt es sich, ob wir nicht wenigstens die vorgekom
menen Aktenwidrigkeiten und
die dolose Gesinnung da
durch aufdecken sollen, daß
wir so prozedieren: ich
erscheine zum Termin, lehne, wie von Herrn Kraus ge
wünscht, auf Grund der Fälschung im Urteil / um lächer
lich zu machen / und auf
Grund der letzten mündlichen Verhand
lung die Kammer als befangen ab. Nach meiner Ansicht
wird dieses Ablehnungsgesuch
bezüglich der beiden Bei
sitzer bestimmt abgelehnt.
Bezüglich des Vorsitzenden
kann es durchgehen. Alsdann
trete ich nicht mehr auf
und
lasse Versäumnisurteil ergehen.
Ich bitte nunmehr um
umgehende Anweisung bezüg
lich folgender Fragen:
3 1. Soll in Sachen Mosse berufen werden?
2. Soll in Sachen Kerr berufen werden?
3. Soll im Hauptprozeß Kerr verhandelt oder
kontumaziert werden?
4. Soll im Hauptprozeß Kerr verhandelt wer
den mit oder ohne
Ablehnungsgesuch?
5. Soll im Hauptprozeß Kerr kontumaziert
werden mit oder ohne
Ablehnungsgesuch?
6. Ist die Klage
Kerr inzwischen dem Herrn
Kraus zugestellt? Alsdann bitte ich um Über
sendung.
Herr Kraus schreibt, er habe den letzten Satz
meines Rechtsgutachtens nicht verstanden. Ich halte
die Sache aber für
juristisch vollkommen klar. Der
Satz besagt: Die vorbeugende
Unterlassungsklage ist von
einer Drohung abhängig. Sieht man aber in dieser Droh
ung schon den Beginn der
unerlaubten Handlung, dann han
delt es sich allerdings um
eine repressive Unterlassungs
klage; eine vorbeugende gäbe
es damit aber überhaupt
nicht
mehr. Mit diesem Argument wird die künstliche
Konstruktion des Gerichts bezüglich der Unterlassungs
klage
erschüttert.
Ich gebe Ihnen nun noch die
Kosten auf, wobei
ich zu
berücksichtigen bitte, daß meine Gebühren in
den Zahlen nicht enthalten
sind, weil ich sie nicht
erheben werde. Ich selbst habe nur in allen Sachen etwa
50 RMk. verausgabt und wäre
für eine baldgefällige Er
stattung derselben auf mein
obiges Postscheckkonto dank
bar.
Das einstweilige
Verfügungsverfahren kostet bis-
her etwa 300 RMk. Verlieren
wir die Berufung, so kostet
das Verfahren etwa weitere 500 RMk.
Der Hauptprozeß kostet in
erster Instanz etwa
700 bis
1000 RMk. (bei Versäumnis etwa: 500–600 RMk.), in der zweiten
Instanz etwa 1000 bis
1500
RMk., in der dritten Instanz etwa 2000 bis 2500 RMk.
Die Zahlen sind natürlich
vorläufig nicht ge
nau zu ermitteln, weil die Kosten vom Verlauf des Pro
zesses abhängen. Ich habe
aber absichtlich ziemlich hoch
gegriffen.
Ich bitte zu beachten, daß
im einstweiligen Ver
fügungsverfahren nur zwei
Instanzen, im Hauptprozeß drei
Instanzen gegeben sind. Aus unserer Seite ist mein Kammer
gerichtsanwalt bereit, die Sache in der zweiten Instanz
für Herrn Kraus kostenlos zu führen. In der dritten In
stanz muß allerdings der Reichsgerichtsanwalt unbedingt
bezahlt werden. Die Kosten
werden sich aber wegen der
langen Dauer der Prozesse auf etwa 1½ bis 2 Jahre
hinaus verteilen.
Ihrer umgehenden Rückantwort
sehe ich gern ent
gegen und bin mit ergebensten Grüßen für Sie und Herrn
Kraus
Ihr Kollege
Dr. Laserstein