Lieber Herr Kraus,
ich fühle mich verpflichtet
Ihnen Folgendes mitzuteilen: Dr.
Alexander Bessmertny, der hier eine Autographen-Zeitschrift herausgibt,
erzählte mir unlängst, daß ihm
ca. 400 Briefe von Ihnen zum Ankauf
angeboten wurden. Da er Sie
schätzt und annimmt, daß Ihnen ein solcher Handel
mit Ihren Briefen unsympathisch
sein dürfte – B. kommt ja bloß als Wieder
verkäufer resp.
Vermittler in Frage – möchte er das Geschäft für seine Person
ablehnen. Verhindern kann er es
aber nicht, daß die Briefe an andere skrupel
losere Leute weitergegeben werden
oder daß Sie in einer Autographen-Auktion
auftauchen. Den Namen des
Verkäufers durfte er – weil er ehrenwörtlich gebun
den war –, nicht nennen, doch
brachte ich immerhin heraus, daß der Empfänger
ein Mann ist, vermutlich mit dem
Verkäufer identisch und daß die Briefe,
selbst in Händen Bekessys, sich zu keinem erpresserischen Vorstoss verwenden
liessen. Es scheint sich um rein
literarische Mitteilungen etc. zu handeln.
Ich wußte nicht, was ich tun
sollte. Da es sich keineswegs um eine erpresserische Mitteilung
handelte (ich hatte Bessmertny ganz zufällig getroffen, das Gespräch
kam ganz zufällig
auf Sie)
riet ich ihm, die gleiche Mitteilung an Lanyi zu
machen, weil ich mir dachte,
wenn der unwürdige Empfänger die Briefe schon wirksam verkaufen will, so ist es
besser, wenn sie wenigstens
in würdige Hände übergehen, die sicher unter Lanyis Kundschaft
zu finden sind. Bessmertny versicherte mir,
daß er aus dem Verkauf der Briefe keineswegs
irgend einen Gewinn ziehen
will (ich möchte bemerken, daß ich mit B.
niemals persönlich
schlechte
Erfahrungen gemacht habe, daß ich auch nichts abträgliches über ihn gehört habe,
daß ich ihn aber trotzdem
nicht für ganz zuverlässig halte – das ist aber bloß
meine unverantwortliche
Impression.) –
Gestern erzählte mir Stefan Grossmann, daß Bekessy mit Scherl(!) wegen
eines Engagements verhandelte, daß Scherl ihn
sehr gerne übernommen hätte, aber
erfahren hatte, daß man Bekessy, sobald er sich in Deutschland
publizistisch
zu betätigen
gedenke, ausweisen würde. Bekessy hatte das erfahren
und sich bei
ihm (Grossmann) durch einen Mittelsmann (vermutlich Kuh?) nach der Wahrheit
erkundigt und mußte erfahren, daß
man wirklich hier nicht daran denke, ihm
eine längere
Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. –
Fischer, den ich hier sehr lieb gewonnen habe, ist nach München abgereist.
Viertel wird heute auch Düsseldorf
zurückerwartet. – Leider bin ich noch immer an
Berlin gefesselt ich wäre so gerne schon wieder in Wien! Otto schreibt mir – er kann schon
so gut schreiben! – entzückende
Briefe. Zum Beispiel: „Du weißt, daß Du meine liebe
Mutter bist und
ich habe Dich auch sehr lieb. Aber weißt Du auch daß ich gestern einen
römischen I. bekommen
habe?“
Bitte grüssen Sie Frau Helene sehr herzlichst von mir. Und seien
Sie aufs Beste
gegrüßt von
Ihrer
Gina Kaus