G.Z. U I 70/27.
An das
Strafbezirksgericht Wien.
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.Hintere
Zollamtsstrasse 3
durch:
Beschuldigter: Emil Schifter, verantwortlicher
Schriftleiter der Zeitung „Volkskampf“
Wien III. Apostelgasse 39, wohnhaft in
Wien VII. Burggasse 11. III./I7
wegen § 30 Pr.G.
1 fach
Beschwerde gegen den Beschluss vom 24. März 1927, eventuell
Antrag auf Ausscheidung.
Das Strafbezirksgericht I hat in
dieser Strafsache am 24. März
1927 beschlossen, den Antrag des Beschuldigten
auf Abtretung der Strafsache an das Landesgericht
Iin Wien, zwecks
Einbeziehung in den Strafakt Vr XXVI 5497/26, Folge
zu geben.
Gegen diesen Beschluss erhebe
ich
fristgerecht die
Beschwerde
an das Landesgericht für Strafsachen I.
Mit Beschluss vom 15. Februar 1927 G.Z.
Vr XXVI 670/27 wurde aus der
Strafsache Vr XXVI 670/27 gegen
Emil Schifter wegen Vergehens gegen die öffentliche Ruhe
und Ordnung nach § 305 St.G. (betreffend den Aufsatz „PeriodischerLehmann“
in der Folge 5 der Zeitung „Volkskampf“
vom 29.I.1927)
und wegen
Vergehens gegen die Sicherheit der Ehre (betreffend
denselben Aufsatz in der gleichen Folge der Zeitung „Volkskampf“)
das
Verfahren wegen Vergehens gegen die Sicherheit der Ehre gemäss
§ 57 St.P. ausgeschieden, weil dies zur Vermeidung von Verzögerungen
und Erschwerungen dienlich
erscheine. Mit Beschluss vom 8. März 1927
G.Z. Vr XXVI. 1060/27/7 wurde
über meinen Antrag das anhängige Ver
fahren wegen Vergehens
gegen die Sicherheit der Ehre dem Strafbezirksgerichte
I zur weiteren Amtshandlung wegen Uebertretung nach
§ 30 Pr.G. abgetreten.
In diesem Zeitpunkte war dem Landesgerichte für
Strafsachen Wien I bereits bekannt, dass ein früheres
Verfahren gegen denselben
Beschuldigten Emil Schifter zur
G.Z. Vr XXVI 5497/26 anhängig
ist. Es entzieht sich meiner Kennt
nis, ob der Akt Vr XXVI 670/27 jemals mit dem Akt Vr XXVI 5497/26
vereinigt war und aus diesem
ausgeschieden wurde oder nicht.
Übrigens halte ich das für die Beurteilung der zu erörternden
Rechtsfrage für vollständig
gleichgiltig. Jedenfalls hat das Landesgericht für
Strafsachen I in Kenntnis des Umstandes, dass beide
Akten anhängig sind, eventuell
vor der Vereinigung der beiden zu-
rückgebliebenen
landesgerichtlichen Akten das Verfahren wegen
Vergehens gegen die Sicherheit
der Ehre gemäss § 57 St.P.O. ausge
schiedenen und an das Strafbezirksgericht I in Wien zur weiteren
Amtshandlung abgetreten. Das Strafbezirksgericht I in Wien hatte
daher kein Recht gegen diesen
rechtskräftigen Beschluss dadurch
Stellung zu nehmen, dass es den Akt zur Vereinigung mit einem
früheren Strafakte an das Landesgericht zurück zu leiten beschloss.
Es wäre hier auch in Analogie der
§ 450 St.P.O. heranzuziehen.
der dem Bezirksgerichte verbietet, eine Strafsache wegen Nicht
Zuständigkeit von sich
abzuweisen, wenn der Gerichtshof erster
Instanz oder ein höheres Gericht
die Sache wieder an das Bezirksgericht
zurückverweist. Es geht daraus klar die Absicht des
Gesetzgebers hervor, dass es
nicht
dem
im
Belieben des Bezirksgerichtes steht,
gegen einen ausdrücklichen Abtretungsbeschluss
des Landesgerichtes die Sache wieder an dieses zurückzuleiten,
woferne nicht neue Tatsachen
bekannt werden, die offenbar bei
dem Ausscheidensbeschluss des Landesgerichtes
noch nicht vor
lagen
und daher eine vollständig geänderte Situation schaffen.
Hiezu kommt noch, dass nach § 5 Pr.G. bei
Verwirkung
mehrerer Strafen nach dem Pr.G. auf jede gesondert
zu erkennen ist. Es ergibt sich
daher für den Angeklagten aus der
abgesonderten Durchführung einer Sache nicht einmal ein Nachteil
wegen etwaiger Ueberschreitung
der Höchstgrenze.
Obwohl in dieser Sache ohne
Belang
wäre es vielleicht doch
auch von Bedeutung, wenn die Rechtsansicht
des Landesgerichtes zu erkennen wäre, was in dem Falle zu gesehen
hen hatte, wenn der Beschuldigte sich
nach dem Ausscheidens und
Abtretungsbeschluss einer neuen strafbaren Hand uns schuldig macht,
die in die Kompetenz des Landesgerichtes fällt: ob nicht auch in
diesem Falle das Bezirksgericht an den einmal gefassten
Ausschei
dens-und
Abtretungsbeschluss gebunden ist, da die gegenteilige
Ansicht zur Folge hatte, dass ein
bezirksgerichtlicher Akt mehr-
mals zwischen Landesgericht und Bezirksgericht hin und herwandern
müsste, woferne nur derselbe Beschuldigte in der
Zwischenzeit
mehrere Vergehen
oder Verbrechen begeht.
Ich beantrage daher, den Beschluss
des Strafbezirksgerichtes I vom 24. März 1927 abzuändern und dem
Strafbezirksgerichte I die Fortsetzung des Verfahrens
aufzutragen.
Für den Fall als
diese
m
r
Bescheid
Beschwerde
nicht Folge gegeben werden sollte, bitte ich diese Eingabe als
Ausscheidansantrag zu behandeln
und die vorliegende Strafsache aus
dem Akte Vr XXVI 5497/26 auszuscheiden und dem Strafbezirksgerichte I wieder zur Fortsetzung des Verfahrens abzutreten.